Es war erdrückend. Das erste Mal war es erdrückend hier mit Anton in diesem Haus. Dabei hatte er sich stets sicher gefühlt, war dies für Felix eine Art Zuhause geworden.
Doch seit er die Praxis Hals über Kopf verlassen hatte und blindlinks über das Kopfsteinpflaster geholpert war, immer darauf bedacht, den hinterhältigen Fugen auszuweichen, da war es, als habe dieses Haus seine Wärme und Geborgenheit verloren. Stattdessen blieb ein drückendes Gefühl, das sich auf seiner Brust festgesetzt hatte, ihm das Atmen erschwerte und verhinderte, dass er Anton gegenübertrat, um sich auszusprechen.
Nach seinem Abgang war der Bildhauer erst einige Stunden später durch die Haustür getreten, sichtlich angefressen war er ohne Felix eines Blickes zu würdigen hinauf in den oberen Stock gestampft. Das Knallen der Schlafzimmertür hallte noch immer in den Ohren des jungen Blonden nach. Irgendwann hatte auch das exzessive Reinigen des Untergeschosses nicht mehr ausgereicht, um einerseits seine in ihm schwelende Wut auf diesen mit seinen Problemen stets hinter dem Berg haltenden Mann umzugehen, andererseits fluteten auch erneut die drängenden Gedanken Felix' Geist. Kreisende Gedanken darum, dass es nun eben doch daran scheitern sollte, dass sie sich nach nunmehr über zwei Monaten gemeinsam nicht vertrauten. Anton ihm nicht vertraute, nichts zutraute, noch immer für zu schwach oder nicht würdig hielt.
Was für eine verkorkste Beziehung sie doch führten. Vielleicht sollte er es Anton erleichtern und einfach gehen. Verschwinden, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion seine Sachen packen und verschwinden. Warum nicht? Es sollte dem Maler im Blut liegen, hatte sein Vater schließlich bereits sein eigenes Talent unter Beweis gestellt. Wie der Vater so der Sohn. Warum nicht, ja, warum verflucht eigentlich nicht?
Bitter blinzelte Felix mit den Lidern, verbat sich die Tränen, die in ihm aufzusteigen drohten, war es doch absurd, dass es ihn so fertig machte, wenn Anton es nicht für nötig hielt, ihn in seinen Schmerz einzuweihen. Um sich abzulenken, schaltete der Jungkünstler den Herd ein und setzte Wasser auf. Mit geübten Bewegungen begann er Gemüse in feine, symmetrische Würfel zu schneiden, hackte Knoblauch und setzte einen Sud für eine fruchtige Tomatensoße an. Merklich spürte er, wie er über die routinierte Arbeit ruhiger wurde, die Anspannung langsam aus seinen Schultern wich. Zunehmend klarer wurde sein Kopf, erlaubte Felix, über die Therapiestunde zu reflektieren, statt eingeengt nur seine Sicht auch die Antons nachzuvollziehen. Sicher, er selbst war nicht gerade das, was als belastbar galt und vermutlich hatte sein Partner die Befürchtung, ihn zu überfordern, wenn er sich ihm gegenüber öffnete. Dazu seine Eltern, die als ... ja, hieß das hier eigentlich noch Adel? ... in der Gesellschaft angesehen darauf bestanden, stets als unfehlbar zu gelten. Felix war dies definitiv nicht. Anton tat alles, um dies zu sein.
Doch zu welchem Preis?
"Haben wir noch irgendwo diese Wärmepflaster?", knurrte die Stimme des starken aber so verschlossenen Mannes in Felix' Rücken.
Der Maler hielt in seinem Bestreben, die köchelnde Tomatensoße mit Kräutern abzuschmecken inne, um sich zu seinem Partner herumzudrehen. Insgeheim freute er sich über das zarte Kribbeln in seinen Adern, als Anton andeutete, dass es sich hier doch tatsächlich um ihr beider Heim handelte.
"Hast du oben im Badezimmerschrank nachgesehen?", fragte Felix vorsichtig, wollte er doch dem anderen nicht unterstellen, nicht bereits überall nachgesehen zu haben.
Es kam ihm vor, als tanzten sie auf rohen Eiern umeinander herum. Immer am Rande eines erneut aufblühenden Streits, nicht sicher, wie weit sie gehen konnten, bevor sie die Grenze ihres Gegenübers überschritten.
Der Bildhauer nickte und lehnte sich mit verschränkten Armen an den Türrahmen, ließ sich die dunklen Fransen seines inzwischen recht langen Haares in die Augen fallen, aus denen heraus er Felix analysierend musterte. Sie checkten sich gegenseitig ab, versuchten herauszufinden, wie geladen der andere noch war, ob die Stimmung bereits abgekühlt, ein Gespräch ohne spektakuläres Drama wieder möglich schien und fanden doch keinen Anfang.
