Ein Klicken und ein helles kurzes Aufleuchten rissen Felix aus seiner tranceähnlichen Konzentration, vertrieben schlagartig die schwere Melancholie, die sich in seinem Herzen eingenistet hatte, seinen Hals eng werden ließ und dazu geführt hatte, dass das Wandgemälde wie ein Ölteppich vor seinen Augen zu zerfließen schien.
Zusammenzuckend drehte er sich herum, um gerade noch zu erhaschen, wie Anton eine alte Nikon sinken ließ, sein freches Grinsen auf den Lippen, als könnte ihn kein Wässerchen trüben. Verlegen stieg dem Jungkünstler die Röte ins Gesicht. Wie er es hasste fotografiert zu werden, war er doch der Ansicht, auf Bildern schlicht jedes Mal vertrottelt dreinzublicken oder gar wie ein Wischmopp auszusehen, den man versehentlich vergessen hatte, aus der Kulisse zu entfernen. Dürrer Stiel und oben undefinierbares Kuddelmuddel mit Augen. So kam es ihm vor.
Dass Anton nun beschlossen zu haben schien, ausgerechnet das wandelnde Desaster, besser bekannt als seinen Partner, in seinem Bestreben, das riesige Wandgemälde zu vollenden, für die Ewigkeit auf Fotopapier bannen zu wollen, erschloss sich Felix nicht. Schon gar nicht, da er in seiner löchrigen, befleckten Jeans und dem alten grauen T-Shirt alles andere als ansehnlich sein musste. Wieder knipste es.
"Nicht, Toni, das ist doch grausam!", jammerte Felix, riss eilig die Hände empor, um sich dahinter zu verstecken, um sie dann schnell wieder herabsinken zu lassen, aus Angst, man könne seine Schweißflecke sehen. Trotz Klimaanlage in den Räumlichkeiten, blieb es nicht aus, dass der Maler bei der Arbeit gehörig ins Schwitzen geriet, legte er doch all seine Emotionen in dieses Werk, erschuf er mit vollem Einsatz unter dem Einfluss der traurigen Klavierklänge geführt der Noten, die Mozart einst niederschrieb etwas ... Schreckliches.
Zumindest in Felix' Augen. Sein immer bestärkender Bildhauer hingegen wurde nicht müde, ihm zu versichern, dass er weitermachen sollte, um am Ende des Prozesses wie Phönix aus der Asche aufzuerstehen.
"Bullshit", flüsterte Felix sich die Schweißperlen vom Gesicht reibend.
Wieder das Blitzlicht.
"Kannst du das mal lassen, bitte?"
Anton lachte, besah sich dann die Kamera, dann wieder sein scheinbares Lieblingsmotiv.
"Du machst es mir leicht dich zu ärgern, Jeger. Ich habe die Nikon in einer der Kisten mit den alten Ramschsachen gefunden. Ich dachte, mir, sie ist zu schade zum Wegwerfen."
Brummelnd machte Felix ein langes Gesicht, war es doch nur unschwer für ihn zu verstehen, warum Anton einen Narren an ihm gefressen hatte. Außerdem verfluchte er denjenigen, der die dumme Kamera nicht direkt in den Müll verfrachtet hatte.
Die Musik wieder bis zum Anschlag aufdrehend, verscheuchte der Maler alle unliebsamen Gedanken, brachte sich erneut in die richtige Stimmung, um das begonnene Werk weiter zu verhunzen.
Herr Jakobi mochte der Meinung sein, sich mithilfe seiner Passion den Schmerz von der Seele zu malen könnte ihm helfen, doch Felix verspürte lediglich körperliche Schmerzen, wenn ihm die grausamen Farbverläufe in die Augen stachen, das Konzept hatte weder Hand noch Fuß und es würde ihn doch sehr wundern, wenn überhaupt eine annähernd menschliche Seele beim Anblick dieser Arbeit nicht spontan davonliefe. In Ermangelung eines Körnchens Glück, das er bei der schwermütigen Musik vergeblich zu finden gehofft hatte, bestand das Gemälde aus allerhand weiß, grau und schwarz. Es war düster, bitter und kalt.
"Grausam", entrang es sich Felix' Kehle, ungehört für seine eigenen Ohren, denn dafür prügelten die Klaviertöne zu brutal auf seine Gehörgänge ein.
Ungefiltert und roh strömten sie durch ihn hindurch, ließen ihn den Verlust der Liebe seiner Eltern spüren, Bilder über ihn zusammenbrechen von Kindheitserinnerungen, bei denen er sich fragte, ob jede Einzelne von ihnen Lug und Trug gewesen sein mochte.
Heftig fuhr er zusammen, als ihm jemand auf die Schulter klopfte, war beinahe so in seinem Film gefangen, dass er sich unwillkürlich fragte, wann er den Filter für die Realität und Vergangenheit verloren hatte.
