Ob er es übertrieben hatte? Nein, er wollte doch, dass es schön wurde, vor allem aber, dass Anton sich wohl fühlte. Sah, dass er ihm viel bedeutete. Allerdings waren ihm die Tramezzini nicht perfekt gelungen, daher hatte Felix noch schnell Buscettas gezaubert. Und zur Zabaione gab es nun ebenfalls zusätzlich Mascarponecreme, sollte Anton ein Wechselspiel aus Säure und Süße bevorzugen. Seufzend betrachtete Felix sein Menü und nickte noch einmal bekräftigend. Sehr gut, das sollte klappen, sein Plan aufgehen und Anton milde stimmen.
Nun brauchte es nur noch den heiß ersehnten Bildhauer, der seit einer Ewigkeit auf sich warten ließ. Eine Tatsache, die den Blondschopf zunehmend nervös werden ließ, hatte er inzwischen keinen Grund mehr, sich erfolgreich abzulenken, denn auch das Haus war von Grund auf gereinigt, die Kunstwerke an den Wänden hatten eine Neugestaltung erfahren. Seufzend griff Felix nach seinem Smartphone.
"Jeger, was willst du?", kam es murrend aus dem Lautsprecher, ganz ohne Begrüßung, ja es war gar so, dass Felix das entzückende Augenrollen durch den Hörer vernehmen konnte.
"Ist bei dir alles in Ordnung?", wollte er besorgt wissen, denn es könnte doch gut sein, dass auf dem Weg zur Werkstatt ein Unfall geschehen sein könnte. Die Bahn zumindest hatte keine beruhigende Abfahrtszeit vorzuweisen gehabt.
"Ja, jetzt bleib ruhig. Ich bin bald da."
Aufgelegt. Es war zum Haareraufen.
Nun gut, dann blieb ihm nun wirklich nichts anderes übrig, als vielleicht noch einmal das Besteck herzurichten. Auch die Sofakissen sahen nicht fachgerecht aufgeschüttelt aus, das wollte berichtigt werden. Außerdem könnte er auch noch einmal -
"Was ist denn jetzt wieder?", schallte es aus seinem Smartphone, nachdem er wie durch Zufall doch erneut Antons Nummer gewählt hatte.
"Wo bist du denn inzwischen?"
Ob der andere das Zittern in seiner Stimme hörte?
"Ich bin noch nicht mal aus dem Atelier raus. Hascherl, bitte, versuch dich abzulenken, hm?"
Felix nickte, obwohl Anton ihn nicht sehen konnte und hörte das Klicken in der Leitung. Ablenken. Er sollte sich ablenken. Na schön, das dürfte doch nun wahrlich kein Problem sein, denn schließlich war er keiner dieser verrückten Neurotiker. Nein, ganz und gar nicht.
Es könnte ihn jedoch beruhigen, wenn er noch einmal prüfte, ob auch alle Töpfe und Pfannen bereits gereinigt waren. Ja, das klang nach einer guten Idee! Er sollte in die Küche gehen und dort -
"Ich bin noch immer am Leben, Jeger."
Wie kam es denn nur, dass sein Smartphone schon wieder zwischen Schulter und Ohr klemmte, während er wie verrückt die Kochutensilien schrubbte, die doch bereits fachgerecht blankgeputzt gewesen waren?
"Okay ...", fiepte Felix hilflos ins Telefon, hörte ein Seufzen, bei dem er sich fragte, was geschehen war.
Hatte Anton wieder Schmerzen? War etwas passiert? Musste er Hilfe besorgen?
"Würde es dich beruhigen, wenn ich dich an der Strippe behalte, bis ich daheim bin?", fragte Anton mit seiner so wunderbar warmen Stimme.
Erleichtert schloss Felix die Augen und stieß ein zustimmendes Brummen aus.
"Ich schließe jetzt die Tür auf."
