Anna
Verschlafen versuche ich nach einer Decke zu suchen. Mein Verstand ist noch zu benebelt um zu bemerken, dass er fehlt. Alex ist nicht hier. Die Seite auf der er vorhin gelegen hat ist kalt. So wie mir. Um sicher zu gehen, suche ich mit meinen Fingern nach dem Lichtschalter. Mit der großen Hoffnung, dass er doch vielleicht bei mir ist, schalte ich das Licht an. Doch auch wenn ich durch das grelle Licht meine Augen zuerst schließen muss, erkenne ich schon, dass er nicht hier ist. Er ist gegangen. Einfach so. Wieder einmal.
Die Theorie, dass er vielleicht nur kurz weggegangen ist, verwerfe ich sofort. Irgendwie spüre ich, dass er auf eine gewisse Art und Weise vor mir geflüchtet ist.
Mein Verstand versucht zwar einzusehen, dass er keine Verpflichtungen mir gegenüber hat, aber trotzdem schmerzt es.
Wir sind nicht zusammen und ich kann nicht von ihm verlangen, dass er jede Sekunde mit mir verbringen möchte. Also versuche ich die plötzliche Leere und den dumpfen Schmerz in meinem Herz zu verdrängen.
Doch als die Erinnerung an unsere gemeinsamen Stunden wieder in meinem Kopf auftaucht, kommt der Schmerz nun an die Oberfläche. Verlegen und enttäuscht vergrabe ich mein Gesicht in dem weichen Kopfpolster, der zu meinem Bedauern noch immer nach Alex riecht.
Wie konnte ich nur so blöd sein und mit ihm schlafen? Am liebsten würde ich ja zu mir selbst sagen, dass ich eine Schlampe bin. Wie konnte ich das nur zulassen? Aber Alex macht mich einfach verrückt. Ich kann an nichts anderes denken, als an diese Augen.
Plötzlich sind wieder all diese Gefühle in mir. Gefühle die ich schon gespürt habe, als ich dass Erste Mal in seine Augen geblickt habe, obwohl ich ihn nicht kannte. Um mich nicht weiter selbst anzulügen, muss ich mir eingestehen, dass ich ihn auch jetzt noch nicht kenne. Ich bin mir nur in einer Sache im Klaren: Ich kann ihm nicht so viel bedeuten, wie er mir in diesen letzten Stunden. Auch wenn er mir das Gefühl gegeben hat, dass er nirgendwo lieber sein möchte, als bei mir, ist er dennoch gegangen.
Aus meiner Trauer wird Wut. Wut auf ihn und auf mich selbst. Ab jetzt werde ich ihn nicht mehr so einfach an mich heranlassen. Ich muss einfach mit meinem Verstand denken und nicht mit meinem Körper. Denn dieser reagiert jedes Mal auf ihn und drängt meinen Verstand vollkommen in den Hintergrund.
Nach weiteren Minuten in denen ich mich selbst bemitleide, blicke ich das erste Mal auf die Uhr, die auf den kleinen Nachtkästchen steht. Drei Uhr Morgens. Wie lange er wohl schon weg ist?
Wo ist er eigentlich hin? Ist er in seinem Zimmer?
Die Neugier zerfrisst mich. Doch ich kann nicht einfach in sein Zimmer gehen. Er ist gegangen. Er hat mich wieder einmal alleine gelassen. Verärgert lasse ich mich wieder zurück auf das Kissen fallen und dränge mich dazu, wieder einzuschlafen.
Doch es klappt nicht. Es wäre wohl zu schön gewesen, wenn ich mich einfach in eine Traumwelt hätte flüchten können. Es sind einfach zu viele Fragen in meinem Kopf.
Irgendetwas muss ich tun, um mich abzulenken. Ansonsten drehe ich wohl vollkommen durch und würde letztendlich doch in seinem Zimmer stehen und ihn stalken wie eine Psychotante.
Erst bei einem Blick auf meine Hände, kommt mir der Gedanke, dass ich meine Neu erlernten Fähigkeiten ausprobieren könnte. Ich sollte sowieso lernen damit umzugehen.
Doch was soll ich machen? Ich weiß noch nicht viel. Ich weiß nicht einmal mit Sicherheit, wie ich meine Kräfte einsetzen kann.
Doch nach weiteren Sekunden, denke ich an Alex`s Augen. Die Übung die ich mit ihm und Nathan gemacht habe. Ich könnte es bei Alex versuchen.
Also bette ich meinen Kopf in das gemütliche Kissen und schließe meine Augen. Ich lenke meine ganze Konzentration auf Alex's Augen.
Doch das Bild vor meinem inneren Auge bleibt in schwarz gehüllt. Kein einziger Lichtblitz. Kein einziges Bild ist zu sehen.
Aber ich will auch nicht aufgeben. Zu sehr beschäftigen mich diese Fragen und würde ich mit seinen Augen sehen können, dann würde ich erfahren wo er gerade ist.
Also versuche ich es nochmal. Dieses Mal jedoch mit einem stärkeren Willen als vorhin. Und siehe da, ich habe ein verschwommenes Bild vor meinen Augen.
Um es deutlicher zu mache, versuche ich mir noch mehr zu konzentrieren. Dass Gefühl von Stolz überkommt mich, als das Bild vor meinen Augen scharf wird. Doch dieses Hochgefühl hält nicht lange an. Denn als ich dieses Gesicht in Alex`s Blickfeld sehe, stoppt meine Atmung für einen kurzen Moment. Warum ist Peter bei ihm?