Verwirrt blinzelnd, als erwache er aus einem Traum, sah er in Antons fröhlich dreinblickendes Gesicht, nahm wahr, wie dessen Mund sich bewegte, Worte formte, die er nicht verstand, bis ihm bewusst wurde, dass er noch immer die Musik laufen hatte. Eifrig stellte er diese leise, nein besser ganz aus, wollte er doch hören, was sein Partner ihm mit vor Aufregung gerötetem Gesicht mitteilen wollte.
"Entschuldige", unterbrach Felix, "was hast du gesagt?"
Da war es! Ja, da war es, dieses langvermisste und innig ersehnte bezaubernde Augenrollen, das seinem stets angeblich von Gott und der Welt, aber vor allem seinem liebsten Maler, so hochgradig entnervten Bildhauer so eigen war.
"Da sind zwei Geschäftspartner eines Think Tanks, die dich sprechen möchten", wiederholte Anton dringlich.
"Und wieso?"
Seufzend packte der ältere Mann ihn beim Handgelenk und zog ihn resolut mit sich, schubste ihn in die Umkleide, um dann hektisch eines seiner schwarzen Hemden herauszusuchen.
"Zieh dich aus!"
Verdattert starrte Felix seinen Partner an. Er fand nun wirklich nicht, dass nun der richtige Moment für derartige -
"Na los, du kannst unmöglich verschwitzt und wie ein Rorschach Test der LGBTQAI+-Gemeinschaft mit denen reden. Zieh das Shirt aus und mein Hemd an. Jetzt mach hin, Jeger, bitte!"
Vollkommen überfordert streifte sich Felix das vor Farbe triefende Oberteil über und schlüpfte in das deutlich zu weite Hemd. Nun gut, wenn er es vorn lässig in die Hose steckte, dann ginge es vermutlich als gewollt durch.
Schon zog Anton ihn weiter, zischte und wechselte die Hand, mit der er ihn mit sich zerrte. Ein Stich fuhr dem Blondschopf in den Magen, bei diesem Laut wurde ihm heiß und kalt, doch es blieb ihm keine Zeit, um sich zu sorgen, denn schon stand er im Empfangsraum einer Frau und einem Mann gegenüber, die ihn beide gewinnend anlächelten. Sie in einem schicken Einteiler in Brombeere und diesen unordentlichen Dutts, die ihn immer an eine zerstreute Bibliothekarin denken ließen und er mit Hornbrille und weitem Anzug in gewagtem Azur. Keine Krawatte, sondern Fliege.
Nervös drehte Felix sich herum, doch Anton verschwand bereits wieder und - schwupps - war er mit diesen sonderbar anmutenden Personen allein.
"W-was kann ich für Sie tun?"
"Sind Sie Felix Jäger?", wollte die blonde Frau von ihm wissen, schien beinahe ehrfürchtig, als sie ihm die manikürte Hand reichte.
"Nein."
Verwirrte Gesichter.
"Ich bin kein Waldschrat, der wie ein Peter Pan auf einem schlechten Trip mordlüstern durch die Wälder zieht", stellte Felix richtig, "mein Name ist Jeger, Gnädigste. Mit 'e' nicht mit einem Umlaut."
Statt beleidigter Mienen oder echauffiertem Gehabe, brachen die beiden in lautes Gelächter aus. Der Maler wusste zwar nicht, was lustig daran sein sollte, dass es niemandem auf diesem Planeten gelang, seinen Namen vernünftig zu verwenden. Aber gut, wenigstens waren diese Personen hier belustigt. Wenigstens das.
"Herrlich, genauso stelle ich mir den Künstler vor, der diese einzigartigen Gemälde geschaffen hat, die auf Ihrer Website zu finden sind", brachte die Frau heraus, wischte sich doch glatt ein Lachtränchen fort.
Was denn bloß für eine Website? Er hatte gar keine, zumindest nicht, dass er wüsste.
"Ilsa und ich wollen unseren Think Tank neu erstrahlen lassen und wir wollen es innovativ und gleichzeitig mit richtig Gefühl und Swag", erklärte sich der Mann mit der Brille, "angeblich malen sie nach dem, was die Musik sie empfinden lässt, ja?"
Noch immer perplex nickte Felix.
"Dann nehmen Sie den Auftrag an? Sie dürfen sich an den Innenwänden frei entfalten."
"Ähm - j - ja - sicher - ich - aber -"
Wieder wurden einfach seine Hände geschüttelt, die er verlegen an seiner Jeans abwischte.
"Dann lassen Sie uns doch von Ihrem Management mitteilen, wann wir mit Ihnen rechnen dürfen. Haben die Ehre, Herr Jeger."
Was war da gerade passiert?