Zugegeben, Felix war doch ein kleines bisschen zufrieden, als er auf die auslandende Terrasse des Kaffeehauses trat und von der netten Kellnerin an einen ganz entzückenden gusseisernen, mit Zierdekor verhübschten Bistrotisch geführt wurde. Unter einem weit aufgespannten Segeltuch spendete der künstlich erzeugte Schatten eine angenehme Kühle vor den bereits grenzwertigen Temperaturen, sodass es den Gästen möglich war, den Brunch zur Gänze zu genießen.
Es fehlte nicht viel und der Jungkünstler hätte sich hinsichtlich seiner weisen Voraussicht, auf einen Terrassenplatz zu bestehen, auf die Schulter geklopft. Abwartend sah er sich nach seinem Frühstückspartner um, in der leisen Hoffnung, in Antons Gesicht die Freude zu erkennen, die in seiner eigenen Brust brodelte. Schließlich war der Mann Bildhauer, hatte für derlei Feinheiten ein noch geschulteres Auge, als Felix selbst und wusste die Schönheit dieses Ortes ebenso zu schätzen.
Anton aber stand zu Felix' Verdruss zunächst einfach da, ließ sich anschließend ohne großes Federlesen auf einen der filigran gearbeiteten Stühle nieder, nur, um kommentarlos die Speisekarte zu studieren.
Zum Haareraufen. Dieser Mann raubte Felix nicht nur die letzten Nerven, nein, er war auch zum Haareraufen!
"Und?“, sah er sich daher genötigt, dem brünetten Ignoranten den sprichwörtlichen Wink mit den Zaunpfahl zu geben. Nein, vielmehr pfefferte Felix ihm hier bereits den gesamten Zaun um die Ohren. Verwirrt sahen ihn nebelgraue Augen an. Wieder wölbte sich eine Braue und ließ Anton in gleichem Maße verwegen wie überheblich erscheinen.
Rasend. Dieser Mann mache Felix rasend.
"Was, und?“, kam es trocken als Gegenfrage.
Wild mit den Händen durch die Sommerluft fuchtelnd, schloss Felix die Terrasse und das sich ihnen bietende unglaubliche Ambiente mit ein. Unfassbar. Dieser Mann war einfach unfassbar.
"Willst du denn gar nichts hierzu sagen, hm?“
Deutlicher konnte Felix nun wirklich nicht mehr werden, ohne sich vollends zu blamieren. 'Fishing for Compliments' nannte man so etwas und das hatte er nun weiß Gott nicht nötig. Doch zumindest wollte er hören, dass Anton seine Wahl zu schätzen wusste.
"Ja, hübsch“, urteilte Anton lediglich ab, versank wieder hinter der Speisekarte, „was hast du erwartet, Jeger? Ich habe das Lokal ausgesucht.“
Verdutzt ließen ihn diese Worte zurück und auf den Stuhl gegenüber des anderen sinken. Da hatte er doch glatt ausgeklammert, dass Anton ursprünglich den Vorschlag getätigt hatte, ins Gipfelstürmer einzukehren. Unverständliches vor sich hin murmelnd, um seine erneute Tölpelei zu überspielen, vergrub auch Felix sich hinter der Speisekarte.
Die Kellnerin trat an ihren Tisch und fragte nach, ob sie das Büfett bevorzugten oder etwas zusammenstellen wollten.
"Büffet“, preschte Anton vor, bevor Felix noch hätte Luftholen können.
Der Gedanke, sich dicht an dicht gedrängt mit fremden Menschen um Speis und Trank balgen zu müssen, um dann doch nach einem Kampf um die letzten Egg Benendict leer auszugehen, behagte ihm nur bedingt.
"Ähm“, setzte Felix an und erntete von Anton ein verhaltenes Stöhnen und inbrünstiges Augenrollen. Die nervösen Flecken bereits auf Hals und Wangen spürend, warf Felix seinem Gegenüber nur einen entschuldigenden Blick aus dunklen Augen zu.
"I-ich – also – ähm – ich würde gern … etwas zusammenstellen“, wisperte Felix mit hochrot angelaufenem Kopf gen Tischplatte, während er seine Hände ineinander knetete, "Rührei und Bacon – getrennt, nicht zusammen gebraten. Zwei Scheiben Dinkeltoast – diagonal geschnitten, nicht längs mit Konfitüre – die rote, nicht die gelbe. Außer sie haben nur Vielfrucht, dann lieber keine Konfitüre sondern Honig – dort aber nur den naturtrüben, nicht den geklärten.“
Zwei Personen sahen ihn unverständig an. Die Blicke bohrten sich tief in Felix, doch eisern ließ er den seinen weiterhin auf der Tischplatte ruhen. Atmete betont ruhig ein und wieder aus. Seine Hände hielten sich weiterhin fest umklammert, um sich vom Zittern abzuhalten. Wieder einmal bestätigte sich für Felix, warum er zumeist allein ausging.
