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Kapitel 4
Goldene Sterne
Gestern haben Sebastian und ich nichts Relevantes mehr getrieben. Wir haben uns um das Feuer im Kamin gekümmert, ein paar Snacks gefuttert und ferngesehen. Irgendwann spät am Abend sind wir zusammen auf der Couch eingeschlafen.
Morgens kämpfe ich mich schnell von der Couch, um das kleine Feuer im Kamin am Leben zu halten. Aus der Decke zu schlüpfen treibt Kälte über meinen gesamten Körper. Sie dringt in meine Haut, was den natürlichen Reflex der zarten Härchen an meinen Armen auslöst. Ich bekomme Gänsehaut. Mein Körper versucht mich mit allen Mitteln zu wärmen und meine Seele schreit danach sich wieder in die warmen Decken kuscheln zu dürfen. Müde lege ich einige Holzscheite in den Kamin, ehe ich wieder zurück auf die Couch klettere. Schade, dass Sebastian ein Langschläfer ist. Ich fände es ganz praktisch, wenn er sich in die Küche quälen würde, um mir einen Tee zu machen.
Ich kuschle mich an Sebastians warmen Körper und decke uns fest zu.
„Wenn du mich wach kuscheln willst, brauche ich Kaffee.“
„Es ist normales kuscheln, wenn das okay ist“, erkläre ich leise.
„Du bist kalt.“
„Deswegen das Kuscheln.“
„Ist das Feuer aus?“, fragt Sebastian müde nach.
„Ich hab grade nachgelegt. Die Flamme war zwar klein, aber das geht schon.“
„Okay. Komm her.“
Sebastian legt seinen Arm um mich. Die Hitze, die von ihm ausgeht erwärmt mich schneller als ich dachte, sodass ich die Temperatur ausgleichen muss, indem ich mein Bein aus der Decke strecke.
„Schläfst du noch weiter?“, frage ich leise nach.
„Mhm…“
„Okay. Dann sollte ich das vielleicht auch.“
Ein kurzer Blick Richtung Fenster zeigt mir, dass es draußen stockfinster ist. Die Uhrzeit einzuschätzen ist um diese Jahreszeit nicht mehr so einfach wie es im Frühling oder Sommer war. Auf mich wartet nichts und niemand, weswegen es ein Leichtes für mich ist, wieder meine Augen zu schließen und die Wärme unter der Decke zu genießen. Winterzeit ist eben Kuschelzeit.
…
Als ich an diesem Wintertag ein weiteres Mal erwache, spüre ich Sebastians Nähe. Die wohlige Wärme umhüllt mich immer noch, Sebastians Kopf ruht an meiner Schulter, seine Hand an meinem Brustkorb. Wenn Sebastian mein fester Freund wäre, würde ich ihn mit Küssen und vielleicht auch mit Sex wecken, doch da wir nur normale, klassische Freunde sind, löse ich ihn vorsichtig von mir, um ihn eben nicht zu wecken. Vorsichtig streiche ich ihm die Haare aus dem Gesicht, damit er nicht mit einer Haarsträhne im Mund aufwachen muss. Ich setze mich auf und decke Sebastian noch fest zu, ehe ich aus dem Bett klettere.
Das Kuscheln hat gut getan. Seit ich hier in Pelican Town bin, hatte ich keine romantische Beziehung mehr. In Zuzu City war ich kaum alleine, ich hatte immer einen Freund oder eine Freundin. Die letzte Beziehung ging quasi zu Brüche, nachdem ich hierher gezogen bin. Die Entfernung hat uns nicht gut getan. Wahrscheinlich hätte ich ohnehin keine Zeit gehabt, um die Beziehung aufrecht zu erhalten. Vom Frühling an bis in den Herbst hatte ich so viel zu tun, dass ich zu beschäftigt und zu müde war, mich mit Dates oder einer neuen Liebe zu beschäftigen. Jetzt im Winter hätte ich Zeit, mich um meine Gefühle und Bedürfnisse zu kümmern, doch man kann so etwas unmöglich erzwingen, nur weil man gerade Zeit hat.
Ich werfe einen flüchtigen Blick auf meinen Gast, ehe ich mich erst um das Feuer und dann um Frühstück kümmere. Gestern habe ich die Latte mit meinen Waffeln sehr hoch gelegt, heute bin ich irgendwie nicht ganz in der Stimmung so viel Aufwand zu betreiben, dennoch habe ich Lust auf etwas Warmes. Toast wäre cool. Nur was mache ich für Sebastian? Toast ohne Käse schmeckt doch nicht…
Es wäre möglich, dass ich Sebastian wecke, um ihn selbst zu fragen, worauf er Lust hätte. Bevor ich mich jedoch entscheide, setze ich Kaffee für Sebastian auf und brühe mir eine Tasse Tee.
