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Kapitel 8
Festival of Ice
Ich hab gehofft, dass ich an dem heutigen Tag wieder fit genug bin, um an dem anstehenden Festival teilnehmen zu können. Teilnehmen ist relativ. Ich bin kein besonders guter Angler, weswegen ich das Wettfischen im Eis auslassen werde.
Generell bin ich der Meinung, dass man Fische nicht zum Spaß fangen sollte. Die Angelhaken können die armen Tiere verletzen. Erwischt man den Fisch an einer heiklen Stelle, kann es sogar passieren, dass der Haken im Auge hängen bleibt und der Fisch dann im Nachhinein doch stirbt, obwohl man ihn zurück in die Freiheit lässt… Daran will ich garantiert keinen Anteil nehmen.
Es ist okay, wenn man Tiere jagt oder fängt, um sie im Nachhinein zu essen, aber ihnen aus ‚Spaß‘ wehzutun ist nicht in Ordnung. Es ist kein Spaß, jemanden zu verletzen, zumindest für mich nicht.
„Und du bist sicher, dass es dir gut genug geht, um zum Festival zu gehen?“, erkundigt sich Sebastian nach meinem Wohlbefinden. „Draußen ist es kalt und unkuschelig. Hier im Bett ist es aber warm und äußerst kuschelig.“
Ich schmunzle ein wenig. „Ich hab mir vorgenommen, dass ich an allen Events der Stadt teilnehme, um mir alles anzusehen. Du wohnst hier schon ewig, aber ich muss noch genau ein Jahr warten, wenn ich dieses Festival wieder erleben möchte, außerdem hätte ich mein erstes Festival of Ice verpasst und das kann ich nie wieder aufholen.“
Sebastian legt seinen Arm um meinen Brustkorb. „Und wenn ich dir etwas Besseres versprechen könnte, als dieses Event?“
„Das wäre…?“, frage ich neugierig nach, drehe mich dann zu meinem Freund, um ihn ansehen zu können. Sein Gesicht verrät mir allerdings nichts. Manchmal hat Sebastian diese undurchdringliche eiserne Miene, aus der ich nichts lesen kann.
„Eine Massage?“
Ich lächle bei dem Gedanken an eine weitere entspannende Massage. „Das klingt verlockend, Sebastian, aber ich möchte wirklich gerne zum Festival gehen.“ Er wirkt niedergeschlagen, dreht sich dann auf den Rücken und sieht zur Decke. Er verzieht ein wenig seine Lippen, als würde er wirklich ungern nach draußen gehen. „Okay, sag mir, wieso du nicht raus willst. Da muss irgendwas sein. Liegt es daran, dass du deiner Mum und Demetrius aus dem Weg gehen willst? Die werden bestimmt auch da sein…“
„Du hast mich erwischt…“
Ich setze mich auf und versuche einen Blick nach draußen zu erhaschen. Außer ‚weiß‘ kann ich allerdings nicht so viel erkennen. Es ist eben Winter…
„Na gut, wir bleiben. Hier kannst du dich perfekt vor deiner Familie verstecken. Dann muss ich eben doch bis nächstes Jahr warten, ist ja auch nicht so tragisch. Mein erstes Festival kann ich ja eigentlich gar nicht verpassen. Sobald ich dort bin, ist es das erste Mal, egal wann das sein wird.“
Ich klettere aus dem Bett, ziehe allerdings an einer Kuscheldecke aus dem Deckenhaufen, indem wir die letzten Nächte geschlafen haben und lege sie über meine Schulter. Ich wickle mich ein. Ich will die wohlige Wärme des Bettes nicht verlieren. Interessiert an dem Wetter gehe ich Richtung Fenster. Yoba sei Dank hat es letzte Nacht nicht geschneit, sonst müsste ich mich wieder zu meinem Briefkasten vorgraben, um meine Post herein zu holen.
„Okay, okay, okay. Wir gehen zum Festival. Deine traurige Stimme und dieses lautlose aus dem Fenster sehen ist nicht zu ertragen.“
Ich drehe meinen Kopf zu Sebastian, sodass ich ihn ansehen kann. „Wir müssen meinetwegen nicht gehen, wenn du dich unwohl fühlst“, versichere ich ihm mit einem Lächeln.
„Du hast oft genug zurückgesteckt, Ryan. Immer sind die Bedürfnisse der anderen wichtiger als deine eigenen, das geht nicht.“ Obwohl Sebastian vorher noch so dagegen war, auch nur daran zu denken, das Bett zu verlassen, klettert er nun ebenfalls aus dem Bett. Er legt seine Arme von hinten um mich. Er schmiegt sich an meinen Körper und lehnt seinen Kopf gegen meinen. „Ich kann nicht so ein Egoist sein und dir deinen makellosen Festival Strike ruinieren.“ Er drückt mir einen Kuss auf die Wange. „Ich mach uns Frühstück. Ich bin für Waffeln, du auch?“
„Klingt gut“, antworte ich schmunzelnd.
