Ein Auftrag.
Er hatte einen Auftrag! Und was für einen, denn er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass die Neugestaltung eines ... Think Tanks ... kostengünstig sein sollte. Allerdings war es vermutlich vermessen, nur an die Bezahlung zu denken, richtig? Es drehte sich schließlich nicht alles ums Geld, oder? Dabei war es doch genau das, worauf es in seinem Leben angekommen war. Mehr, schneller, besser, größer, höher hinaus.
Mehr!
Was wohl Anton dazu sagen würde? Rütteln würde er ihn, an den Schultern packen und ganz fest durchschütteln, sodass die Zähne ihm klapperten, konnte er doch nur hoffen, so etwas Vernunft in ihn hinein zu bekommen.
Doch so war er nun mal, richtig? War es nicht von äußerster Wichtigkeit, stets das Nonplusultra zu geben, um seinen Kunden zu zeigen, dass die himmelschreienden Honorare eine Ehre waren? Er jeden Cent wert? Leistung, Druck, funktionieren, puschen und immer weiter zeigen, dass man es konnte - verlangen konnte.
Leistung!
Nur, um dann alles durch seine Hände gleiten zu sehen. Die Anspannung in den Gliedern zu fühlen, dieses unerträgliche, sich immer stärker aufbauende Glühen in seinem Bauch, bis er sicher war, entweder zu platzen oder an einem Herzinfarkt sterben zu müssen.
Schlimme Dinge. Es würden schlimme Dinge geschehen, sein Körper gab ihm diese Signale, sein Denken gab den Anstoß, doch seine Taten konnten das Befürchtete noch abwenden. Im letzten Moment, wenn er die Kontrolle, die Ordnung, die Sicherheit behielt. Kontrolle, nicht loslassen, immer überprüfen, nicht abweichen und stets noch ein letztes Mal hinterfragen ... von vorn.
Kontrolle!
Wozu nur, könnte er sich fragen. Tat er auch. Denn was es ihm einbrachte, waren Probleme. In seinem Alltag, den er nur noch beschwerlich bewältigen konnte, aus Angst - vor Fehlern, Katastrophen, drohenden Gefahren und Schuld. In Beziehungen, denn war er schlicht nicht händelbar, weder für Freunde noch einen Partner. Auch Anton - soweit gewiss - würde eher früher als später einsehen, dass er es mit ihm nicht aushielte. Verlust der Bindung. Angst, allein zu sein, aus eigenem Verschulden, erneut versagt, versiebt, vergeigt und zurecht verlassen.
Bindung!
Mit gemischten Gefühlen betrachtete Felix das Whiteboard, auf dem ihm die in schwarzer Schrift geschriebenen Worte seiner angeblichen 'Antreiber' anstarrten. Dahinter in kräftigem Karmesinrot die Ausrufezeichen, die Jakobi dick nachzeichnete. Die Satzzeichen sprangen förmlich von der Tafel, sahen so unendlich wütend und vorwurfsvoll aus in ihrer Tönung. Der Maler fühlte sich bei ihrem Anblick direkt schlecht, ohne zu wissen, was genau sein Therapeut mit ihnen ausdrücken wollte.
Mit einem für ihn so typischen aufgeschlossenen aber doch so unergründlichen Geschichtsausdruck setzte sich der wohlgenährte Mann auf den Rand seines Schreibtisches, um Felix über den Rand der Brille hinweg freundlich zu mustern. Dann flitzten die intelligenten blauen Augen zu ihrem Gast in der heutigen Therapiesitzung.