Minuten später stelle ich zwei Tassen auf den Couchtisch. Ich setze mich auf die Couch und streichle über Sebastians Seite.
„Hey, Sebastian?“, frage ich ruhig. „Was willst du zum Frühstück?“
„Hm?“ Er dreht sich auf den Rücken, legt aber einen Arm über seine Augen, um sich vor dem Licht zu verstecken. „Weiß nicht, aber ich rieche Kaffee. Ich liebe Kaffee.“
„Willst du wach gekuschelt werden?“
Auf Sebastians Lippen zeichnet sich ein Schmunzeln. „Willst du mich wach kuscheln?“
„Wenn ich darf?“ Er breitet seine Arme aus, in die ich sofort sinke. Wir beide sagen kein Wort, genießen lediglich die Nähe des jeweils anderen. Es wäre toll, wieder jemandem in meinem Leben zu haben, aber das jetzt auf Sebastian zu projizieren kommt mir ungesund vor. Das wäre für uns beide unangenehm.
„Ryan, du riechst nach Zimt. Jetzt will ich dich zum Frühstück vernaschen.“
Ich lache ein wenig, löse mich dabei von Sebastian. „Willst du mich in deinen Kaffee dippen?“
„Wie so ein alter Mann, der sein Croissant in seinem Kaffee aufweicht, um es essen zu können? Klar, wieso nicht.“ Er blickt zum Couchtisch. „Ich brauche eine größere Tasse, wenn ich dich dippen will.“
„Sorry, das ist dir größte, die ich habe“, antworte ich grinsend. „Wir können aber die Badewanne mit Kaffee füllen.“
„Das ist eine geniale Geschäftsidee. Koffein für jede Pore. Gut gegen den auf aller Welt gehassten Montagmorgen.“
„Ich glaube wir sind gerade dabei eine Marktlücke zu füllen, Sebastian.“
„Wir werden steinreich“, stimmt er mir zu. „Also… Frühstück… Hm…“ Sebastian setzt sich auf, er stützt sich auf seine Hände ab, sodass er auf allen Vieren vor mir sitzt. Sein hübscher Hintern ist zum Greifen nah, doch ich richte meinen Blick auf den Couchtisch zu unseren Getränken. Er greift nach seinem Kaffee, setzt sich dann wieder hin.
„Ich hätte nichts dagegen, wenn wir heute wieder deine Waffeln zum Frühstück verputzen würden. Aber falls dir das zu anstrengend ist, was ich nachvollziehen kann, wäre ich auch mit einem Butterbrot zufrieden. Außerdem bräuchte ich eine Zigarette, ich hab kaum geraucht, seit ich hier bin.“
„Okay, dann… Mache ich uns Brote und du tankst Nikotin?“
„Kann man so machen“, stimmt Sebastian mir zu.
…
Nach dem Frühstück hilft Sebastian mir wie versprochen dabei, meine Geschenke für die Bewohner der Stadt vorzubereiten. Für jeden Haushalt stehen bereits Körbchen bereit, die nur noch gefüllt werden möchten.
Während Sebastian die bunten, mit winterlichen Motiven bedrückten Stoffe mit einer gewellten Schere in Quadrate schneidet, hole ich die Eierlikörflaschen aus dem Keller. Vorsichtig stelle ich die Holzkiste auf dem Tisch ab.
„Wieso eigentlich Eierlikör?“
„Ich weiß, ich weiß, du hasst Eier…“
„Ja, das stimmt schon, aber egal wie sehr ich Eier hasse, du hasst Alkohol noch viel mehr. Ich bin neugierig, weil ich es nicht ganz nachvollziehen kann.“
„Nur weil ich Alkohol wegen meinen Erlebnissen nicht mag, heißt das nicht, dass alle, die Alkohol mögen böse sind. Ich hab eine große Abneigung, das stimmt schon und ich halte auch von Betrunkenen aus Selbstschutz einen gewissen Abstand, aber… naja, Eierlikör gehört irgendwie zu den Festtagen. Leute mögen das.“
Sebastian nickt. „Eine Teemischung würde es auch tun.“
„Witzig, dass du das sagst, ich hab auch Teemischungen zusammen gestellt“, antworte ich grinsend.