Sebastian klaut einen Pullover aus meinem Schrank und schon verlässt er das Zimmer. Lächelnd fasse ich mir an die Wange. Dieser Verrückte ist so unberechenbar.
…
Zusammen mit Sebastian spaziere ich über meine Farm. Sebastian trägt auch jetzt noch den geklauten Pullover aus meinem Schrank. Natürlich ist die Farbe hinter seiner Jacke versteckt, sodass er seinen rabenschwarzen Look aufrechterhält.
„Was erwartet mich auf dem Festival?“, frage ich vorfreudig nach.
„Glühwein, das Eisfischen-Event…“
„Auch irgendwas, das ich gut finde?“
„Bratkartoffeln, Kartoffelpuffer mit Knoblauch, geröstete Nüsse, Tee… Und es gibt so Standöfen, an denen du deine Fingerchen wärmen kannst.“
„Das klingt so toll. Ich freue mich schon, wieder ein wenig raus zu kommen. Dieses Rumliegen und krank sein hat meine gesamten Pläne durcheinander gebracht. Ich wollte schon längst mit den Keksen und den Geschenken fertig sein…“
Sebastian hakt sich bei mir ein. „Ganz ruhig, Ryan, wir holen das alles auf. Morgen fangen wir früh an, Kekse zu backen. Bis am Abend sollten wir dann fertig sein, was heißt, dass wir übermorgen schon ausliefern können.“
„Aber das tun wir nicht, weil du da Geburtstag hast“, antworte ich lächelnd.
„Oh, du-du erinnerst dich an meinen Geburtstag? Wow. Das hätte ich gar nicht erwartet.“
„Ich hab mir sogar schon ein Geschenk überlegt.“
„Ach wirklich?“, fragt Sebastian erstaunt nach.
„Mhm.“
„Und was ist es?“
„Das wirst du noch sehen“, spanne ich ihn grinsend auf die Folter. „Ich bin aber sicher, dass du es magst.“
„Bestimmt, aber vielleicht ist es nicht das, was ich mir wünsche…“
„Und was wünschst du dir?“, frage ich nach.
„Das sag ich dir, falls dein Geschenk nicht ganz das ist, was ich mir vorstelle“, antwortet Sebastian neckisch. Er dreht den Spieß einfach um, weil er ganz genau weiß, dass ich neugierig und ungeduldig bin.
„Oh wie fies, jetzt spannst du mich auf die Folter, weil ich dich auf die Folter gespannt habe. Das ist so gemein, Sebastian.“
„Das ist mein Charme, damit musst du leben.“
„Ich lebe gerne damit“, antworte ich. „Allzu lange muss ich ja gar nicht mehr auf deine Antwort warten.“
Unser Fußweg hat schnell ein Ende. Das Festival findet auf einer Lichtung im Cindersap Forrest statt. Ich bin sofort begeistert von den Schneemännern und Eisskulpturen. Sebastian hat mir gar nicht gesagt, dass es hier so tolle Werke zu betrachten gibt. Staunend bleibe ich vor einer geschnitzten Eisskulptur stehen.
„Oh wow, sieh dir das an, Sebastian“, bitte ich ihn aufgeregt. Ich ziehe an seinem Arm, sehe dann zu ihm. Sein Blick ist auf mich gerichtet, er schmunzelt leicht.
„Du bist so leicht zu beeindrucken.“
„Du findest das nicht toll? Sieh sie dir an. Die Meerjungfrau wirkt richtig lebendig.“ Ich blicke auf das kleine Schild. „Sie hat sogar einen Namen Llyr, die Meerjungfrau. Das ist so toll, Sebastian, wir hätten auch eine Eisskulptur bauen sollen.“
Mein Freund lacht ein wenig. „Ja klar, bei deinem Fieber wäre das ganze Eis vor uns weggeschmolzen. Das hätte nicht geklappt, Ryan.“
„Oh… ja, stimmt… Ich war ja krank…“
Sebastian führt mich weg von den Skulpturen. Es ist nicht so einfach für ihn, da ich mir alles ganz genau ansehen möchte. Ich realisiere erst, wieso er mich eigentlich wegschleifen will, sobald ich Robin sehe. Sie ist damit beschäftigt einer großen Burg aus Eis den letzten Schliff zu verpassen.
Mein Freund zieht sich die Kapuze ins Gesicht, als würde es helfen, dass seine Mum ihn nicht erkennt. Um ihm zu helfen, stelle ich mich zwischen ihn und Robin, als wir uns an Gus’ Glühweinstand einfinden.
