Wir lebten und liebten uns wie ein frisch vermähltes Paar. Baltic weihte mich in alles ein und
wir arbeiteten sehr gut als Team zusammen. Die Tage vergingen wie im Flug und schon
rückte das Datum für den nächsten Sklavenmarkt näher. Baltic wollte optimal vorbereitet
sein und begann frühzeitig mit den Planungen. Es war mehr Arbeit als gedacht, und ich hatte
Mühe, mir die vielen Details einzuprägen.
Ich war froh und dankbar, dass ich nun Baltics ganze Geschichte kannte und es keinerlei
Geheimnisse mehr zwischen uns gab. Ich hatte sein volles Vertrauen und war binnen
weniger Wochen mit allen Vollmachten ausgestattet. Anfangs war es ungewohnt, nunmehr
eine Art Chefin und Vorgesetzte für das Personal zu sein. Vor Kurzem war ich selbst noch die
Befehlsempfängerin und Arbeitsmagd. Jetzt konnte ich Anweisungen erteilen und Baltics
Leute waren mir zu Diensten. Ich hütete mich jedoch davor, die Frauen
herumzukommandieren. Immerhin waren die meisten schon viel länger hier und hatten
mehr Erfahrung als ich. Auch Agathe als höhergestellte Hausverwalterin hatte kein Problem
mit meiner neuen Rolle als Baltics Partnerin und arbeitete vorbildlich mit mir zusammen.
Da der Sklavenmarkt in Marokko stattfinden würde, mussten auch Reisevorbereitungen
getroffen werden. Der Termin rückte näher und ich spürte eine innere Anspannung bei dem
Gedanken, den Ort erneut zu besuchen, an dem mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt
worden war. Ich war fest entschlossen, dem unseligen Treiben der Sklavenhändler ein Ende
zu bereiten. Der Sklavenmarkt musste ein Ende finden, koste es, was es wolle! Mir war noch
nicht klar, wie es bewerkstelligt werden konnte. Auf Polizei und Behörden war kein Verlass,
denn sie waren durch und durch korrupt und hingen in der ganzen Geschichte mit drin. Fürs
Erste nahm ich mir vor, alles genauestens zu beobachten und zu dokumentieren. Ich musste
wissen, wer die Händler waren und die Identität der jeweiligen Käufer herausfinden. Wohin
wurden all die Frauen verteilt, nachdem sie auf dem Markt an die jeweils Höchstbietenden
verkauft worden waren?
Baltic verfügte bereits über umfangreiche und wertvolle Informationen zu den
verschiedenen Akteuren. Er hatte Dossiers angelegt über diverse Händler, Vermittler, Käufer
und Agenten, die die Entführungen organisierten. Bis hin zu professionellen Detektiven, die
in aller Herren Länder aktiv waren, um Frauen ausfindig zu machen, die auf dem Markt jede
Menge Geld bringen würden. Es waren Modells darunter, Schauspielerinnen, Sportlerinnen,
Polizistinnen, aber auch junge Frauen aus eher unspektakulären Berufen wie
Lehrerin oder Sekretärin bis hin zu Hausfrauen. Doch allen gemeinsam war ihr gutes
Aussehen und die Topfigur. Man wusste, was auf Käuferseite gefragt war und wählte die
Mädels sorgfältig nach eben jenen Kriterien aus.
Baltics Akten waren jedoch an vielen Stellen lückenhaft und teilweise nicht auf dem
neuesten Stand. Er wusste noch immer nicht genau, wer die Hauptverantwortlichen für
bestimmte Gebiete waren. Es war keinesfalls einfach, an Informationen zu kommen.
Immerhin hatten wir es mit einem global agierenden, kriminellen Netzwerk zu tun, das
bestens organisiert war und über scheinbar unerschöpfliche Geldmittel verfügte. Es schien,
dass mit jeder Information, die Baltic durch seine Ermittlungen gewann, auch neue
Fragezeichen und Unklarheiten auftauchten. Jetzt, nachdem Baltic mich in alles eingeweiht
hatte, konnte ich nun selbst erkennen, wie vertrackt das alles war und welch immensen
Aufwand es bedeutete, auch nur kleinste Bruchstücke an belastbaren Hinweisen
herauszubekommen. Es musste Baltic jede Menge Zeit und Geld gekostet haben, die
Dossiers zu erstellen und die entsprechenden Akten anzulegen. Es waren mittlerweile über
hundert Aktenordner, die über die Jahre hinweg angelegt worden waren und die sich über
mehrere Regale erstreckten, ganz zu schweigen von den vielen Festplatten und
Datenträgern, für die Baltic einen eigenen Computerraum eingerichtet hatte. Nur wenige
Personen aus Baltics Belegschaft waren befugt, diese Räume zu betreten und die analogen
bzw. digitalen Aktenbestände einzusehen.
