An und aus. Und an. Und aus. Noch ein letztes Mal. Anstarren. Warten. Noch ein kleines Bisschen länger. Gut. Nächste Lampe. An und aus. Und an. Und aus ...
Felix machte sich bereit, um Antons Haus nach einer Woche voller Ruhe und Frieden zum ersten Mal bewusst zu verlassen, um in eine Art Arbeitstag zu starten. Zugegeben, war es wahrlich nicht so, dass er für sein Tun bezahlt werden würde und nein, er hatte auch keinen Auftrag, verflucht, Felix hatte nicht einmal einen einzigen Stich gezeichnet, seit die Sache im Park geschehen war.
Doch nach intensiven wachen Nächten, in denen er sich und seine Kunst bis ins kleinste Detail analysiert hatte, war der Jungkünstler zu dem Entschluss gekommen, dass er es falsch angegangen war. Noch immer jagte er der Idee hinterher, sein altes Genie wieder zu erlangen, dabei sollte er sich doch mit dem Gedanken anfreunden, nie wieder die Form zu erreichen, wie vor über einem Monat. Dieser Wettbewerb war der Höhepunkt seines Schaffens gewesen, sein Zenit war überschritten, von nun an folgte die Talfahrt in die Gewöhnlichkeit. Sollte Felix folglich das Beste daraus machen und sich die Freiheit gewähren, zu experimentieren, sich auszuprobieren mit Material, Technik und Stilen, in der leisen Hoffnung, mit etwas Glück zumindest noch wieder mit der Kunst an sich Frieden schließen zu können, bevor er dazu überginge, sich einen Job hinter irgendeiner Fastfood-Kette zu suchen. Nicht, dass diese Berufe nicht wichtig wären, nur hatte Felix sich sein Leben immer irgendwie ... bunter vorgestellt.
"Konzentriere dich, Felix", ermahnte er sich, hätte er beinahe einen Schalter übersehen, der zu seiner Verblüffung nicht geknipst sondern gedreht werden konnte. Das verwirrte seinen inneren Drang, konnte er doch nun sein übliches Ritual nicht ausführen, denn bei einem Dimmer gab es so viele Stufen, die es zu überprüfen galt, dass Felix noch bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag hier stünde. Müde begann der Blondschopf, den Regler ganz langsam zu drehen, bis er das verräterische leise Klicken vernahm, hatte dabei befriedigend bis dreißig gezählt und ließ nun eisern die Augen auf den tückischen runden Knopf gerichtet, während Anton bereits wiederholt seinen Hinterkopf frustriert gegen den Rahmen der geöffneten Haustür schlagen ließ, darauf wartend, dass Felix bereit wäre, das Haus zu verlassen.
Was in der letzten Woche problemlos möglich gewesen war, wenn sie gemeinsam ausgegangen waren, um in einem Lokal einzukehren oder durch die abendlichen Straßen zu flanieren. Nur jetzt, ja jetzt, war es eben etwas anderes. Ernster, belastender, kam Felix sich doch vor, als stünde seine unmittelbare Zukunft auf dem Spiel, stelle er neue Weichen, die entweder Möglichkeiten eröffneten, seine Leidenschaft wieder zu entdecken, oder ihn an einer Mauer zerschellen zu lassen.
"Bist du dann langsam mal fertig? Ich stehe mir hier die Beine in den Bauch", moserte Anton, kämmte sich die dunklen Fransen aus der Stirn, nur um sich eine Zigarette anzustecken, die Felix ein Naserümpfen entlockte. Nickend warf er noch einen letzten versichernden Blick durch das untere Stockwerk, überlegte, ob er gar noch einmal hinauf gehen sollte, doch hatte er eigentlich alle Lampen kontrolliert, Antons Haus somit vor einem spontanen Brand gesichert. Allerdings -
"Lass mich nur kurz -", bat Felix, huschte unter Antons Jaulen in die Küche, um dort die Regler zu prüfen. Hatten sie nach dem Frühstück auch wirklich alle auf Null gestellt?