Sebastian und ich bestellen uns einen Becher mit Tee. Auch wenn ich Wollhandschuhe trage, kann ich es nicht erwarten, meine Finger ein wenig aufzuwärmen. Wir stellen uns mit unseren Bechern zu einem der Öfen. Als ich Pennys Blick auf mir spüre, hebe ich die Hand, um ihr kurz zu winken. Sie winkt mir ebenfalls, lächelt dabei, wendet sich dann aber wieder ihrer Gesprächspartnerin Maru zu. Im Gegensatz zu mir meidet Sebastian jeden Blick. Seine Augen verlieren sich in dem Becher in seinen Händen.
Ich sehe mich um. Abgesehen von den Eiskulpturen und einigen Schneemännern, erblicke ich auch ein Iglu, in das ich unbedingt hinein klettern möchte. Ich liebe Iglus. Ich setze mir sofort in den Kopf in den nächsten Tagen eines zusammen mit Sebastian zu bauen. „Hey, Sebastian?“
„Hm?“, fragt er, wobei er ein wenig aufsieht.
„Können wir auch ein Iglu bauen? Also in den nächsten Tagen. Das wäre so toll. Ich hab noch nie eines gebaut“
„Du hast noch nie ein Iglu gebaut?“, fragt Sebastian nach. „Wow, Ryan, du musst echt viele Kindheitserinnerungen aufholen.“
Ich nicke. „Willst du mir dabei helfen? Es ist bestimmt schön, diese Erlebnisse mit einem Freund durchzumachen.“
Sebastian nickt. „Es wäre mir eine Ehre, dein auserwählter Freund zu sein, Ryan.“
„Danke.“
Die schöne, festliche Deko an Gus’ Glühweinstand fasziniert mich. Obwohl es noch zu hell ist, leuchten bereits die bunten Lichterketten. Ich nippe an meinem Tee. Die ganze Stadt ist heute hier und es sieht so aus, als wäre Bürgermeister Lewis dabei, das Eisfischen-Event vorzubereiten.
„Oh nein…“
Ehe ich realisiere, was Sebastian meint, lehnt er seinen Kopf an meine Schulter, um sich zu verstecken.
„Sebby, du musst dich nicht vor mir verstecken, ich hab dich schon gesehen, als ihr angekommen seid“, meint Robin mit neutralem Gesichtsausdruck.
„Was willst du, Mum?“, murmelt Sebastian gegen meine Jacke.
„Dein Dad hat mir gesagt, dass du bei Ryan bist. Wieso meldest du dich nicht bei mir? Ich schreibe dir seit Tagen.“
Genervt nimmt Sebastian von mir Abstand, er sieht seine Mum an. „Weil ich nicht mehr Teil dieser Scharade einer Familie sein möchte. Ich bin es leid, immer Demetrius’ Sündenbock zu sein. Egal, was das Problem ist, immer bin ich schuld und das möchte ich nicht mehr. Er hat große Mitschuld daran, dass ich nichts auf die Reihe bekomme. Wie soll jemand sein Potenzial entfalten, wenn er doch immer nur klein gehalten wird? Ich wohne jetzt bei Ryan. Er akzeptiert mich wie ich bin und er schätzt meine Gesellschaft, im Gegensatz zu meiner ach so tollen Familie.“
Ich traue mich kaum, in Robins Gesicht zu sehen, doch ich sehe die Rothaarige dennoch an. Meine Neugierde siegt.
Mit traurigen Augen antwortet sie ihrem Sohn: „Es tut mir leid, dass du dich so fühlst, Sebastian.“ Sie sieht kurz nach oben, in der Hoffnung, ihre Tränen verstecken zu können. Doch ich habe sie gesehen und ich bin sicher, dass Sebastian sie auch gesehen hat. Robin atmet tief durch. „Jetzt ist das alles noch so frisch und du bist wütend, aber ich möchte unbedingt, dass wir darüber sprechen. Wenn nicht jetzt, dann in den nächsten Tagen oder Wochen… Ich kann dich nicht einfach so gehen lassen und so tun als gäbe es dich nicht mehr, du bist mein Sohn.“
Sebastian schüttelt den Kopf. „Ich hab dich lieb Mum, aber ich bin erwachsen und ich hab das Recht auszuziehen. Wenn der blöde Schnee geschmolzen ist, dann hole ich meine Sachen…“
Robin nickt. „Okay… aber wir reden noch darüber. Bitte, Sebastian.“
„Mhm… vielleicht…“ Robin will sich verabschieden, sie kommt auf Sebastian zu, doch er nimmt ein wenig Abstand. „Mum, bitte… Ich bin wirklich sauer auf dich.“
„Es tut mir leid, dass ich mich nicht für dich eingesetzt habe, Sebby“, entschuldigt sie sich leise. „Habt ein schönes Festival, ihr Zwei.“ Robin streicht über meine Schulter, als sie wieder von uns Abstand nimmt und sich zu ihrem Mann begibt.
