Annes Befreiung
„Eliminiert die Wachen und nehmt die Etage ein! Haltet Ausschau nach Sklavinnen und befreit alle, auf die ihr trefft. Passt auf, dass die Kerle euch nicht in den Rücken fallen! Team drei soll uns den Rückweg sichern! Wenn das Stockwerk gesichert ist, wartet auf weitere Anweisungen von mir!” „Roger!“, ertönte eine Frauenstimme aus dem Funkgerät. Dann waren Schüsse, Schreie und tumultartiger Lärm zu hören. Die Mädels vom Team zwei stürmten Raum für Raum über das gesamte Stockwerk hinweg. Sie gaben sich gegenseitig Deckung und schossen ohne Zögern auf alles und jeden, der ihnen in die Quere kam. Die Gänge und Flure füllten sich mit niedergeschossenen Wachmännern und Soldaten, die kreuz und quer, übereinander und durcheinander auf dem Boden lagen. Einige befreite Sklavinnen stiegen ohne Bedauern über die Männer, ihre einstigen Peiniger, hinweg und folgten den Kämpferinnen, die mit Maschinenpistolen im Anschlag weiter vorrückten. Jinjin und ich waren im obersten Stockwerk angekommen. Wir arbeiteten uns von Zimmer zu Zimmer vor und durchsuchten jeden Zentimeter. Immer wieder trafen wir auf Steves Wachmannschaften, die nicht im Geringsten mit einer Infiltration oder gar einem direkten Angriff gerechnet hatten. Meist wurden wir rasch mit ihnen fertig. Als zwei hochgewachsene Kerle um eine Ecke bogen, konnten wir hören, worüber sie sich unterhielten: über das Essen, das sie am Ende ihrer Schicht in der Kantine einnehmen wollten. Was für ein banales Thema! Doch nun würde ihnen ein baldiger Feierabend und ein voller Magen verwehrt bleiben. Denn Jinjin schlich sich mit raschen, lautlosen Schritten hinter die beiden Wachen. Die Klinge ihres Katanas zischte scharf durch die Luft und dann rollte auch schon der Kopf. Noch bevor Jinjin sich dem zweiten Posten widmen konnte, durchbohrte mein Say seinen Nacken. Der Stoß war so kraftvoll, dass die Klinge vorne aus seinem Mund wieder herauskam. Der Mann ging mit einem gurgelnden Geräusch zu Boden und eine schnell wachsende Blutlache breitete sich unter ihm aus. „Sorry, Jungs, aber das Abendessen ist abgesagt!“, sagte Jinjin trocken. Ich musste mir ein Lachen verkneifen und amüsierte mich über Jinjins lockere und freche Art. Wir stiegen über die Toten hinweg und kämfpten uns weiter vor. Am Ende des Ganges stießen wir auf eine Art Überwachungsbüro. Darin zählte ich sieben uniformierte Männer, die ängstlich auf Bildschirme starrten und wie panisch auf ihren Computertastaturen herumhämmerten. Baltic hatte sein selbstprogrammiertes Virus aktiviert, das eine mutige Sklavin vor einigen Tagen heimlich ins Computersystem eingeschleust hatte. Die Burschen waren so sehr mit ihren abgestürzten Computern beschäftigt, dass keiner mitbekam, wie ich flugs eine Gasgranate wie eine Kegelkugel in den Raum kullern ließ. Als die Kugel zerplatzte, wurde ein hochwirksames Nervengas freigesetzt und es dauerte nur dreißig Sekunden, bis alle Wachleute ins Land der Träume abgereist waren. Einige Minuten später hatte sich das Gas verflüchtigt und Jinjin sorgte mit ihrem Katana dafür, dass die Männer vom Land der Träume direkt und schmerzfrei ins Jenseits befördert wurden. Aus ihren Funkgeräten hörten wir aufgeregte Stimmen, die vermutlich von anderen Wachtrupps stammten. Ich griff zu meinem Funkgerät und wählte den verschlüsselten Kanal zu Baltic: „Dein Virus macht ihnen wirklich zu schaffen. Die verdammten Kerle irren umher wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen. Jinjin und ich haben gerade eine Art Kommandozentrale ausgeschaltet!