"Für mich eine Melange. Für meinen Freund hier einen Chailatte mit Sojamilch. Den braunen Kandis, nicht den weißen. Danke.“
Zaghaft wagte Felix es, seine Augen wieder höher wandern zu lassen, bis er auf das ihm entgegen zwinkernde Gesicht Antons traf. Vollkommen entspannt hing er dort auf seinem Stuhl und lächelte ihn auf die ihm so eigene schiefe Art und Weise an, dass Felix den Rest der Welt einfach für einen kurzen Moment ausklammerte.
"Du weißt, wie ich meinen Latte trinke?“, fragte er geschmeichelt.
Das Augenverdrehen war hinreißend. Jawohl, dieser Mann ihm gegenüber war hinreißend.
"Habe ihn dich in all den Jahren ja oft genug bestellen hören. Mach kein Bohei drum.“
Mit einem Schulterzucken abgetan, aber Felix wusste die Geste, die Anton damit vollbracht hatte, umso mehr zu schätzen, hatte er doch die Kellnerin von seinen Sonderwünschen abgelenkt und die Aufmerksamkeit auf sich gezogen.
Während Felix dann also auf sein Essen und die Getränke wartete, belud Anton sich seinen Teller mit geradezu kindlicher Freude am Büffet. Es machte Felix Spaß, den anderen Mann dabei zu beobachten, wie er ihm mit glänzenden Irden die vielen ergatterten Köstlichkeiten präsentierte. Er ließ sich sogar zum Probieren einer Quarkspeise hinreißen. Etwas, was Felix sonst im Traum nicht getan hätte, schließlich konnte man sich nie sicher sein, ob da nicht doch schon einmal ein Finger drin gesteckt hatte.
"So“, eröffnete Anton dann den ernsteren Teil ihres Gesprächs, nachdem er sich die dritte Tasse Kaffee leerend, gesättigt zurücklehnte und Felix den etwas verloren wirkenden nun doch verschmähten Toast auf seinem Teller hin und her schob, "du bist also nicht homophob, sondern einfach nur generell ein Mistkerl, der anderen das Leben schwer macht.“
Diese direkte Art brachte Felix gehörig ins Schwitzen, sorgte sie doch dafür, dass er sich mehr als nur unwohl in seiner Haut fühlte. Anton war bekannt für sein loses Mundwerk, ein Aspekt, den er immer an diesem Mann zu schätzen gewusst hatte, doch jetzt und hier, wünschte er sich, dass der Bildhauer seine Zunge verschluckt hätte.
"Oh – nun ja -“, stammelte er gar der Verzweiflung nah, als Anton unerwartet in schallendes Gelächter ausbrach.
"Du solltest dein Gesicht sehen, Jeger, als hättest du eine Hand voll Heftklammern verschluckt. Bei uns ist alles fein, keine Sorge, ich bin über deine harsche Abfuhr hinweg.“
Bei seiner Ehre, Felix konnte es nicht fassen. Zwar war er durchaus froh darum, Antons Gunst wieder errungen zu haben, doch verhielt es sich doch so, dass der Mann hier vor ihm noch immer einem Irrtum aufsaß.
"Nein, nein“, versuchte er sich verständlich zu machen, spürte, wie sein Herz ins Stolpern geriet, "hättest du – also wäre es nicht so überraschend – ich meine – hach.“
Tief durchatmend fasste Felix schließlich neuen Mut und besann sich, um ein letztes Mal Atem zu schöpfen.
"Ich war unvorbereitet. Was ich sagen will ist, dass ich über eine Wiederholung der Umarmung nicht – abgeneigt – wäre?“
Selten hatte man Anton mit einem durch und durch überrumpelten Gesichtsausdruck antreffen können, sicherlich nicht ohne einen schlagfertigen Spruch auf den Lippen. Doch hier saßen sie nun und dieser Wortakrobat zeigte sich ihm gänzlich perplex. Doch in dem Moment, als die Überraschung ehrlicher Freude zu weichen begann, machte sich Panik in Felix‘ Eingeweiden breit.
"… rein freundschaftlich. Selbstredend“, ruderte er mit weit aufgerissenen Augen zurück.
Die nüchterne Enttäuschung folgte auf dem Fuße, wich das Strahlen doch in Sekundenschnelle aus Antons Antlitz und machte einem resignierten Nicken Platz.
"Selbstredend“, murrte der so wunderbar nervtötende Mann, dieser junge Bildhauer mit dem losen Mundwerk und der überbordenden Heiterkeit, den spontanen Energieausbrüchen und der Kontaktfreude.
"Es ist nicht einfach, mit mir befreundet zu sein“, warnte Felix, doch erntete nur dieses grandiose Augenrollen, für das er sein letztes Hemd gäbe.
"Lass das mal meine Sorge sein, Jeger“, schnaubte Anton.
Doch Felix wusste, dass alle guten Vorsätze zum Scheitern verurteilt waren, kam es doch stets zumeist früher als später zum unvermeidlichen Kontaktabbruch. Er war anstrengend, seine Marotten zum Davonlaufen. Aus diesen Gründen war es einfacher, ihre Beziehung auf einer platonischen Ebene zu halten, bevor sie zu tief darin versanken und ein Verlust wahrhaftig schmerzte. Außerdem, so dachte sich Felix, hielten Fernbeziehungen nie lange und bereits morgen musste er zurück nach Deutschland.