„Dann verstehe ich das mit dem Eierlikör noch weniger. Du hast doch viele Ideen. Marmelade, Tee, dann die Kekse, die du backen wolltest…“
Ich trinke einen Schluck meines Tees. „Willst du mit mir streiten?“
„Nope, dann schmeißt du mich raus und ich muss wie ein armer Streuner an deiner Tür kratzen und laut miauen.“
Ich streichle Sebastians Kopf und kraule ihn ein wenig hinter seinem gepiercten Ohr. „Du ein braves, braves kleines Haustier. So ein süßes Schätzchen.“
Sebastian schließt genüsslich die Augen. „An diese Streicheleinheiten kann man sich echt gewöhnen.“
„Fang aber bloß nicht an zu schnurren, das wäre unheimlich.“
Mein Gast lacht, hebt dann meine Hand von seinem Kopf. „Du darfst später gerne weiter machen, ich will nicht schuld daran sein, dass du deinem Zeitplan hinterher hinkst.“
„Mein Zeitplan?“, frage ich irritiert. „Woher…?“
„Dein Terminplaner lag offen auf dem Tisch“, erklärt Sebastian. „Süß, wie viele Farben und Smileys du verwendest.“
„Mach dich nicht über mich lustig…“
Sebastian wirkt ein wenig erschrocken, sofort greift er nach meiner Hand. „Ich wollte dich nicht beleidigen, Ryan. Gut anfangs fand ich es immer lustig, dass du fast schon zwanghaft ordentlich und organisiert bist, aber es tut gut jemanden im Freundeskreis zu haben, der sich immer ungefragt um alles kümmert. Und deine Smileys sind wirklich süß. Das lässt deine Pläne fröhlicher wirken, so als hättest du keine Aufgaben, die dich stressen, sondern als würdest du dich auf jede neue Aufgabe freuen.“
„Entschuldige… Ich hab mir für meine Terminplaner schon viele dumme Sprüche mitanhören müssen, das hat mich ein bisschen empfindlich werden lassen. Zwei Vollidioten haben ihn mir mal geklaut und ihn zwischen den beiden hin und her geworfen, ich hatte keine Chance.“
„Awww, wie alt warst du da?“
„Dreizehn.“
Sebastian schmunzelt ein wenig. „Du warst bestimmt ein wahnsinnig süßer Teenager.“
„Kann sein“, antworte ich Schultern zuckend. „Sehr beliebt war ich nicht unbedingt, also war ich wohl eher ein Freak.“
„Macht nichts, ich war auch einer“, antwortet Sebastian schmunzelnd.
„Hab ich mir doch glatt gedacht. Ich hol mal eben die restlichen Sachen.“
Ich suche die restlichen Geschenke aus dem Keller zusammen, damit wir ihnen den perfekten, festlichen Touch geben können. Um alles aus dem Keller zu holen, muss ich einige Male auf und ab laufen.
Geschafft stelle ich die letzte Kiste neben den Tisch. Sebastian arbeitet bereits selbstständig. Er legt die ausgeschnittenen Stoffquadrate auf die Deckel der Marmeladengläser und fixiert den Stoff mit einer liebevoll gebundenen Schleife. Sebastians Finger sind nicht ungeübt, er ist geschickt. Ich hab ihm schon einmal dabei zugesehen, wie er den Laptop seiner Mutter repariert hat. Und ich bin erstaunlicherweise genau so fasziniert von seinen Handgriffen wie bei eben dieser Reparatur.
„Macht’s Spaß, mir zuzusehen?“
„Mhm“, antworte ich, setze mich dann neben ihm.
Ich tue es Sebastian gleich. Glas für Glas bekommt seine festliche Verzierung. Mit einem goldenen Stift beschriften wir die verschiedenen Marmeladesorten. Das Glas wird außerdem mit einem goldenen Stern verziert. Auch die Eierlikörflaschen und die Gläser mit den Teemischungen werden mit Sternen verziert und beschriftet.
„Du hast dir wohl ewig Gedanken um das alles gemacht“, stellt Sebastian fest, als er sich die Etiketten ansieht, die von uns auf die jeweiligen Rückseiten der Gläser geklebt werden.