“ Am Klang meiner Stimme konnte Baltic wohl vernehmen, dass ich stolz auf ihn war. „Also wirklich, Kätzchen, langsam solltest du doch wissen, dass ich keine halben Sachen mache!” Baltic nannte mich eigentlich nie bei meinem Namen, sondern redete mich meist nur mit „Kätzchen“ an. Jetzt hatte ich wieder das Bild einer gefährlichen Wildkatze vor Augen und bekam ein wenig Gänsehaut. Baltic hatte ein riesiges Poster von einer majestätischen Leopardin über dem Doppelbett anbringen lassen, und ich wusste, dass ich wohl tagelang nicht aus diesem Bett herauskommen würde, sobald diese Sache hier vorüber wäre. Ein Anflug von Sehnsucht überkam mich nach Baltics starken Armen und sanften Küssen. Ich war nun entschlossener denn je, die Kommandoaktion so schnell wie möglich hinter mich zu bringen. Als Jinjin und ich weiter vorrückten, kam uns ein weiterer Wachmann in die Quere. Noch bevor er oder Jinjin reagieren konnten, schnellte ich vor, machte einen langen Ausfallschritt und ließ die beiden Say ihr tödliches Werk verrichten. Eine Say-Klinge bohrte sich in die Körpermitte des Mannes, während die zweite mit voller Wucht gegen und durch seine Stirn stieß. Ein hässliches Knacken war zu vernehmen, als die scharfe Klinge den Knochen durchbohrte und zersplitterte. „Wow!“, kam es von Jinjin. „Den Typen hast du erledigt, bevor er auch nur einen Mucks machen konnte. Du bist dermaßen schnell, dass gar keine Gegner mehr für mich übrigbleiben. Lass mir ein paar übrig, bevor ich für den Rest des Tages leer ausgehe!“ Mir war nicht ganz klar, ob sie es scherzhaft oder ernst meinte. „Du bist doch nur neidisch, weil ich ein paar Kerle mehr erledigt habe als du!”, sagte ich schnippisch und klopfte ihr dabei auf die Schulter. „Wenn das so ist, Boss, dann sollten wir wohl eine Wette machen. Diejenige, die den höchsten Killcount erzielt, bekommt am Ende ein Fass Sake spendiert!”, sagte Jinjin mit verschmitzter Miene. Ich schaute meine Gefährtin überrascht an und überlegte kurz. „Ok, Jinjin, die Wette gilt!“ Dann aktivierte ich das Headset am Ohr und funkte an die Teams: „Alle mal zuhören, Mädels! Jinjin möchte, dass wir in einen Wettbewerb treten. Diejenige, die am meisten Gegner erledigt, bekommt am Ende ein Fass Sake spendiert! Also legt los und enttäuscht mich nicht!” „Roger!“, tönte es aus dem Funkgerät. Wenig später meldeten die Mädels sich überbietende Zahlen: „Ich habe jetzt sieben. Ich zwölf. Ich fünfzehn, nein, jetzt sind es sechzehn!“ Jinjin und ich stürmten weiter und machten kurzen Prozess mit allen Wachleuten, die den Fehler machten, sich uns entgegenzustellen. Wir klärten Zimmer für Zimmer, Gang für Gang, einen Flur nach dem anderen. Schließlich hatten wir uns in den Hochsicherheitsbereich vorgearbeitet, wo wir Steves Kommandozentrale und den Aufenthaltsort von Anne vermuteten. Jetzt würde es wie ein Pokerspiel werden. Jederzeit konnte eine von uns auf Steve treffen, doch ich wollte ihn lebend. Er war noch nicht an der Reihe! Am liebsten würde ich ihn mir bis zum Schluss aufheben und mich so lange mit ihm beschäftigen, bis er darum bettelt, getötet zu werden. Über Funk wies ich die Teams an, zu uns aufzuschließen. Team drei sollte den Fluchtweg sichern, auch wenn es nötig war ihn freizuschießen. Etliche Sklavinnen wurden von den Frauen befreit, unter ihnen auch einige männliche Sklaven. Manche waren in einem erbärmlichen Zustand, erschöpft und ausgehungert. Nora, unsere