"Ja - ja - ja - ja", murmelte Felix, zeigte auf jeden der Regler, um sich auch noch einmal bewusst zu bestätigen, doch reichte es seinem inneren Drang auf Sicherheit noch immer nicht ganz, um ihm inneren Frieden zu schenken. So legte er vorsorglich die Hand auf eine der Herdplatten, zählte im Geiste bis achtzehn, vergewisserte sich, dass die Platte nicht wie durch ein Wunder, doch eine immense Hitze entwickelte. Dies widerholte er bei den anderen drei Platten. Zum krönenden Abschluss beugte er sich über die Kochstelle, schloss die Augen, da er die Intensität seines Geruchsinnes maximieren wollte, ja nichts übersehen, bloß kein Risiko eingehen konnte, würde er sich doch niemals verziehen, ginge Antons Heim für immer im Inferno gewaltiger Flammen unter.
"Was tust du denn da, Jeger?"
Völliger Unglaube zierte die Stimme des Bildhauers, das Volumen hatte auch deutlich zugenommen, zeigte sich dadurch, dass Antons Geduld sich langsam dem Ende zuneigte.
Felix schnüffelte derweil weiterhin, um etwaige verräterische Schwefeldünste wahrzunehmen.
"Ich überprüfe, ob es nach Gas riecht", antwortete er dennoch, damit Anton sich nicht ausgeschlossen fühlte.
"Das ist ein Elektroherd! Verdammt, immer dieses ewige Wigglwaggl. Wir gehen jetzt."
So bestimmt, wie Anton auftrat, wagte Felix es kaum, ihm zu widersprechen, fügte er sich still, trat hinter ihm durch die Tür, beobachtete aber dennoch über dessen Schulter hinweg, ob er das Schloss auch wirklich gut sicherte.
"Ähm", führte er vorsichtig an, brachte seinen Freund dazu, die Schultern sacken zu lassen, kassierte glatt ein Brummen, das sich nur als resigniert beschreiben lassen konnte, "kannst du noch mal an der Tür rütteln?"
Da war es, das wundervolle Augenrollen, das ihm zeigte, dass Anton ihm zuliebe auch an jeder Tür von hier bis zum Atelier gerüttelt hätte, tat er dies auch nun mit der seinen.
"Danke", sagte Felix ehrlich, schenkte Anton einen scheuen Blick und ein Streichen über den Oberarm, denn mehr konnte er diesem fantastischen Mann nicht anbieten. Noch nicht, er arbeitete mit Hochdruck daran.
So wie an dem Versuch, sich an dieses grässliche Zweirad zu gewöhnen, auf das ihn der Ältere nun wieder scheuchte. Mit beschleunigter Atmung kauerte er auf dem kleinen Sitz, umschlang gar mutig Antons Bauch, schmiegte sich eng an dessen Rücken. Na also, das ging doch schon ganz vortrefflich! Ein leichtes Lächeln zupfte an Felix' Mundwinkeln, eingezwängt durch die Polsterung im Inneren des Helmes, aber es war da. Auskostend wanderte seine eine Hand ganz zögerlich über Antons Bauch, profitierte davon, dass der andere Mann sich auf den dahinrasenden Verkehr zu konzentrieren hatte. Wie praktisch es war, dass Anton keinen großen Wert auf seine Sicherheit legte, gern mit offener Lederjacke fuhr, anstatt sie geschlossen zu halten, so konnte Felix es sich erlauben - selbstredend rein zufällig - über dessen Oberkörper zu tasten, ohne direkt eine Berührung von Haut auf Haut zu befürchten. Wie weich Anton sich anfühlte. Wie gern Felix mehr erkundet hätte, wäre diese Fahrt doch nur länger und der Vordermann nicht ein so elendig grauenhafter Fahrer, musste der Blondschopf doch befürchten, in der nächsten Kurve gar einen unfreiwilligen Abgang hinzulegen, wenn er sich nicht wieder beidhändig um einen festen Sitz bemühte.
