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Kapitel 13
Festliche Stimmung
Ich stöbere in dem Karton, der schon seit Tagen geduldig darauf wartet, ausgepackt zu werden. Auf dem braunen Karton steht ‚Winterdekoration‘, daneben habe ich eine Schneeflocke gezeichnet. Ich freue mich schon darauf, meinem Zuhause einen festlichen Anstrich zu verpassen. Es ist das erste Mal, dass ich das Farmhaus mit zauberhafter Dekoration schmücken werde. Ich bin schon richtig aufgeregt und gespannt, was Sebastian sagen wird. Hoffentlich freundet er sich mit meinem Kitsch an.
Die Lichterketten, die Sebastian für die Deckenburg genutzt hat, hat er aus dieser Kiste geklaut. Abgesehen von Lichterketten habe ich viele andere schöne und vor allem glitzernde Sachen hier untergebracht. Ich besitze Kerzen in verschiedenen Farben, ein Lebkuchenhaus aus Porzellan, das ich gleich mit einem Teelicht beleuchten werde und jede Menge Schmuck, der meinen künstlichen Baum zieren wird. Aufgeregt wie ein kleines Kind, wickle ich das Lebkuchenhaus aus dem weichen Stoff, der es das restliche Jahr über schützt. Ich stehe auf und stelle es auf meine Kommode. Auf dem Couchtisch steht bereits eine geöffnete Packung Teelichter. Ich nehme eines heraus und zünde die Kerze an. Mit einem kleinen Schubs schiebe ich die kleine Kerze an ihren Platz.
„Sebastian, sieh mal!“, freue ich mich aufgeregt. Er kommt von der Küche ins Wohnzimmer und sieht mich fragend an.
„Was ist denn?“
„Da, sieh mal“, wiederhole ich mich aufgeregt, zeige dabei auf das leuchtende Lebkuchenhaus. „Das ist immer das Zeichen, dass die Festtage vor der Tür stehen.“
„Deine Art dich über etwas zu freuen ist so besonders.“
„Hm?“
„Du strahlst aus jeder Pore. Du reagierst auf diese Kleinigkeit, als wäre dir gerade das beste passiert, was dir jemals hätte passieren können. Das ist so niedlich.“ Sebastian grinst breit, als er mich ansieht.
„Ziehst du mich etwa auf?“
Er schüttelt den Kopf. „Nein, nein gar nicht.“ Nun ist das harte Grinsen zu einem weichen Lächeln geworden. „Diese Freude ist echt ansteckend.“ Mein Freund legt seinen Arm um mich, er zieht mich etwas zu sich und küsst meine Wange. „Wie lange hast du das Lebkuchenhaus schon?“
„Puh… Ich weiß auch nicht… das war immer irgendwie da. Ich schätze, dass es meiner Mum gehört hat. Als sie gegangen ist, war ich leider noch zu klein. Ich kann mich nicht an sie erinnern, aber ich erinnere mich daran, dass Dad die Festtage immer damit eingeleitet hat, das Lebkuchenhaus aus dem Schrank zu holen und eine Kerze anzuzünden. Er hat nie viel Wert auf Dekoration gelegt, doch im Winter war das anders. Es war…“ Ich seufze. „Es sind nicht nur gute Erinnerungen, Sebastian. Die ersten Wintertage, noch bevor die Glühweinstände geöffnet sind, waren die Ruhe vor dem Sturm. Dad war bemüht, das Haus zu dekorieren. Wir haben zusammen einen Baum besorgt und ihn geschmückt. Wir haben Lichterketten aufgehängt und eben auch dieses eine Teelicht angezündet.“
„Erinnere dich an die guten Tage, Ryan.“
„Wenn es keine schlechten Tage gibt, können wir das Gute nicht so schätzen, wie wir es sollten“, antworte ich ruhig. „Dad war zu den Festtagen immer betrunken. Es gab nie eine Ausnahme. Nie. Ich kann mich an kein Feast of the Winter Star erinnern, an dem er nicht betrunken war. Während die anderen Kinder und Jugendlichen Geschenke bekommen haben, habe ich meinen betrunkenen Dad zugedeckt und mich darum gekümmert, sein Erbrochenes wegzuwischen. Es war nicht schön, das alles mitzumachen…“
„Ryan…“
