Er hatte Versagt. Auf ganzer Linie. All seine Mühen, all seine Bestrebungen und Träume waren für die Katz gewesen. Und das Schlimmste daran? Niemand wusste es. Denn trotz der für ihn so offensichtlichen Schmach dessen, vollkommen gescheitert zu sein, zeugte eine unteramgroße vergoldete Statuette neben seinem Unterschenkel auf dieser marmornen Bank, von seinem krönenden Erfolg. Wie ironisch. Wie überaus lachhaft.
Schnaufend ließ Felix Jeger den Kopf hängen und machte sich weiter Notizen. Wenn schon niemand anderes erkannte, was für ein gottloser Versager er doch war, dann musste er sich eben selbst der härteste Kritiker sein.
"Erstens", murmelte er zu sich selbst, "die Farbakzentuierung."
Denn die war erschreckend grauenerregend gewesen. Hatten die Jurymitglieder noch davon geschwärmt, wie überaus lebensecht und geradezu herausragend pointiert sein Farbenspiel die wildlebende Flora und Fauna des Nadel- und Laubwaldes der österreichischen Berglandschaft getroffen hatte, so war Felix entsetzt, wie stümperhaft er gearbeitet hatte. Die Grüntöne waren zu grell, das Braun zu warm und bei seiner Ehre, er war sich sicher, dass die Lichtreflexionen, die er als Wasserspiegelungen vorgesehen hatte, ins Gelbstichige abdrifteten. Es war zum Haareraufen.
"Zweitens", führte Felix seine Liste fort, notierte gewissenhaft jeden Stichpunkt sorgfältig, wenn schon die hoch dekorierten Juroren nicht in der Lage gewesen waren, seine Fehler zu sehen, "die Technik."
Denn diese war nicht, wie angepriesen geradezu meisterhaft und elegant gewesen. Nein, vielmehr erinnerte sie an ein einziges Schlachterwerk. Wie hatte er nur einen so groben Pinsel wählen können? Eine Schandtat war es gewesen, einen Spachtel zur Hand zu nehmen, um Textur in gewisse Aspekte seines Werkes bringen zu wollen. Viel sanfter hätte er mit den Materialien umgehen müssen, um die Gipfelkette im Hintergrund darzustellen. Und der Adler, der über allem kreiste?
"Was hast du dir nur dabei gedacht, du Dilettant?", verteufelte Felix sich selbst. Wie hatte er mit dieser Leistung nur den Wettbewerb gewinnen können? Nicht einmal annähernd reichte es an die Leistungen der vorangegangenen Runden heran.
Seufzend sah der junge Mann auf und auf die wunderschöne Statue vor sich. Wischte sich die vor Scham feuchten Augen. Oder war es Rührung, die ihm den Blick verschleierte? Dieses Meisterwerk hingegen wäre den Sieg wert gewesen. Ein imposantes Gebilde, geschnitzt aus einem einzigen Stück edelstem Kiefernholz. Feinste Kunstfertigkeit zeigte Elemente, die das Waldleben in wildester Pracht präsentierten, gekrönt ebenso durch einen stolzen Adler, der - die kräftigen Schwingen eng an den Körper gelegt - hinabstürzte, um im Sturzflug zum Angriff anzusetzen. Erst auf den zweiten Blick erkannte man die filigran gearbeiteten Füchse, die ihre Köpfe aus einem Bau emporreckten und gen Himmel spähten.
"Typisch", brummelte Felix, "er kann es einfach nicht lassen."
War ja klar, dass sein langjähriger Rivale seinem hochtrabenden Narzissmus nicht hatte widerstehen können. Nein, er war so dreist gewesen und hatte sich in gewisser Weise selbst in seinem Abschlusswerk verewigt.
"Der Fuchs."