Anton wirkte wesentlich aufgeschlossener, als Felix sich fühlte, was den Blondschopf nicht wunderte, denn immerhin wurde sein Seelenleben nicht gerade vor seinem Partner breitgetreten. Gut, nun musste Felix zugeben, dass er selbst es gewesen war, der nach der Aktion gestern auf ein Krisengespräch bei Jakobi gedrängt hatte, war er doch sicher, dass er ansonsten nicht nur in einen tiefen Strudel seiner ängstlichen Grübeleien und Zwänge verfiele - nein - er war auch überzeugt, auf direktem Wege in eine Beziehungskrise zu stolpern. Jetzt schon. Natürlich jetzt schon. Was hatte der Jungkünstler auch erwartet? Wusste er doch, dass seine Persönlichkeit zum Abgewöhnen, sein Verhalten zum Davonlaufen, sein ganzes Sein für die soziale Interaktion nicht zumutbar war. Er sollte sich schlicht von anderen Menschen fernhalten, vor allem keine Beziehungen eingehen, schon gar nicht mit so liebenswerten Männern, die ebenfalls kämpften, allerdings mit echten Problemen, ja er sollte -
"Herr Jeger, sind Sie noch bei uns?"
Die energische aber schützende Stimme seines Therapeuten drang durch den Sturm, der in Felix' Innerem tobte, seine Eingeweide in Aufruhr versetzte und die rauen Fingerspitzen, die über seinen Handrücken wanderten, um mit sanftem Druck seine Hand von seinem gepeinigten Bauch zu lösen, erdeten ihn. Das war Anton, der ihn da berührte. Das war okay. Die Stimme Jakobis war Sicherheit.
Beschämt schlug Felix die Augen nieder, unsicher, wie er sich erklären sollte, hatte er doch in Anwesenheit der zwei Männer in seinem Leben, die er beeindrucken wollte, gezeigt, dass er keinerlei Fortschritte gemacht hatte.
"Schon okay, Hascherl", erklang da die ihm so vertraute warme Stimme, "ist doch nicht wild. Es ist schon so viel besser geworden."
"Woher weißt du immer, woran ich gerade denke?", brachte Felix staunend heraus, schaffte es dabei gar, seinem Partner in das Zuversicht ausdrückende Gesicht zu sehen.
Doch es war der Herr mit dem bedrohlichen Filzstift in der Hand, der die Frage mit leicht geneigtem Kopf beantwortete.
"Weil Sie schreien, Herr Jeger", meinte Herr Jakobi und führte näher aus, als er damit nur auf Unverständnis stieß, "ihre Körperhaltung, ihr Problemverhalten. Sie schreien mit jeder Faser Ihres Wesens. Nach diesen Dingen."
Der Therapeut deutete auf die angeschriebenen Worte und die rot leuchtenden Satzzeichen, die Felix so ängstigten.
"Sie sind im Kontakt unglaublich fordernd. Das ist sicher nicht bewusst, doch was sie suggerieren, wenn Sie mit Anton oder auch mir im Kontakt sind - also auf der Beziehungsebene interagieren - ist sowas wie ... Gib mir mehr Nähe! Gibt mir mehr Anerkennung! Aber lass mir mehr Kontrolle! Sie machen ambivalente Aussagen, stellen Aufträge, die wir nicht zu Ihrer Zufriedenheit erfüllen können und brüllen uns dabei non-verbal permanent an."
Betreten öffnete und schloss Felix seinen Mund mehrmals, schielte dann zu Anton, der seine Hände ineinander knetete, seinem Blick aber konsequent auswich. Wie kam es, dass nun er der Böse war, wo doch der Bildhauer eine klare Grenze überschritten hatte?!
"A-a-aber ich - also - das", stotterte Felix hilflos, "Toni hat doch die Fotos ohne meine Einwilligung -? Und ich wollte ja nie eine Website! Er hat nicht mal gefragt!"
Nickend und brummelnd gab Jakobi zu verstehen, dass er Felix zuhörte. Das tat dieser immer und auf verblüffende Weise, fühlte der junge Maler sich dadurch erstaunlich ernst genommen.
"Ich verstehe, dass Sie sich da in Ihrer Autonomie bezüglich der Kontrolle angegriffen gefühlt haben, ja?", hakte Jakobi nach, brachte Felix zum Zusammenzucken, traf er doch genau ins Ziel mit dieser Vermutung.