Ich hatte Baltic meinen festen Entschluss mitgeteilt, den Sklavenmarkt zu beenden und
damit auch die Entführungen, den Menschenhandel, das Auffanglager, die Versteigerungen
und sämtliche kriminellen Machenschaften, die mit all dem verbunden waren. Es galt, ein
mächtiges, einflussreiches, global agierendes, kriminelles Netzwerk zu sprengen, das auf der
ganzen Welt Frauen entführte, um sie an irgendwelche schwerreichen Lustmolche zu
vermitteln, die die Frauen ausbeuteten und missbrauchten. Keine einzige dieser Frauen
hatte diese unwürdige und menschenverachtende Behandlung verdient.
Baltic mochte meine Entschlossenheit, doch er hielt mein Vorhaben wohl für naiv. Was
konnte ich als einzelne Frau schon gegen einen solch mächtigen Gegner ausrichten? Baltic
war bereit, mich bei meinem Vorhaben zu unterstützen, so gut er konnte. Er würde mir
sämtliche Ressourcen zur Verfügung stellen, über die er verfügte, doch im Vergleich zu
dieser kriminellen, mafia-artigen Organisation schienen unsere Mittel gering und unsere
Möglichkeiten begrenzt. Zwar wäre auch Baltic nichts lieber gewesen, als dem Ganzen ein
Ende zu setzen, doch bislang sah er keinerlei Chance. Er hätte selbst eine gut vernetzte
Organisation aufbauen und eine schlagkräftige Privatarmee aufstellen müssen, um etwas
ausrichten zu können.
Doch jede auch noch so lange Reise beginnt mit einem ersten Schritt. Mir war klar, dass ich
diesen ersten Schritt gehen musste und der bestand darin, meine Freundin Anne aus den
Klauen von Steve zu befreien. Dafür hatte ich bereits einen Plan, der allerdings noch nicht
vollständig ausgearbeitet war. Sollte ich es allein versuchen oder mir einen Kommandotrupp
aus Baltics Leuten zusammenstellen? Doch es waren ja überwiegend Frauen auf Baltics
Anwesen, von denen nur wenige über militärische Fähigkeiten und Kampferfahrung
verfügten. Es wäre zeitaufwendig, den Mädels entsprechende Fertigkeiten beizubringen: den
Umgang mit Waffen und Munition, Nahkampftraining und die dazu erforderliche Fitness. Mir
waren auch eher altertümliche Waffen und Kampftechniken wichtig wie Schwertkampf und
Bogenschießen, denn moderne Schusswaffen und Sturmgewehre waren nur begrenzt
verfügbar.
Ich steigerte mein eigenes Training von Tag zu Tag, um auf ein hohes Leistungsniveau zu
kommen. Zeitgleich suchte ich mir eine Handvoll Frauen aus Baltics Belegschaft heraus, die
ich für die bevorstehende Befreiungsaktion für geeignet hielt. Ich trainierte täglich mehrere
Stunden mit ihnen und schulte sie im Umgang mit Gewehren und Handfeuerwaffen. Wir
übten auch mit verschiedenen Stich- und Hiebwaffen wie Schwert, Säbel und Degen. Nicht
alle waren den Anforderungen gewachsen und ich sortierte regelmäßig die eine oder andere
aus und nahm andere, aussichtsreichere Kandidatinnen in mein Team auf. Wir verbrachten
täglich mehrere Stunden auf dem Schießstand, einer provisorischen Anlage, die Baltic auf
meinen Wunsch hin eingerichtet hatte. Ich war begeistert von den raschen Fortschritten, die
meine Mädchen erzielten. Einige zeigten erstaunliches Talent beim Schießen und wurden im
Laufe der Zeit immer treffsicherer, andere taten sich beim Schwertkampf hervor und
entwickelten sich zu geschickten und wendigen Kämpferinnen. Das Training brachte jede
einzelne an ihre Grenzen und ich hielt das Anforderungsniveau hoch. Die Mädchen unter
meinem Kommando sollten auf alles vorbereitet sein und das konnte ich nur dadurch
erreichen, dass ich ihnen alles abverlangte.
Baltic sorgte für die nötige Bewaffnung und Ausrüstung, beschaffte Munition für das
Schießtraining und trieb sogar eine stattliche Anzahl an Handgranaten auf. Offenbar war er
der Ansicht, dass wir sie brauchen würden. Doch ich hatte eigentlich nicht vor, in einen
offenen Krieg mit Steves Wachmannschaften zu ziehen. Aus dem Studium von Baltics Akten,
die er über Steve angelegt hatte, wusste ich über die erhebliche Truppenstärke seiner
Männer bescheid. Zwar ging aus den Unterlagen nicht genau hervor, wie gut die Männer
ausgebildet waren, ob es sich lediglich um Sicherheits- und Wachleute handelte oder um
echte Soldaten. Doch klar war, dass Steve über mehrere Hundert Mann verfügte, die ihn und
sein weitläufiges Anwesen bewachten und im Ernstfall verteidigen würden. Steve verfügte
über einen eindrucksvollen Gebäudekomplex, der sich über mehr als einen
Quadratkilometer erstreckte und gut gesichert war mit Wachttürmen, meterhohen Zäunen,
Stacheldraht und bewaffneten Posten, die rund um die Uhr patrouillierten. Mir schwebte
daher eine geheime Kommandoaktion zur Befreiung von Anne vor. Vielleicht würde es uns
gelingen, Steves Anwesen in einer gut vorbereiteten Nacht- und Nebelaktion zu infiltrieren,
Anne ausfindig zu machen und sie von dort wegzubringen. Dazu müssten wir womöglich nur
ein paar Wachen außer Gefecht setzen, Anne finden und so schnell wie möglich wieder von
dort verschwinden. Doch bevor ich eine so gefährliche Aktion starten konnte, musste ich
unbedingt Kontakt zu Anne herstellen, um in Erfahrung zu bringen, wo sie ist und wie wir zu
ihr gelangen konnten.