"Du hast gerufen?", erklang eine angenehm warme Stimme hinter Felix, der nicht umhin kam, erschrocken zusammen zu zucken, so versunken war er in den aus Perfektion entstandenen Anblick dieser Schnitzerei gewesen. Seufzend wendete Felix sich halb auf der Bank, auf der er saß. In der Galerie, in der die ausgestellten Werke der Wettbewerbsfinalisten präsentiert wurden, war es so schön ruhig gewesen. Er hatte gehofft, dass er nach der Standpauke, die Anton ihm nach der Preisverleihung früher am Abend bereits verpasst hatte, davon gekommen war.
Doch nun stand der brünette Österreicher wieder vor ihm und schien über Felix den Kopf zu schütteln und die Augen gen Decke zu verdrehen. Dabei konnte dieser beim besten Willen nicht ausmachen, warum, denn Anton konnte sich doch nun wirklich geschmeichelt fühlen, dass er sich bequemte, sein Werk zu begutachten. Schließlich war Felix der glückliche Gewinner des Abends. Er hatte zum Beweis sogar hier diese Trophäe! Mit gerunzelter Stirn, verzog Felix bitter den Mund.
"Wenn ich dich so ansehe, bekomme ich schlechte Laune", feixte Anton, nur um sich dann einfach ungefragt zu ihm zu gesellen. Der Bildhauer nahm die Statuette in die Hand und drehte sie zwischen seinen Händen.
"Ich habe dir gesagt, du sollst dich freuen, du Hornochse. Stattdessen sitzt du nur hier und geißelst dich selbst."
Verblüfft starrte Felix den anderen Mann an.
"Woher -?", fragte er perplex.
Beinahe eine beleidigte Miene zur Schau tragend, winkte Anton ab. Schnaubend riss er ihm einfach seine Liste aus der Hand. Mit zaghaftem Protest versuchte Felix noch, ihn davon abzuhalten. Doch wer Anton kannte, wusste, dass man sich ihm nicht einfach so widersetzte, wenn sich dieser etwas in den Kopf gesetzt hatte.
"War ja nicht schwer zu erraten, Jeger", stöhnte Anton und wieder war da dieses Felix' Nerven strapazierende Augenrollen, "was ist das wieder, hm? Wir haben das schon alles besprochen. Ja, dein Bild ist grottig. Unter aller Sau. Dir das aber auch noch wieder und wieder vor Augen zu führen, wird es nicht besser machen. Wir haben alle keine Meisterleistung abgeliefert. Unsere Schaustücke waren schwach. Das von dir. Von Simone, Helena und mir."
Felix konnte gar nicht anders, als schockiert nach Luft zu schnappen. Das hatte Anton doch nicht wirklich über sich und seine Kunst gesagt, oder? Wie konnte er nur behaupten, nicht makellose Arbeit vollbracht zu haben? Wie konnte er an sich zweifeln? Wie -?
"Und jetzt geht dir vermutlich durch den Kopf, wie großartig meine Arbeit doch ist. Wohingegen du der reinste Stümper bist."
Ertappt konnte Felix spüren, wie ihm die Hitze in die Wangen schoss, als Anton so treffsicher seine Gedanken erriet.
Trotzig verschränkte er die Arme, gab den Undurchschaubaren. Er musste den anderen ja nicht zwingend wissen lassen, wie richtig er mit seiner Analyse lag.
"Ach", machte Felix sarkastisch, "und woher wollen Sie das bitte so genau wissen, Herr Freud?"
Schnaubend erhob sich Anton und nahm Felix' Siegestrophäe frecherweise einfach mit, als er gen Empfangsbereich davonschlenderte.
"Meinen Adleraugen entgeht nichts", ließ er über die Schulter verlauten, "Quatsch, im Ernst, Jeger. Ich kenne dich. Du putzt dich einfach zu gern selbst runter. Deswegen ist es so schön einfach, dich bei Wettbewerben aus der Fassung zu bringen. Und jetzt komm endlich ein Glas Sekt mit mir trinken. Die Party ödet mich an, wenn ich nicht derjenige bin, der gefeiert wird, also muss ich mir den Abend schön saufen."
Schnaubend sah Felix zu, dass er seinem Rivalen nachsetzte. Wie nervtötend dieser Mann doch war.