"Doch hatten Sie Anton gegenüber nicht geäußert, sich zu wünschen, dass Sie von der Außenwelt wieder als vollwertiger Künstler anerkannt werden? Und haben Sie ihm nicht gesagt, wie schön es wäre, wieder an Ihren Erfolg anknüpfen zu können?"
Zähneknirschend starrte Felix für einen Augenblick mit fest verschränkten Armen schlicht bockig aus dem Fenster, nicht gewillt zuzugeben, dass er in seiner Kommunikation derweil gegenüber seinem Partner mehr als nur widersprüchlich war. Wie konnte Anton überhaupt herauslesen, was Felix sich wünschte, wenn er es selbst nicht zu wissen schien?
"Schon", gab er schließlich zu.
"Das ist ja nicht Ihre Absicht", entschärfte Herr Jakobi milde lächelnd, "Sie haben in Ihrer lerngeschichtlichen Biographie die Erfahrung gemacht, dass Beziehungen über ambivalente Signale funktionieren. Das war so bei Ihrem Vater und bei Ihrer Mutter. Auch bei Ihrer Tante. Das nennt sich Lernen am Modell. Das passiert und Sie können auch lernen, es anders zu machen."
Mühsam schluckte der Blondschopf am Kloß vorbei, der sich in seiner Kehle gebildet hatte, nickte jedoch, griff wie automatisiert hinüber und ergriff Antons Finger. Doch das ausgestoßene Zischen ließ ihn aufhorchen, sogleich die Hand aus der seinen gleiten und seinen Partner alarmiert betrachten. Der dunkelhaarige Mann mit der nervtötenden Angewohnheit, alles auf die leichte Schulter zu nehmen, hatte eine betont neutrale Miene aufgesetzt. Sollte Felix etwas sagen? Oder ginge das schon wieder in die Richtung, des Kontrollierenwollens?
"Sie flüstern gern, Herr Fuchs, nicht?", nahm ihm da Herr Jakobi die Entscheidung ab.
Anton fuhr auf, funkelte den Therapeuten mit seinen Sturmaugen an, was widerum Felix zum Schmunzeln brachte. Immerhin bekam nicht nur er sein Fett weg. Plötzlich war die systemische Therapiesitzung keine so schlechte Idee mehr, wie es noch vor einigen Minuten den Anschein gemacht hatte.
Perfektion ...
Akkuratesse ...
Stützen ....
Beschützen ...
Mit schwarzem Filzstift schrieb Jakobi die Worte ans Whiteboard, um im Anschluss die Satzzeichen in grellem Hibiskusblau dahinter zu setzen.
"Sie neigen dazu, die Belange und Bedürfnisse vor Ihre eigenen zu stellen. Bei der Stellung Ihrer Familie ist das nicht verwunderlich, denn da ist Perfektion Trumpf und kein Platz für Schwäche. Umso wichtiger ist es Ihnen, dass die Personen, die Ihnen wichtig sind, ihre Unsicherheiten ausleben dürfen und von Ihnen Sicherheit und Unterstützung erfahren. Nur schade, dass Sie dabei untergehen, oder?"
Ruckartig stand Anton auf, schnappte sich seine leichte Sommerjacke, die ihm sogleich aus den Händen glitt.
Mit Argusaugen hatte Felix dies beobachtet, stand nun langsam auf und klaubte das Kleidungsstück vom Boden. Tief sah er seinem liebsten Menschen in die Augen, hoffte, dass dieser sah, wie dankbar er war. Aber Felix konnte nicht mehr dulden, dass Anton sich immer und immer nur zurückstellte.
"Wie lange sind die Schmerzen schon so stark?", fragte er geradeheraus, hielt seine Stimme fest, auch wenn sein Magen nervös flatterte.
"Hascherl - du musst dir keine Sorgen -"
"Wie lange schon, Toni?!"
"... seit dem Ausrutscher mit den Bolzen."
Kopfschüttelnd verließ Felix den Raum und im Anschluss die Praxis. Zum Haareraufen. Dieser Mann war zum Haareraufen.