Ärztin, hatte alle Hände voll zu tun, um die Männer und Frauen medizinisch zu versorgen. Mit einem kurzen Nicken gab ich Jinjin und Isabell zu verstehen, mich zu flankieren. Zu dritt rückten wir weiter vor mit unseren Waffen im Anschlag. Eine Sicherheitsschleuse wurde von zwei Kerlen bewacht. Isabells Peitsche legte sich wie ein Lasso um den Hals einer Wache. Ein kurzer Ruck und der Mann zuckte wie ein Fisch auf dem Trockenen, während sein Kollege mit einem Loch in der Stirn zu Boden fiel. Ich bewegte mich auf die Tür zu. Dank Baltics Computerhacks konnte ich das Schloss ohne weitere Probleme öffnen. Während Jinjin und Isabell den Raum sicherten, trat ich vorsichtig in das nur spärlich erleuchtete Zimmer. Es war schlicht eingerichtet mit einem Bett an der gegenüberliegenden Wand. Darin lag Anne, mit beiden Händen an das Kopfende gefesselt. Ihr Anblick schockte mich bis auf die Knochen. Sie war bewusstlos und nackt. Ihr ganzer Körper war mit Blutspuren übersät. An einigen Stellen war das Blut noch frisch, so als ob ihr einige Verletzungen erst kürzlich beigebracht worden waren. Ich funkte an die Teams, dass ich Anne endlich gefunden habe. Die Mädels sollten nach Steve Ausschau halten, denn er musste ganz in der Nähe sein, und ihn gegebenenfalls gefangen nehmen. Dann wandte ich mich der bewusstlosen Anne zu und löste ihre Fesseln. Anne, kannst du mich hören?”, fragte ich und berührte sie sanft an der Schulter. Ihr Körper war mit blauen Flecken und Schnitten übersät. Ihr eigentlich hübsches Gesicht war angeschwollen und bot keinen schönen Anblick. Es schien, als sei mit Fäusten auf sie eingeschlagen worden. Einige Wunden an ihrem Körper schienen frisch zu sein und bluteten. Man hatte ihr eine Infusion angehängt, offenbar weil man erst spät merkte, dass sie lebensgefährlich verletzt oder am Verbluten war? Diese widerlichen Schweine! Mich überkam das Verlangen, Steve all das heimzuzahlen, was er Anne und den unzähligen Sklavinnen in seinem Harem jemals angetan haben mochte. Ich zog das Bettlaken herunter und schnitt es mit meiner Say in lange Streifen. Die messerscharfe Klinge fuhr flüssig durch den Stoff, als sei er aus Papier. Mit den Stoffstreifen konnte ich Annes Wunden notdürftig verbinden, sodass die Blutungen fürs Erste gestoppt wurden. Ich hoffte, dass sie noch ein Weilchen bewusstlos bleiben würde, denn sobald sie erwachte, würde sie von höllischen Schmerzen geplagt werden. Im Kleiderschrank fand ich einen seidenen Morgenmantel und zog ihn Anne über. Isabell wies ich an, Anne eine Morphinspritze zu verabreichen, die ihre Schmerzen betäubten, falls sie aufwachen würde. Mit Jinjins und Isabells Hilfe hievte ich mir Anne auf meinen Rücken und wir banden sie mit weiteren Stoffstreifen an mir fest. So konnte sie nicht herunterrutschen, wenn wir den Rückzug antraten. Team drei hatte in weiser Voraussicht Katrin, eine erfahrene Soldatin, zu uns abkommandiert. Sie konnte gut mit jeder Art von Schusswaffen umgehen und würde uns ohne Kompromisse den Weg freischießen, falls sich noch nennenswerter Widerstand vonseiten der Wachmannschaften bemerkbar machen sollte. Jinjin und Isabell bildeten die Vorhut, Katrin sicherte die Flanken und nach hinten mit ihrem Sturmgewehr ab. Ich glaubte, ein kurzes Stöhnen von Anne auf meinem Rücken zu vernehmen. Dann funkte ich an alle: „Mädels, Nora, Baltic! Wir haben Anne. Sie ist schwer verletzt und in kritischem Zustand! Haltet euch bereit! Wir kommen jetzt raus! Lenora ‚Over and Out‘!“