Meine Augen fixieren das Lebkuchenhaus, das so viel Schönes, aber auch viel Schlechtes mit sich gebracht hat. „Er ist kein schlechter Mensch, Sebastian. Er war nur sehr traurig, er war überfordert mit mir, mit sich selbst und damit uns über Wasser zu halten. Klar wäre es ohne Alkohol leichter gewesen… aber wie hätte ich ihm das sagen sollen? Wie hätte ich meinem Dad ins Gesicht sagen sollen, dass er aufhören soll zu trinken…? Er hat mir nie wehgetan, aber er hat mir oft die Schuld für seinen Zustand gegeben. Er hat mich angeschrien, mir gesagt, dass er ohne mich besser dran ist und er hat mich in mein Zimmer geschickt, damit er mich nicht mehr ansehen muss… und trotzdem habe ich auf ihn aufgepasst und versucht, ihm zu helfen. Ich hab mich in der Schule angestrengt, meine Klamotten oft selbst gewaschen, den Haushalt geführt, nur damit niemand mitbekommt, dass es Dad schlecht geht. Niemand sollte denken, dass ich ein armes, vernachlässigtes Kind bin.“ Sebastian nimmt meine Hand, er drückt sie etwas. „Als Dad nach so einer Nacht wieder nüchtern war, konnte er sich nie an die Worte erinnern, die er mir an den Kopf geworfen hat. Da war er wie ein anderer Mensch. Da hat er seine wahre Seite gezeigt. Dad ist nett, freundlich, aufmerksam, liebevoll… Der Alkohol hat meinem Dad nie gut getan und er hat mir meine Kindheit genommen, aber er hat auch dafür gesorgt, dass ich jetzt bin, wie ich bin. Man sollte die schönen Augenblicke feiern, solange sie da sind, Sebastian. Vielleicht freue ich mich deswegen so sehr über Kleinigkeiten, die für andere nichtig sind.“
Ich werde in eine zärtliche Umarmung gezogen. Sebastian streichelt meinen Rücken.
„Du bist der stärkste und wunderbarste Mensch, den ich kenne. Andere hätten sich gehen lassen, sie hätten selbst getrunken oder Drogen genommen, um der Realität zu entkommen, aber du hast das Beste daraus gemacht.“
Ich erwidere die Umarmung kraftlos. Die Erinnerungen in meinem Kopf rauben mir die Energie. Ich habe oft geweint und mir ein anderes Leben gewünscht, zu Yoba gebetet und gefleht, dass er meinem Dad hilft. Yoba selbst konnte nichts tun, aber er konnte mir helfen, genug Kraft zu schöpfen, um weitermachen zu können. Und das habe ich getan. Ich werde immer weitermachen, egal was mir das Leben entgegen bringt.
Ich schluchze etwas, doch Sebastian wischt mir schnell die Tränen von den Wangen. Um mich ein wenig aufzuheitern gibt er mir einen sanften Kuss, außerdem werde ich nach wie vor gestreichelt.
Leise schlägt Sebastian vor: „Ich mache uns Tee und dann helfe ich dir beim Dekorieren. Wir können uns demnächst auch einen Baum besorgen.“
„Ich hab einen Kunststoffbaum“, antworte ich kratzig, räuspere mich dann. „Ich mag den Gedanken nicht, dass wir einen Baum abholzen, nur um ihn zu schmücken. In Zuzu City werden die armen Bäume nach den Feiertagen einfach vor die Tür geworfen.“
„Na dann sollten wir deinen Baum zusammenstecken und ihn strahlen lassen.“ Sebastian löst die Umarmung. Er nimmt mein Gesicht in seine Hände und küsst vorsichtig meine Nase. „All die schlechten Dinge sind längst vorbei. Lächle wieder, Ryan. Dieses Jahr sorge ich dafür, dass du das Feast of the Winter Star bekommst, dass du verdient hast. Das einzige, was du nach den Feiertagen aufwischen wirst, wird Glitter und vielleicht Kekskrümel sein. Es wird alles gut, jetzt wo du bei mir bist.“
Sebastian versiegelt sein Versprechen mit einem zarten Kuss, den ich vorsichtig erwidere.
…
Nach einer Pause mit Winterzauber-Tee und einer kurzen Besprechung bringen wir das Haus auf Vordermann. Wir nutzen die Gelegenheit, gleich einen Großputz zu veranstalten. Da Sebastian und ich ungefähr gleich groß sind, braucht auch er eine Leiter, um die Oberflächen der Schränke und die Lampen sauber zu machen.
„Irgendwie habe ich erwartet, dass es hier oben schmutziger ist. Du bist nicht nur ordentlich, sondern putzt auch noch gern, kann das sein?“
„Mhm. Ich fühle mich am wohlsten, wenn alles sauber und ordentlich ist.“
„Na dann muss ich mich an meiner eigenen Nase fassen und in Zukunft auch mehr Wert darauf legen, keinen Saustall zu hinterlassen. Ich hab das oft schweifen lassen, wenn es mir nicht so gut ging.“
„So geht’s uns doch allen. Wenn man keine Kraft hat, dann muss man irgendwo Abstriche machen“, antworte ich verständnisvoll. Ich wische gerade die letzte Kommode ab.
