Der Obrist ritt mit seinen acht Schwadronen der Königlichen Lanzenreiter samt dem Tross in vollendeten Formation im Morgengrauen auf die Bastion zu. Es gab keine Geheimnisse, die sie nicht bereits wussten, denn seit über einer Woche wurde die Bastion akribisch von zehn Männern beobachtet. Zweihundert Reiter und einhundert Festungssoldaten bewachten dieses riesige Depot, an einer angeblich friedlichen Grenze. An diesem Ort lagerten die Tribute der Südvölker, die aus haltbaren Getreide und drei großen Viehherden bestand. Im Depot lagerten zudem Waffen, Leder, Kurzwaffen und schwere Waffen, die in der nächsten Ortschaft gefertigt wurden. Ein Melder hatte ihnen gesteckt, dass zwanzig dieser Waffen vor wenigen Tagen geliefert worden waren. Nur vier Lanzenreiter ritten außerhalb der Formation, um die Einhaltung der Order zu überwachen. Hielt ein Soldat die Lanze nicht richtig, dann setzte es Hiebe. Geriet die Schwadron in Unordnung, so wurde es harsch korrigiert. Diese typischen Merkmale der Lanzenreiter mussten penibel eingehalten werden, damit ihre Vorführung den richtigen Eindruck auf die Besetzung der Bastion machte. Jeder in dieser Formation wusste, dass der äußere Eindruck stimmen musste, damit die Besatzung glaubte königliche Lanzenreiter vor sich zu sehen.
Etwa eine Meile vor der Bastion wurden drei Meldereiter mit den Befehlen zur Bastion vorausgeschickt, damit die Besatzung Zeit fand, um den Befehl zu lesen und alles vorzubereiten. Zügig sprengten die Meldereiter voraus und präsentierten gleichzeitig ihr Banner. Der Rest der Einheit folgte im Trab. Für Oberst Durlass gab es keinen Grund zur Sorge. Er wartete nur auf den Moment, dass zehn Lanzenreiter der Bastion vor das Tor ritten und ein Spalier bildeten. Dieser Moment kam und unbesorgt ritten sie weiter. Rasch ging der Obrist noch einmal alle Namen durch. Der Major vom letzten Jahr hieß Brick, der verstarb vorzeitig durch den Zorn des Generals, weil er nicht alle Güter bekam. Der neue Kommandant war Major Elster. Der war zuvor Hauptmann bei den Königlichen Meldereitern im Osten und wird die Vasken kennen. Bei dem Einritt in die Bastion senkten die Männer von Oberst Durlass und das Empfangskommando die Lanzen, so wie es üblich war. Etwa in der Mitte der Anlage stürzten vier Knappen auf ihn zu, um ihn aus dem Sattel zu helfen. Natürlich stieg er selbst von seinem Ross und übergab die Zügel an einen Junker. Scharf musterte er den Junker, damit der Junker wusste, dass dieses Pferd die beste Behandlung verdiente. Ein zweiter Junker führte ihn zu dem Major, der Abseits auf ihn wartete.
Eifrig salutierte der Major vor dem Obristen und machte Meldung, so wie es in der Truppe üblich war. Der Obrist wies auf die Kommandantur und eröffnete sofort das Gespräch. "Die Vasken sind im Osten eingefallen. Und die Reesen sind bis nach Trommen vorgestoßen. Andere Bastionen haben sie abgefackelt und selbiges gilt für einige Brücken. Mit der Winterruhe wird es dieses Jahr wohl nichts." Brummig entgegnete der Major. "Das war abzusehen, weil wir es versäumten deren Widerstand vollständig zu brechen und genügend Geiseln zu nehmen. Aber ihr kennt es ja sicher aus eigener Erfahrung. Immer wieder werden neue Feldzüge gestartet - bevor die Lage halbwegs geklärt wurde." "Ja, aus diesem Grund bin ich hier. Der General braucht Getreide und eben alles was auf der Liste steht. Und ihr kennt hoffentlich unseren General, der unnachgiebig die Truppen immer wieder in Schlachten wirft. Einer eurer ehemaligen Männer ist jetzt Lanzenreiter, da überall gut ausgebildete Männer fehlen. Es trifft offenbar alle Truppenteile im gleichen Maße. Und ihr kennt hoffentlich die Geschichte eures Vorgängers. Aber prüft bitte zuerst die Befehle. So viel Zeit sollte sein. Ach, soll ich eure ehemaligen Männer rufen lassen. Ein Glas Wein kann ich den Männern ruhig gönnen. Immerhin sind wir seit zwölf Tagen unterwegs. Und auch ich denke, dass ich mir ein Glas Wein verdient habe."