Die Verwirrung macht mich schier wahnsinnig und ich versuche immer wieder, die Beiden mit irgendeiner anderen Verbindung zu verknüpfen, als diese, dass sie durch diese Übernatürliche Welt miteinander verbunden sind.
Was hat Peter mit Alex zu tun? Ja gut, Peter hat ihn in der Werkstatt auch gesehen, aber er hat ihn nicht mal wirklich angesehen. Also es hat zumindest nicht so gewirkt, als würden sich die Beiden kennen. Ich sehe noch immer Peter vor mir und bin erstaunt dass er so herzhaft mit Alex lachen kann. Es scheint als wären die Beiden in einer Bar oder so etwas Ähnliches. Ich sehe wie die beiden nach einem Drink greifen und an Peter's Augen sehe ich, dass es schon mehrere Drinks gewesen sein müssen. Es ist irgendwie anstrengend meine Kräfte so einzusetzen, aber ich kann auch nicht aufhören, da ich wissen will was hinter dieser Geschichte steckt.
Als ich die ganze Situation noch länger betrachte, erhebt sich Peter von einem alten Barhocker und Alex ebenso. Ich kann es sehen, da sich sein Blickfeld verändert. Die beiden gehen durch diese wirklich scheußliche Bar und Alex folgt Peter durch die Tür nach draußen. Warum ist Alex eigentlich lieber in einer Bar als bei mir zu sein? Ich bin wütend und von ihm enttäuscht. Oder besser gesagt von mir. Wie konnte ich mich nur so täuschen lassen? Ich dachte wirklich, er hätte auch Gefühle für mich. Am liebsten würde ich ihn in diesem Moment anschreien.
Doch was ich in dem nächsten Moment sehe, lässt mich alles vergessen. Dass kann einfach nicht sein. Der Anblick von Peter, der sich in dieser Sekunde in einen Wolf verwandelt, lässt mich fast durchdrehen. In diesem Augenblick wünschte ich mir nichts sehnlicher, als dass meine Phantasie meiner Kraft einen Streicht spielt. Oder auch eben umgekehrt. Alles wäre mir lieber, als zu sehen, dass einer meiner Besten Freunde, mich angelogen hat.
Und schon verbinden sich weitere Gedankenfäden in meinem Kopf. Wenn Peter ein Werwolf ist und Alex es auch weiß, dann müssen die beiden unter einer Decke stecken. Wie konnte es mir Peter nur so lange verheimlichen und mir ebenfalls soviel vormachen? Wie kann Peter mir nur so etwas antun? Wieso vertrauen ich immer den falschen Leuten? Der Schmerz über Peter`s Verrat schmerz noch mehr, als der von Alex. Peter war Jahrelang mein Freund. Dachte ich.
Ich bin gerade davor, völlig durchzudrehen. Ich muss hier weg. Ich muss aus diesem Haus raus. Ich will Alex einfach nicht mehr sehen müssen. Ich bin in diesem Moment so verletzt. Meine Augen öffnen sich und die heißen Tränen laufen wie kleine Rinnsale über meine Wangen. Jetzt haben sie mir endgültig das letzte bisschen Vertrauen genommen. In meinen Gedanken wäge ich schnell meine Optionen ab.
Eines weiß ich bereits jetzt. Ich will nicht hier bleiben. Ich kann nicht hier unter einem Dach mit Alex leben. Aber ich muss trotz allem Marius aufhalten. Diese Aufgabe habe ich mir gestellt und ich werde alles dafür tun, um ihn aufzuhalten. Auch wenn das heißt das ich hier bleiben muss um weiter zu üben. Die einzige Möglichkeit die ich jetzt habe, ist meine Sachen zu packen und zu Luna zu gehen.
Ohne nochmals großartig darüber nachzudenken, packe ich meine Sachen.
Dabei macht es mich noch wahnsinniger, dass es nicht einmal wirklich meine Sachen sind. Alles hier ist von Alex. Alles hier ist Alex. Einfach Alles und ich kann es nicht ertragen noch länger hier zu sein. Schnell ziehe ich mir die dunkle Jeans und die neuen Sneakers an... die mir auch John gekauft hat. Verdammt nochmal.
Aber mehr bekomme ich im Moment nicht. Ich habe nur dass hier. Also schnappe ich mir die Sachen und gehe mit schnellen Schritten zur Tür.
Bei dem Treppenabsatz angekommen, beschleunige ich meinen Schritt und stolpere fast, was mich noch wütender macht und meine Augen schon wieder mit Tränen füllen lässt.
Ich will einfach alles hinter mich bringen und dann wieder zu meinem „normalen“ Leben zurückkehren.
Die kühle frische Luft strömt in meine Lungen, als ich die Tür nach draussen öffne.
Für einen kleinen Moment halte ich inne und schließe meine Augen, bevor ich nochmals tief die Luft in meine Lungen ziehe. Hier draussen fühlt es sich nicht mehr so beengt an, wie in diesem Zimmer, in dem mich alles an Alex erinnert. Einem Alex, der mir schon wieder einen kleinen Riss in meinem Herzen zugefügt hat. Doch den größeren Riss hat mir Peter`s Verrat zugefügt.
Also brauche ich Abstand von Beiden hier. Entschlossen öffne ich meine Augen, um mich auf den Weg zu Luna zu machen. Doch mein Herz springt mir fast aus der Brust, als ich in die überraschten eisblauen Augen vor mir blicke.