„Ja, kann hinkommen. Ich möchte, dass alles perfekt ist. Es sind festliche Präsente und ein bisschen Werbung für mich und meine Waren.“
„Schlau von dir. Passt fast gar nicht zu deinem sonst so naiven Verhalten.“
„Ich muss auch irgendwie über die Runden kommen“, erkläre ich ruhig, als ich eine der Etiketten aufklebe. „Außerdem zwinge ich ja keinen, mir etwas abzukaufen. Aber wenn jemand auf meine Leckereien steht, bin ich gerne gewillt, Geld damit zu verdienen.“
Wir sind den gesamten Nachmittag damit beschäftigt, uns um die Geschenke zu kümmern. Wir räumen die Waren in die Körbe, außerdem erklärt sich Sebastian weiterhin bereit, mir auch noch mit den Grußkarten zu helfen. Auch hier kommen wieder goldene Sterne und geschwungene Schriftzüge zum Einsatz. Mit einem Lächeln auf den Lippen legt Sebastian die letzte Karte in einen der Präsentkörbe.
Dass die Zeit schnell vergeht, fällt weder mir, noch Sebastian auf. Nicht einmal sein Verlangen nach Nikotin bringt ihn dazu eine Pause einzulegen. Auf seine Koffeindröhnung verzichtet er trotz allem nicht. Immer wieder schenkt er sich Kaffee nach, auch dieses Mal fehlt der kleine Schuss Zimt nicht.
Draußen ist es schon längst wieder dunkel, als Sebastian und ich zusammen auf der Couch liegen und uns einen Film ansehen.
„Was steht in deinem Terminkalender für den morgigen Tag an?“, fragt Sebastian leise.
„Ich schreibe meinem Dad eine Karte und einen Brief. Außerdem werde ich für ihn auch ein Paket zusammenstellen. Er wird sich bestimmt freuen, wenn er sieht, was ich mittlerweile alles kann. Ich möchte, dass er das Paket noch vor den Feiertagen bekommt, du weißt ja, wie überfordert die Paketzusteller zum Feast of the Winter Star sind.“
Sebastian nickt. „Ist eine gute Idee. Er wird sich bestimmt freuen.“
„Das denke ich auch.“
„Heute war wieder kein Brief dabei, richtig?“
„Nein, leider nicht. Langsam mache ich mir ein wenig Sorgen, vielleicht sollte ich ihn doch anrufen? … Ach ich weiß nicht. Dad hat Fortschritte gemacht, aber die vielen Verlockungen… Die Feier in der Firma, die Glühweinstände. Kollegen, die ihn einladen, abends bei eben diesen Ständen noch vorbei zu schauen.“ Aus Nervosität spiele ich mit dem Anhänger um meinen Hals. Immer wieder ziehe ich ihn von links nach rechts und wieder zurück. „Ich mache mir Sorgen um ihn. Er ist seit einem halben Jahr trocken…“
„Die Lösung liegt auf der Hand“, meint Sebastian ruhig.
„Hm?“
„Deine Kette. Du sagst, dass du daran glaubst, dass Yoba einen Plan hat. Er hat dir geholfen, als du es schwer hattest, also hilft er bestimmt auch deinem Dad.“
Sebastian bringt mich zum Schmunzeln, ich lasse den Anhänger aus meinen Fingern gleiten. „Du glaubst doch gar nicht an Yoba.“
„Aber du tust es, Ryan. Auch wenn ich es nicht verstehen kann, heißt das nicht, dass ich dich nicht daran erinnern darf. Wenn du fest daran glaubst, dass Yoba dir helfen kann, dann kann er auch deinem Dad helfen. Wie du gesagt hast: Es gibt einen Grund wieso du hier bist. Vielleicht ist der Grund ja, damit dein Dad weiß, dass du in Sicherheit bist und dass es dir gut geht, während er sich alleine und ohne zusätzliche Verantwortung seinen Problemen stellt.“ Sebastian lächelt mich aufmunternd an, er legt seine Hand auf meine. „Wenn morgen kein Brief in der Post ist, machst du dir eine Tasse Tee, nimmst dir ein wenig Zeit und rufst deinen Dad an. Auch wenn er nicht weiß, was er sagen soll, wird er froh sein, von dir zu hören.“
„Danke, Sebastian.“
„Gern geschehen.“
Ich atme tief ein. „Darf ich dich umarmen?“
„Ob du darfst?“, fragt Sebastian lachend, als er schon seine Arme um mich legt und mich fest an sich drückt. Seine Hand streicht über meinen Rücken. Der Duft seines Pfirsichshampoos zieht in meine Atemwege.
„Auch wenn es irgendwie zynisch klingt. Ich bin froh, dass du von Zuhause abhauen musstest. So bin ich den Winter über nicht ganz so alleine.“
„Und ich bin froh, dass du mich aufgenommen hast, Ryan. Ich glaube, dass ich keine bessere Zuflucht finden hätte können.“
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