Die Verbindung wurde unterbrochen und Felix ließ das Abwaschwasser ab, betrachtete seine von den Scheuermitteln gereizte Haut und eilte dann zum Flur und fiel seinem Freund um den Hals. Erleichterung durchflutete seinen Körper, als er den weichen Köper an seinem spürte, die Wärme wahrnehmen durfte und den Duft in sich aufnehmen konnte, der einfach Anton war.
Behutsam fasste er den anderen Mann an den Händen und führte ihn ins Esszimmer, freute sich über den verblüfften aber angetanen Ausdruck, den dieser auf seinem Gesicht zeigte. Die Kerzen spendeten ein angenehmes Licht, beschienen das feine Porzellan, ließen die Kristallgläser blitzen, in denen sich ein frischer Eiswein befand. Sanft drückte Felix den so hart arbeitenden Mann auf einen der Stühle, hauchte ihm einen Begrüßungskuss auf die Wange und begann dann, die leckeren Speisen aufzutragen.
"Der Menge, die du auftischt nach zu urteilen, willst du, dass ich mir ein Schutzpolster anfuttere, damit ich einfach in Zukunft von allen Gefahren abpralle."
Die altbekannte Röte, die im Zusammenhang mit Anton so gern auftrat, brannte auf Felix' Wangen, doch er zuckte lediglich leise lächelnd die Schultern. Es mochte ein netter Nebeneffekt sein, doch eigentlich hoffte der junge Blonde vor allem auf eine Besänftigung des wilden Temperaments durch gutes und reichhaltiges Essen. Denn er hatte eine Überraschung für diesen Mann, der seine Welt bedeutete und von dem er wollte, dass er glücklich war.
Daher hielt er die Konversation stoisch mit belanglosem Smalltalk aufrecht, obwohl Anton ihn mit kritischen Blicken befeuerte, räumte zunächst alles feinsäuberlich auf, um sich dann nicht ihm gegenüber an den Tisch zu setzen, sondern sich neben ihn über Eck auf den Stuhl sinken ließ. Hibbelig zog er ein Papier aus seiner Hosentasche hervor und breitete es auf der Tischplatte glattstreichend vor Anton aus, der die dort in aller Sorgfalt aufgezeichnete Tabelle skeptisch beäugte.
"Was ist das?", hakte der Bildhauer auch wie von Felix erwartet mit gerunzelter Stirn nach.
"Eine Tabelle, die ich für dich zusammengestellt habe. In den Spalten findest du mögliche Behandlungsansätze, Wirkungsweise, Neben- und Wechselwirkungen, Besserungschancen und meine Einschätzung, ob du mit dem jeweiligen Ansatz weiterhin als Bildhauer arbeiten könntest."
Fasziniert beobachtete der Maler, wie der ältere Mann schwer schluckte, sich die dunklen Ponyfransen aus der Stirn wischte, die sogleich wieder in dessen nebelgraue Augen fielen, während deren Pupillen über Felix' Ausarbeitungen flogen.
Er hatte sich schlau gemacht, den ganzen Tag recherchiert, als Anton arbeiten gegangen war, sich informiert und herumtelefoniert, um Alternativen zu finden, die schmerzlindernd wirkten, wie diese grauenvollen Zigaretten, aber vor allem nicht einfach die Symptome behandelten, sondern Anton mehr geben konnten. Von Akkupunktur über neue Ansätze in der Schmerzmedikation - gut, diese war nicht sonderlich vielversprechend, doch immerhin besser, als die bisherige Lösung - bis hin zu Kältebädern hatte er alles aufgelistet.
"Psychotherapie? Ich bin doch nicht deppert", wisperte Anton ungläubig, riss den Kopf empor, um Felix mit vorwurfsvoller Miene entgegen zu blicken.
Heftig schüttelte der Blondschopf seinen Kopf von links nach rechts, dass die Nackenwirbel bedenklich knackten.