„Apropos Kraft… Ich bin total erledigt. Jetzt glänzt zwar die gesamte Hütte, aber nicht wegen den Lichterketten, sondern weil wir alles geputzt haben.“ Sebastian steigt von der Leiter. Er steckt den Staubsauger an. „Nur noch der Boden und wir sind fertig.“
„Lass nur. Nimm eine warme Dusche und ich mach das in der Zwischenzeit. Dann gehe ich duschen und du machst eine kleine Pause und dann dekorieren wir.“
„Du hast für jede Situation die passende To-Do-Liste in deinem Kopf.“ Sebastian gibt mir einen Kuss. „Wir können das Dekorieren aber auch verschieben und zusammen duschen.“
Etwas unsicher lehne ich Sebastians Vorschlag ab: „Ich weiß nicht, ob ich die Deko warten lassen kann. Ich freue mich schon die ganze Zeit auf die Lichter und die glänzenden Kugeln.“
„Okay, dann machen wir das noch unbedingt heute, ich will, dass du dich gut fühlst.“
Während wir uns ein weiteres Mal umarmen, blicke ich aus dem Fenster. Eigentlich eher zum Fenster, denn außer Schwarz, erkenne ich nur unser Spiegelbild. Sebastian drückt mich an sich, außerdem streichelt er mich, wie er es sooft macht. Ich schließe die Augen, um den Moment der Ruhe noch zu genießen. Der Staubsauger wird eine Weile Lärm machen…
…
Bereit für das Dekorieren trete ich aus dem Badezimmer.
„Überraschung“, begrüßt Sebastian mich breit lächelnd. „Ich hab deinen Baum zusammen gebastelt.“
„Awww. Du solltest doch eine Pause machen.“
„Ach Quatsch.“ Sebastian schaltet das Licht aus. Das Feuer im Kamin erhellt den Raum noch ein wenig. Sebastian werkelt an der Steckdose, kurz darauf erhellen Lichterketten den Kunststoffbaum. Staunend sehe ich auf die Lichter des Baumes. Ich verstehe nicht, wieso LEDs diese Wirkung auf mich haben, doch sie machen mich sofort fröhlicher.
„Genau das wollte ich erreichen. Deine Augen strahlen wieder.“
Ich falle Sebastian in die Arme. Es könnte sein, dass der sonst wütende Festtagssturm dieses Jahr wirklich durch Ruhe und eine schöne, besinnliche Zeit abgelöst wird. Dieses Feast of the Winter Star wird mich nicht enttäuschen. Ich muss nicht dafür sorgen, dass jemand in der stabilen Seitenlage liegt, ich muss mich nicht darum kümmern Alkohol vom Boden zu wischen. Ich kann mich in eine Decke kuscheln, Tee trinken und mich von der festlichen Stimmung einhüllen lassen. Ich kann sie genießen und zur Ruhe kommen. Die vergangenen Erlebnisse werden mich nicht länger in die Zukunft verfolgen.
„Ich persönlich würde schwarze Kugeln bevorzugen, aber du hast nur bunte“, erzählt Sebastian, als er sich von mir löst. Mit einem Klick vertreibt Sebastian die Dunkelheit, das Licht geht wieder an.
„Schwarze Festtagsdeko? Gibt’s so etwas denn?“, frage ich neugierig nach. „Ich hab das noch nie gesehen, aber wenn du magst, können wir das nächstes Jahr machen. Ich wäre nicht abgeneigt, etwas Neues auszuprobieren.“
„Ach echt?“ Sebastian wirkt fröhlich. „Mum wollte das nie, weil der Winter ja ohnehin schon so trüb ist.“
„Das kann man doch kombinieren. Silber und schwarz oder rot und schwarz, das passt auch gut zusammen und man hätte bisschen Farbe dabei und Lichterketten erhellen sowieso alles, egal welche Farbkombination man wählt.“ Sebastian kniet sich hin. „Stimmt, aber das überlegen wir uns nächstes Jahr. Jetzt haben wir deine Deko zur Auswahl. Also… Du hast hier Violett, Blau, Rot, Silber und Gold.“
„Nehmen wir die Lilatöne?“, schlage ich mit einer Frage vor. „Ich weiß, wie gern du lila hast.“
„Damit kann ich mich zufrieden geben.“
Sebastian packt die bunten Kugeln aus. Über die Jahre habe ich immer mal wieder eine neue Packung Kugeln gekauft, sobald ich etwas Geld übrig hatte. Einige davon sind mit weißem Glitter bedeckt, der vorgetäuschten Schnee darstellen soll, andere glänzen, wieder andere sind matt. Meine liebsten Kugeln sind allerdings mit violettem Glitter überzogen. Ich liebe Glitter. Kann sein, dass das ein Klischee ist, dass Männer, die etwas für andere Männer übrig haben, auch auf Glitter stehen, doch bei mir trifft das einfach zu. Alles, was glitzert hat mich immer schon magisch angezogen. Bei Lichtern verhält es sich ähnlich. Meinen Wasserkocher habe ich mir zum Beispiel nur ausgesucht, weil er blau leuchtet, sobald man ihn einschaltet.