Baltic lieferte zuverlässig Nachschub an Ausrüstung und Munition. Anfangs war er etwas
irritiert, als ich ihn bat, auch Stichwaffen wie Schwert oder Degen und Pfeil- und Bogen zu
besorgen. Ich gab Baltic den Auftrag, speziell für mich mehrere Sai zu beschaffen. Die Sai ist
eine gabelförmige Waffe aus Okinawa, die aus der traditionellen, japanischen
Kampfkunsttechnik des Kobudō stammt. Sie ist ähnlich aufgebaut wie eine Gabel oder ein
Dreizack, wobei die Mittelzinke etwa dreimal so lang ist wie die beiden äußeren. Die
herkömmliche Sai ist ca. einen halben Meter lang, moderne Varianten sind oft verchromt
oder mattschwarz. Ich war begeistert, als Baltic mit einer Kiste erschien, in der fünf
verschiedene Sai lagen, jede in ein Tuch eingeschlagen. Ich wickelte sie behutsam heraus.
Die Griffe waren mit schwarzem Leder bezogen und die scharfen Klingen aus purem Gold
blitzten im Sonnenlicht. Baltic hatte sogar meine Initialen eingravieren lassen. Die Sai waren
etwas ganz Besonderes für mich, denn ich hatte schon früh gelernt, mit ihnen zu kämpfen.
Im Laufe der Jahre entwickelte ich meine Technik im Umgang mit den Sai immer weiter und
erreichte ein hohes Niveau. Das gabelförmige Design gab dieser Waffe eine ganz eigene Ästhetik. Die Sai war
wunderschön und tödlich, eine meisterhafte Kombination von Eleganz und Effizienz und
daher eine geradezu perfekte Waffe in den Händen einer Frau. Eine geschickte und wendige
Sai-Kämpferin wäre in der Lage, es mit jedem Gegner aufzunehmen und eine Vielzahl von
Feinden damit niederzustrecken.
Ich nahm jede der fünf Sai einzeln heraus und führte ein paar klassische Hieb- und
Stichformationen mit ihnen aus. Die messerscharfen Klingen durchzuckten die Leere, als
könnten sie sogar die warme Luft durchschneiden. In dem Moment sah ich das Bild von
Steve vor mir und mich überkam das Verlangen, ihn mit meinen Sai zu durchbohren, ihn
aufzuspießen wie ein Stück Vieh und ihn dabei jämmerlich schreien zu hören.
Nach dem Training wickelte ich die edel geformten Sai wieder in die Tücher ein und
verstaute sie sorgsam in Baltics Waffenkammer. Ich schickte meine Mädels in ihren wohl
verdienten Feierabend und nahm ein heißes Bad, eine Wohltat für die überanstrengten
Muskeln. Ich musste an Anne denken. Was musste sie wohl gerade durchmachen? Ich habe
sie als taffe und starke Frau kennengelernt, auch wenn ihr zartes und hübsches Äußeres
leicht darüber hinwegtäuschen konnte. Hoffentlich hat sie sich ihren Kampfgeist und
Widerstandswillen bewahrt, trotz der menschenunwürdigen Umstände, unter denen sie
gerade leiden mochte. Wenn es gelang, sie zu befreien, würde Anne mir bei der Ausbildung
weiterer Kämpferinnen helfen können. Vielleicht konnten wir im Laufe der Zeit eine
schlagkräftige Truppe heranziehen, die in der Lage wäre, es mit Steves Männern
aufzunehmen. Es wäre dann auch möglich, all die Frauen aus dem Auffanglager zu befreien,
noch bevor sie auf dem Sklavenmarkt landen und den lüsternen Blicken ihrer Käufer
ausgesetzt werden. Das Auffanglager war weniger gut bewacht als Steves Hochsicherheits-
Anwesen. Und durch die Befreiung der Mädchen stünde uns ein weiteres Kontingent von
Kandidatinnen zur Verfügung, die wir für den Kampfeinsatz ausbilden könnten. Doch würde
all das genügen, um dem Sklavenmarkt und all diesen Monstern von Sklavenhaltern und
Menschenhändlern endgültig den Garaus zu machen? Es würde kein leichter Weg sein,
sondern ein langer, mühsamer und harter Weg, gesäumt von Blut, Schweiß und Tränen.
Doch das Ziel wäre all diese Anstrengungen wert.
„Liebe Anne“, sprach ich in Gedanken zu meiner Freundin, als könnte sie mich auf
telepathische Art empfangen. „Bitte halte noch etwas durch! Ich werde kommen und dich
retten, auch wenn es das Letzte ist, was ich tue!“