"Dann mal rein in die gute Stube und ran an die Arbeit", lachte Anton fröhlich und klatschte begierig in die Hände, waren sie heute allein in dessen Studio, um Felix etwas Privatsphäre zu gönnen, sollte sein Schaffensprozess so sehr zum Scheitern verurteilt sein, wie es der Künstler insgeheim befürchtete.
Betont desinteressiert machte Anton sich selbst daran, einen wunderschön gearbeiteten Naturstein zu bearbeiten, ließ Felix in Ruhe seinen Platz herrichten, die Staffelei aufstellen und die Pinsel akkurat aufreihen. Sacht setzte Felix den ersten Strich, verkrampfte, als er die leuchtende Farbe auf dem deckenden Weiß betrachtete, sie ihm geradezu entgegen zu springen drohte. Zu grell, zu leuchtend, falsch und einfach nur ganz furchtbar schrecklich. Dennoch machte der junge Künstler weiter, verdrehte seine Hand, als er versuchte, aus der begonnenen Linie einen Bogen zu schlage, meinte in Verzweiflung ausbrechen zu müssen, als diese krumm und schief geriet, wie es ihm zuletzt passierte, als er noch ein Kind gewesen war. Gepeinigt quälte Felix sich weiter durch diese Farce, kämpfte um jeden weiteren Pinselschlag, jedes Tröpfchen Farbe, sah sein Konzept davonschwimmen, als sein Versuch immer und immer mehr misslang.
Warme Luft in seinem Nacken ließ ihn erschauern. Die Präsenz eines Körpers bereitete ihn auf die darauf folgende Berührung vor, presste sich die Brust Antons doch einen Augenblick später an seinen Rücken. Felix hielt die Luft an, unsicher, wie er reagieren sollte. Diese starken Hände mit den rauen Schwielen umfassten seine Handgelenke zu beiden Seiten, führten sie hinab, sodass sie an seinen Seiten hingen. Der Druck verschwand für kurze Zeit, bis er spürte, wie ihm etwas in die Ohren gestopft wurde. Erschrocken wollte Felix sich herumdrehen, doch versperrte Antons Körper ihm den Fluchtweg.
"Ah", brummelte Anton leise hinter ihm, "vertraue mir, Jeger. Das wird dir guttun."
Ergeben hielt er still und nun erkannte er auch, dass es sich um drahtlose Kopfhörer handelte, die ihm in die Ohren geschoben wurden.
"Schließ die Augen", kribbelnd wanderten die Worte als sanfter Hauch über seinen Nacken, sorgten für eine Gänsehaut an Felix' Körper.
Wie angewiesen klappten seine Lider hinunter, er ergab sich der Klänge, die plötzlich sein ganzes Sein erfüllten. Anton drehte das Volumen auf ein Maximum, nichts anderes nahm Felix mehr wahr. Nur diesen treibenden Rhythmus, der sein Herz stolpern ließ, seine Sinne summten und als seine Handgelenke erneut umklammert wurden, lehnte Felix sich an die haltgebende Brust hinter ihm, seine Hände geführt von dem Mann, dem er ein Vertrauen entgegenbrachte, von welchem er dachte, es verloren zu haben. Wie von selbst wiegte er sich im Einklang mit der Musik, Antons Körper mit ihm, wo doch dieser die Töne nicht einmal vernahm, doch es war so selbstverständlich, so richtig, dass Felix sich keine weiteren Gedanken darum machte. Auch nicht um die Finger, die nicht mehr die seinen führten, sondern seine Taille leicht umfassten.
Das Lied endete, doch noch genoss der junge Künstler den Nachhall, das Glück und die Zufriedenheit in sich.
"Öffne die Augen, Jeger", lockte die samtweiche Stimme des nervtötenden Mannes, der sich immer weiter in sein Herz schlich, obwohl er sich doch geschworen hatte, dies nicht mehr zuzulassen. Vorsichtig hob er die Lider und erstarrte. Felix erblickte ein wildes Durcheinander an Farben und Formen, nicht perfekt, nein, bei Weitem nicht. Nicht einmal sicher, ob es als Surrealismus oder Impressionismus durchgehen könnte. Und doch, und doch -
"Wow", hauchte Felix ergriffen.