"Das denkt auch niemand. Ich schon gar nicht. Aber - Toni - sieh mal ... Dein Zustand wird doch so aussehen, dass deine Schmerzen irgendwann nicht mehr in Wellen kommen werden. Sie sind jetzt schon sehr stark und ab und an kannst du weder einen Stift halt, geschweige denn dein Werkzeug. In der Schmerztherapie kannst du lernen, mit diesen Situationen umzugehen, dich darauf vorzubereiten. Aber auch die Schmerzen besser auszuhalten und vielleicht einen Weg zu finden, anders mit ihnen weiterarbeiten zu können."
Bittend, beinahe flehentlich, sah er seinem Freund in die abweisenden Augen, seufzte leise, als diese weicher wurden und Antons Finger leicht über seinen Arm hinauf strichen. Doch der Schalk, dieser für seinen herrlich nervtötenden Toni so bezaubernde wie gefährliche Schalk, blitzte hinter dem Nebel.
"Unter einer Bedingung", kam es lauernd und Felix brummelte zum Zeichen, dass er willig war, weiter zu lauschen, "du gehst auch."
Verdutzt legte Felix den Kopf schief, nun doch nicht sicher, was Anton mit dieser Bedingung bezwecken wollte, denn eigentlich war dies für ihn keine Frage gewesen.
"Klar. Ich lasse dich da schon nicht mit allein. Ich stehe dir bei."
Doch auf seine beruhigend gemeinte Versicherung folgte lediglich ein schon frech zu nennendes Schnauben, gefolgt von einem gefährlichen Blitzen der hellen Irden.
"Nee, nee, Jeger. Ich rede von Therapie. Wenn ich lerne, mit meinen Schmerzen umzugehen, dann lässt du dir bei deinen Ängsten helfen."
Dieser Mann, dieser vollkommen unmögliche und nervtötende Mann hatte ihn einfach so - aber nein, er hatte doch kein - er bei einem Therapeuten? Wie sähe das denn aus? Wie sollte er diesem erklären, worum seine Befürchtungen sich drehten, sein System darlegen? Das war hoch komplex, das verstünde doch niemand und - und - und -
"Du willst, dass ich mich ändere?", fragte Felix resigniert, hatte er doch von Beginn ihrer Freundschaft an geahnt, dass es Anton eines Tages zu viel sein würde, mit ihm zurecht zu kommen.
"Nein, ich möchte, dass es dir gut geht. Und Hascherl, im Moment geht es das nicht. Du hast ständig nur noch Sorgen um mich oder deine Zukunft. Bekommst sogar Panikattacken, weil dich Gedanken quälen und die Möglichkeit nicht da ist, sie mit einem deiner Spleens abzuwehren. Das nimmt so viel Zeit in Anspruch und erschöpft dich."
Felix öffnete den Mund, bereit zum Protest, doch Anton hob die andere Hand, während seine Finger der linken weiterhin sanft an seinem Arm auf und ab strichen.
"Leugne es nicht, ich sehe, wie müde du bist. Es stört mich nicht, wenn du das Licht in diesem Haus so oft an und aus schaltest, dass manch einer einen Krampfanfall bekommen würde. Von mir aus kannst du die Tür aus den Angeln rütteln oder ein Ballett tanzen, wenn du über die Bordsteine hoppst. Aber nicht, wenn du dabei ein so furchtbar leidendes Gesicht ziehst, wie in den letzten Wochen und nicht dann, wenn ich weiß, dass du es tust, damit du nicht von Angst zerfressen wirst. Okay?"
Lange blieben sie einfach schweigend sitzen. Die Kerzen brannten hinunter, das Wachs tropfte auf die malvenfarbene Tischdecke und Felix' Gedanken zogen Kreise. Anton blieb, in seiner ruhigen und so einzigartigen kraftspendenden Weise, die nur er ihm vermitteln konnte.
"Okay", hauchte Felix in die Stille.