Kapitel 7
Heute Morgen war ich schon früh auf. Mir ging die Szene von gestern nicht aus dem Kopf, als er mich gegen die Wand drückte und ich kaum noch Luft bekam. Was hätte ich in dieser Situation machen sollen? Warum habe ich mich nicht gewehrt? Statt einfach, scheinbar hilflos, herum zu zappeln und dann in Starre zu verfallen? Es war erst halb vier Uhr morgens, doch schlafen würde ich nicht mehr können. Ich zog Sportkleidung an, die in der Kommode zu finden war und ging raus. Ich hatte befürchtet, die Wachen würden mich aufhalten, aber so war es nicht. Einige der Männer wünschten mir sogar einen guten Morgen. Ich war zum ersten Mal draußen. Es war noch dunkel. Die morgendliche Luft war frisch und angenehm. Ich lief los, einen Weg entlang, der zu einem kleinen Wald führte. Wenn ich einfach so raus konnte, dann wäre es ja möglich, von hier zu fliehen. Vielleicht treffe ich auf andere Leute, die mich von hier wegbringen konnten. Ich lief den Weg immer weiter, bis ich das Wäldchen erreicht hatte. Dort war es wunderschön. Die Stille war angenehm. Einige Zeit verweilte ich hier, dann rannte ich weiter den Pfad entlang, der sich durch den Wald zog. Als sich die Bäume lichteten, kam ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. Vor mir lag ein breiter Sandstrand, idyllisch mit vereinzelten Felsen. Sogar Muscheln waren zu sehen. Wo war ich nur? Ich schaute aufs Meer hinaus in der Hoffnung, es würde mir Antworten liefern. Ich konnte weder Schiffe noch Boote oder Inseln erkennen. Ich ging den Strand entlang in der Hoffnung, irgendwann einen Bootshafen zu entdecken, doch sah nur Felsen, Palmen, Sand und Meer soweit das Auge reicht. Linker Hand zog sich der Wald entlang. Und plötzlich, nach einem ausgedehnten Dauerlauf am Strand entlang, kam ich an eine Stelle, die mir bekannt vorkam. Jetzt begriff ich: Es ist eine verfluchte Insel! Es war bereits hell. Ich musste schon einige Stunden unterwegs gewesen sein und würde zu spät zur Arbeit kommen. Meinetwegen sollten sie doch denken, was sie wollen. Ich wollte nicht zurück und dieses Arschloch weiter bedienen. Ich zog meine Schuhe aus und ging ans Meer. Das Wasser war kühl, eine regelrechte Erfrischung in dieser Wüstenhitze. Wo war ich nur? Am liebsten wäre ich wieder zu Hause, wo ich meinen langweiligen Bürojob machen und mich mit einem guten Buch ins Bett legen konnte. Ich ging weiter bis mir das Wasser an die Oberschenkel reichte. Plötzlich durchfuhr mich ein Schmerz, als ich auf einen spitzen Felsen trat und mir den Fuß aufriss. Ich konnte nur noch aus dem Wasser heraus humpeln und mich an den Strand setzen. Die Wunde war tief und blutete. Mit einem vom T-Shirt abgerissenen Stück Stoff verband ich den Fuß notdürftig. Es dauerte nicht lange und der Stoff war blutgetränkt. Ich humpelte wieder zum Weg. Die Hitze brannte. Es musste jetzt später Vormittag sein. Ich humpelte zurück in das Wäldchen und rollte mich im Schatten eines Baumes zusammen. Ich hatte Durst und die noch immer blutende Fußwunde plagte mich. Hoffentlich würde ich keine Blutvergiftung bekommen. Was konnte ich tun? Um Hilfe schreien? Lenora, du hast noch nie einfach kampflos aufgegeben, sagte mein Inneres. Beim Versuch, mich aufzurichten, spürte ich sofort, wie meine Kraft nachließ. Ich sank gleich wieder zu Boden. Erst, als ich einen Ast als Krücke benutzte, klappte es einigermaßen mit der Fortbewegung. So humpelte ich zurück in Richtung Gebäude. Doch auf halbem Weg sank ich wieder zu Boden und mir wurde schwarz vor Augen.