Unverwandt starrte Patric in die Ecke, aus der die Töne zu kommen schienen. Aber er sah nichts, einfach nichts. Er wusste hingegen, dass er seinen Ohren vertrauen konnte. So schloss er die Augen und hörte aufmerksam zu. Wie bunte Glasperlen kullerten die Töne in seine Küche, begannen sich nach einer Weile zu einem Bild zu fügen. Patric spürte, dass eine Frau die Flöte spielte. Sie erzählte ihm, wie vertraut sie sich fühlte mit der Waldlichtung und der Hütte, in der er lebte. Sie schilderte amüsiert, wie gross ihr sein Hut vorkam. Sie beschrieb ihm die Freude an ihrer Flöte, die offenbar er hergestellt hatte. Wie ein Leitmotiv schimmerte aber noch etwas durch die erzählende Melodie, das Patric nicht benennen konnte, das aber tief in ihm etwas zum Klingen brachte.
Ein Lächeln glitt über sein Gesicht, als er seine Augen wieder öffnete. Mit klarem Blick konzentrierte er sich auf die Ecke, wo die Melodie hergekommen war, denn nun wurde sie leiser und leiser.
Patric stand auf und holte seine eigene Flöte. Einen Moment lang drehte er sie etwas verlegen sie in seinen Händen und er fragte sich, was hier eigentlich vor sich ging. Natürlich wusste er aus unzähligen Erzählungen, die in seinem Volk seit Jahrhunderten überliefert wurden, von Begegnungen, die mit dem realen Verstand nicht zu erklären waren. Er hatte aber immer geglaubt, solche Erfahrungen seien Schamanen vorbehalten. Nun erlebte er auf einmal selbst etwas so Aussergewöhnliches!
Patric hob seine Flöte an die Lippen und begann zu spielen. Inbrünstig hoffte er, die unbekannte Frau könne ihn hören.
Nia spielte und spielte. Sie wusste, dass der Mann sie hörte. Er hatte seine Augen geschlossen, aber seine Gesichtszüge verrieten ihr, dass er verstand, was sie ihm erzählte. Nach einer Weile wusste sie aber nicht mehr, was sie noch berichten könnte, ihre Töne wurden leiser. Da öffnete der Mann seine Augen wieder und schaute sie mit seinen dunkelbraunen Augen strahlend an. Nia entdeckte, dass wunderschöne Farben um ihn herumwirbelten. Gleichzeitig verstand sie aber auch, dass er sie nicht sah.
Auf einmal stand der Mann auf und kam mit einer Flöte wieder zurück. Nia beobachtete, wie er sie etwas unsicher in den Händen hielt, bevor er zu spielen begann. Aber ach, sie konnte nichts hören! Sie sah wohl, wie seine Finger sich über die Flöte bewegten - aber kein Ton drang bis zu ihr. Trauer begann sich in Nia breit zu machen. Bis sie auf einmal merkte, dass sich ein Farbenstrahl zwischen dem Mann und ihr hin- und her bewegte.
Aufmerksam beobachtete sie das Auf und Ab der Farben, die Muster und die Spiralen, welche das Flötenspiel des Mannes bewirkte. Sie spürte, dass er ihr von sich erzählte, von seinem Leben im Wald in seiner einsamen Hütte. Farben der Freude hüpften auf und ab, als er offenbar vom Flötenbauen berichtete. Sie meinte auch eine Farbe zu lesen, die sein Erstaunen und gleichzeitig seine Freude über diese Begegnung ausdrückte. Um all diese Erscheinungen wand sich ein zartes Band, dessen Bedeutung Nia aber nicht klar wurde.
Als der Mann sein Spiel beendet hatte, blickte er wieder zu ihr und lächelte etwas verlegen. Mit ein paar Abschiedstönen zog sich Nia zurück.
In der Nacht lag sie noch lange wach. Als sie einschlief, träumte sie von Farben, die sich in Klänge verwandelten.