Schließlich schritt Felix einfach zum Gefrierschrank und nahm einige Eiswürfel heraus, ließ Wasser in eine große Schüssel laufen und gab die gefrorenen kleinen Stücke hinein. Mit dem Rücken zu Anton, begann er erneut damit, die Soße zu verfeinern, setzte nun auch die Pasta auf, die er getrocknet hatte.
"Steck' die Hände da rein", forderte er Anton auf, "Kältebäder lindern die Schmerzen und lassen die Gelenke abschwellen."
Für einige Sekunden blieb es still, nur das Köcheln der Speisen war zu hören. Dann erklangen dumpfe Schritte und ein Zischen, als der Bildhauer neben ihn trat, um die Hände in die Schüssel zu tauchen.
Es dauerte eine Weile, doch der Körper, dessen Präsenz Felix so sehr bewusst war, entspannte sich merklich neben ihm, ein Seufzen entrang sich Antons Kehle.
Der Jungkünstler wagte es, zu seinem Partner hinüber zu schielen, sah, dass dieser so nervtötend sture Mann seine Augen geschlossen hielt, die Muskeln in seinem Kiefer mahlten. Leicht lächelnd schwieg Felix, kochte stumm neben Anton her, summte lediglich hin und wieder einige Takte, bis er schließlich die Nudeln in der Soße schwenkte. Alles auf zwei Teller füllend, legte er geistesgegenwertig noch Handtücher in den auf niedrigster Stufe vorgeheizten Ofen, deckte den Tisch und blieb dann hinter Anton stehen.
Es kostete Felix doch ein wenig Überwindung, aber er wollte nicht, dass diese komische Stimmung weiterhin in der Luft hing, auch, wenn es zwischen ihnen etwas aufgelockert schien. So überbrückte er die letzten drei, vier Schritte, presste sich an den starken Rücken seines Partners, umschlang seine Körpermitte fest mit seinen Armen und vergrub seine Nase im Nacken des nervigsten aber liebenswertesten Mannes, den er kannte. Anton zuckte leicht zusammen, doch kaum war dies geschehen, konnte Felix spüren, wie der Widerstand in dem Bildhauer dahin schmolz, er sich in die Umarmung lehnte. Einen Kuss auf die zarte Haut des Nackens, direkt unter den dunklen Haaransatz des Bildhauers hauchend, genoss der Maler für einen Augenblick, dass es ihm gestattet schien, der haltende Part sein zu dürfen.
"Riecht es hier angesengt?", wollte Anton da verblüfft wissen, hallte die Vibration seiner dunklen Stimme in Felix' Körper wider.
"Oh Shit!", jaulte der junge Mann auf, "Shit, Shit, Shit!"
Übereifrig doch unwillig löste er sich aus der Umarmung, stürzte zum Ofen und öffnete die Klappe, aus der ihm Qualm entgegenschlug. Hustend wedelte Felix ihn fort, griff beherzt hinein und zog die angekokelten Geschirrtücher heraus. Bedröppelt dreinblickend stand er da, starrte auf das Brandloch, welches sich in eines der Tücher gesengt hatte und ... brach in schallendes Gelächter aus.
Es war die perfekte Metapher seines Lebens, wie dieses wohlig warme Tuch doch etwas ramponiert, aber nicht zerstört den Widrigkeiten trotzte. So war das Leben. Holprig.
"Nimm die Hände aus der Schüssel", bat er Anton, um die ramponierten Handtücher um die kalten Finger zu schlingen. Mit behelfsmäßig angefertigten mollig warmen Kompressen stand Anton nun da und betrachtete erst seine stümperhaften Fäustlinge und dann Felix.
"Du bist schon ein schräger Vogel, Jeger."
Die Zärtlichkeit, mit der diese Worte gesprochen wurden, schlug sich auch in seinem Blick nieder, der Felix durch Mark und Bein gingen. Sich genierend, hob er die Achseln, lief sicherlich so typisch für ihn, feuerrot an.
"Danke", sagte Anton und schlug seine Augen nieder.
Felix trat auf den Bildhauer zu, hob mit seinem Zeigefinger dessen Kinn an, spähte ihm in diese wunderschönen nebelgrauen Augen und schmunzelte. Der Kuss, den er seinem Sturkopf schenkte war alles andere als das, was dieser vermutlich mit seinem Angsthasen verband. Nicht keusch, nicht scheu und sicherlich nicht vorsichtig oder zögernd. Fordernd griff Felix in Antons Hemdkragen, dirigierte ihn mit sich zur Treppe, stolperte mehr rückwärts, als dass er ging.
"Was ist mit dem Essen?", keuchte Anton, als sich für kurze Zeit ihre Lippen nicht mehr berührten.
"Ist eh versalzen", grinste Felix, "das passiert, wenn man verliebt ist."