Nach und nach befestigt Sebastian kleine Haken an den Kugeln, damit ich diese an den Ästen meines Baumes befestigen kann. Kugel für Kugel hänge ich an meinen Baum. Zu guter Letzt reicht Sebastian mir noch eine Girlande, die ich um meinen Baum wickle.
Zufrieden für heute nehme ich Abstand von unserem ersten, gemeinsamen Festtagsbaum. Ich schalte das Licht aus und lasse mich neben Sebastian auf den Boden sinken. Er legt sofort einen Arm um mich, küsst sogar meine Wange.
„Zufrieden?“, fragt er ruhig, was ich mit einem Nicken bejahe.
Ich räuspere mich und spreche etwas an, über das ich schon eine Weile nachdenke: „Sag mal… Ich hab vorhin unter der Dusche nachgedacht und wollte dich fragen, ob wir uns etwas schenken. Die Zeit ist etwas knapp, ich weiß…“
„Also ich für meinen Teil habe schon ein bisschen durch deine Sachen gestöbert, um herauszufinden, was ich dir schenken könnte“, antwortet mein Freund.
„Du stöberst in meinen Sachen?“
„Stöbern ist das falsche Wort“, beruhigt Sebastian mich. „Stell dir vor, du hast 10 Töpfe und all deine Freunde schenken dir einen Topf. Wäre doch unpraktisch.“
„Du willst mir einen Topf schenken?“, frage ich verwirrt. „Ich hab Töpfe, Sebastian.“
„Siehst du“, bestätigt Sebastian. „Und weil ich das jetzt weiß, bekommst du keinen Topf von mir.“
„Du machst mich neugierig…“
„Hast du denn eine Idee, was du mir schenken könntest?“, fragt Sebastian nach. „Also eigentlich wüsste ich nicht, was ich mir wünsche. Zum Geburtstag hab ich einen sexy Boyfriend bekommen und mehr wollte ich dieses Jahr nicht mehr erreichen, ich bin eigentlich schon im Winterschlaf.“
„Du bist süß“, bedanke ich mich für dieses Kompliment. „Und natürlich auch sexy.“
Forsch klettere ich auf Sebastians Schoß. Er legt sofort eine Hand an meinen Hintern, die andere an meinen Rücken. Ich lege meine Arme um Sebastians Hals, falte meine Finger in seinem warmen Nacken zusammen.
„Wie wäre es mit einem kleinen Kuss?“, frage ich nach.
„Oh ja, bitte“, antwortet Sebastian lächelnd.
Ich beuge mich zu ihm und unsere Lippen treffen sich. Ich schmecke Zimt an seiner Zunge, als wir uns berühren. Sebastian drückt mich an sich, ich helfe ihm, dafür zu sorgen, dass der Abstand zwischen uns verschwindet. Meine Hände lösen sich voneinander. Eine Hand rutscht bis zu seinem Hals. Unter meinen Fingerkuppen spüre ich seinen beschleunigten Herzschlag, ich reagiere nicht anders auf diesen Kuss.
„Sebastian?“, hauche ich gegen seine Lippen.
„Ja, Ryan?“
Er lehnt seine Stirn gegen meine. Ich spüre seinen warmen Atem an meiner Haut.
„Ich liebe dich…“
„Ich liebe dich auch.“
Im Schein unseres festlich geschmückten Baumes bekomme ich einen sanften Kuss, dann noch einen und noch einen weiteren. In meinen Augen könnte es nicht romantischer sein, als sich bei gedimmter Beleuchtung der Liebe hinzugeben, die Nähe eines geliebten Menschen zu genießen und sich einfach nur zu küssen. Sebastian scheint das ähnlich zu sehen, denn er verwickelt mich in einen weiteren tiefen Kuss.
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