„Das war ja furchtbar“, drückt Sebastian genervt heraus.
„Sie ist traurig, Sebastian. Es tut ihr weh, dass du weggegangen bist und dich nicht einmal mehr meldest.“
„Ja, das kann schon sein, aber was ist mit mir und meinen Gefühlen? Ich bin auch traurig. Ich bin traurig, weil sie sich nie auf meine Seite stellt. Sie beschützt mich nie vor den falschen Anschuldigungen. Das ist unfair… Ich wünschte, ich wäre bei Dad aufgewachsen, aber nein… ‚Ein Kind gehört ja zu seiner Mutter.‘ Scheiß dämliche Gesetze, was für ein Scheiß…“
„Wir hätten nicht herkommen sollen“, meine ich leise. „Entschuldige, Sebastian.“
„Es ist nicht deine Schuld, Ryan. Du kannst nichts für meine kaputte Familie.“
„Aber es tut mir ehrlich leid. Lass uns gehen, wir verstecken uns im Bett vor der kalten Welt und sehen uns ein paar doofe Filme an. Ich will es wieder gut machen.“
Sebastian sieht sich um, er scheint zu überlegen. Als sein Blick wieder auf mich fällt, lächelt er ein wenig.
„Wenn du es wieder gut machen möchtest, dann genieß das Festival, okay? Setz wieder dieses unverwüstliche Ryan-Lächeln auf. Ich mag das ganz gerne.“
„Mein Lächeln?“, frage ich mit eben diesem Lächeln auf meinen Lippen.
„Genau das meine ich. Das schlimmste ist schon passiert, jetzt kann es eigentlich nur noch besser werden.“
Der Bürgermeister bittet um unsere Aufmerksamkeit. Sieht so aus, als würde das Eisfischen losgehen.
„Hey“, spricht Sebastian leise. „Du stehst doch auf Iglus. Lass uns das Iglu ansehen.“
„Aber das gehört doch-“
„Sch…“, unterbricht er mich. Ich kann kaum einen weiteren Atemzug machen, schon zieht Sebastian mich Richtung Iglu.
Während die restlichen Dorfbewohner sich das Event ansehen, klettern wir frech in das Iglu. Sebastian nimmt mir meinen Tee ab, sodass ich zuerst hinein krabbeln kann. Er kniet sich hin, reicht mir dann beide Becher, ehe auch er zu mir hinein kommt.
„Das ist so cool“, sage ich leise, als ich das Schneedach über mir betrachte. „Und irgendwie warm hier.“ Als ich zu meinem Freund sehe, wirkt er wieder zufriedener.
„Ja, ist schon ganz okay. Unser Iglu wird aber cooler, viel cooler.“
„Du hast schon Ideen?“, frage ich, worauf er nickt.
„Wir werden auf jeden Fall den Boden auslegen, damit unsere Hintern nicht so frieren. Wir nehmen eine Thermoskanne mit und machen es uns mit Tee und Keksen gemütlich.“
„Das… klingt ja schon fast romantisch…“
Sebastian schmunzelt. „Ja, ein bisschen… albern, oder?“
Ich zucke mit den Schultern. „Weiß nicht… Ich find’s irgendwie schön.“
„Na dann kann ich es ja zugeben: Ich finde die Vorstellung auch schön. Das wird bestimmt gemütlich. Ich freue mich schon auf unser gemeinsames Iglu.“
„Und ich erst. Danke, dass wir hierhergekommen sind, Sebastian.“
„Kein Ding, Ryan. Für dieses Lächeln verlasse ich gerne das Bett.“
Er stupst an meine Wange, was mich zum Lachen bringt.
Ich widme mich meinem Tee, auch Sebastian trinkt aus seiner Tasse. Der Tee schmeckt herrlich nach Zimt, Sebastian und ich genießen die schönen Seiten eines fremden Iglus und außerdem warten da draußen noch einige Bratkartoffeln auf mich, die ich unbedingt probieren möchte. Ich bemerke, dass Sebastian mich ansieht, während ich die Decke des Iglus betrachte. Als unsere Blicke sich treffen, lächelt er mich breit an.
Der Vorfall von eben ist also vergessen. Gut, für einen Moment wäre ich lieber gegangen, doch jetzt kann ich den Tag mit einem guten Gewissen genießen. Mein erstes Festival of Ice wird mir auf jeden Fall in guter Erinnerung bleiben.
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