Noch vor der Tür rief der Obrist. "Malon, hole die ehemaligen Meldereiter, aber zackig." Sofort sprintete der Unteroffizier los, als sei der Teufel hinter ihm her." Der Major nahm es zur Kenntnis. Im Inneren erwarteten den Obristen vier Offiziere und zwei Edelknappen. Auf dem Tisch standen Gläser und das übliche Brot samt den Bratenscheiben und Käsescheiben. Listen lagen auf dem Schreibtisch und erst jetzt schaute der Major wieder zu dem Obristen. "Ich kenne euren Namen nicht. Aber scheinbar kennt ihr euch hier gut aus. Könnt ihr mir das erklären." Oberst Durlass legte seine Handschuhe ab. "Ihr kennt den General? Er hetzt uns von Schlachtfeld zu Schlachtfeld. Dabei kommen ihm immer wieder seine Offiziere abhanden, weil sich die Gegner verbissen wehren. Letztes Jahr war ich noch Hauptmann. Ich stamme von den namenlosen Panzerreitern, die er gerne als erste Einheit in jede Schlacht wirft. Da ich überlebte und seine Lanzenreiter mehrfach hohe Verluste erlitten, darunter auch viele Offiziere, wurde ich zuerst zum Major und dann zum Obristen befördert. Wenn ich ehrlich sein darf? Ich wäre lieber nur Major von meiner Truppe. Dann müsste ich mich nicht immer im Dunstkreis von dem Herrn General aufhalten. Versteht, es ist nicht immer leicht sämtliche Wünsche des Generals zu erfüllen. Gerät man in Ungnade, dann endet die Karriere i einem Moment und oft auch noch das Leben. Oberst Kosak ist hingerichtet worden, weil er mit seinem Regiment nicht gegen die achtfache Übermacht der Gegner siegte. So sieht es der General und auch ich fürchte jederzeit um mein Leben."
Leise flüsterte der Major. "Das wissen wir alle. Heute noch hoch gelobt und am nächsten Tag landet man im Kerker oder betrachtet den Himmel aus einem feuchten Grab heraus. Ich sehe schon, dass wir alle in einer Zwickmühle stecken und allesamt einen sicheren Schutzraum oder Fluchtpunkt brauchen, um irgendwie überleben zu können." Oberst Durlass nickte nur knapp. "Dieses Mal dürfte es ernster sein. Der König ist krank und der General macht sich größte Sorge. Er hat General Tenner zu den Vasken beordert. Er wird möglicherweise Trommen befreien wollen, um danach zu seinem Bruder zu reisen. Ob ich einen Tag früher oder später in meiner Heimat eintreffe spielt derzeit keine Rolle, da ich nicht einmal weiß, wo seine Truppen in zwei oder drei Wochen stehen könnten. Das Regiment der roten Teufel marschiert gerade in Richtung der Bastion Mosen, weil es dort Aufruhr gibt. Ich weiß es nur, weil er den Befehl offen durch die Gegend brüllte. Mehr weiß ich allerdings nicht. Ob es stimmt oder nicht, zwei Reserveregimenter bewachen die Residenz, weil der König offenbar Ungemach wittert. Was das zu bedeuten hat - ist mir nicht bekannt."
Diese Neuigkeiten sorgten für einen konsternierten Blick bei dem Major. Kühn setzte der Oberst nach. "Es dürfte noch schlimmer sein, denn es gibt sicher viele Dinge, die wir nicht wissen. Ich kann zumindest sagen, dass viele Truppen nach den vielen Kämpfen erschöpft sind. Sagt mir jetzt bitte, ob eure Familie in Sicherheit ist. Falls nicht alles geliefert wird, dann fallen wir beide unter den Bann vom General." Der Major grübelte kurz. Meine Familie lebt in Derwall, das ist der Ort zwei Stunden von hier entfernt. So ist es bei den meisten Männern an diesem Standort." Der Oberst nickte. Zugleich betrat Ars mit zehn Männern den Raum. "Es wird alles verladen. Jokesch übernimmt den Abtransport von dem Vieh und den Pferden. Wir beladen auch noch die vierzig Wagen bei den Gattern und alle Wagen, die hier nutzlos herumstehen, zu verladen. Die schweren Waffen sind verladen und das Getreide ebenso. Die Kurzwaffen fehlen noch, aber wir sind noch dabei."
Der Major stutzte kurz. "Ihr seid recht forsch junger Mann. Grüßt man nicht, wenn man vor Offiziere tritt und eine Meldung abgibt?" Ars schüttelte den Kopf. "Bei den Roten Teufeln ist das nicht üblich. Ein Teil eurer Männer wollen sich uns anschließen." Der Oberst winkte ab und drehte sich zu dem Major. "Ich überlasse euch die Wahl. Ihr könnt ehrenvoll sterben oder hier verweilen oder ihr könnt euch uns anschließen. Ich bin der Rote Teufel. Derzeit sind wir auf dem Weg zu meinem sicheren Rückzugsort. Das ist das Land Ethymien. Wir haben es fast kampflos vom König übernommen und werden es gegen den König von Ranak verteidigen, so lange wir es können. Dazu benötigen wir Waffen und Ausrüstung und eure Truppenkasse. Natürlich sind wir für jede Unterstützung dankbar. Im Gegensatz zu diesem König und dem General töten wir unsere Gegner nicht. Das ist auch der Grund, warum die Vasken und Reesen ihre Vorstöße gewagt haben. Jetzt, wo wir nicht mehr die Angriffe abwehren - können sie ungehindert weit ins Land vorstoßen. Und verlasst euch darauf, es werden noch zwei weitere Völker Aufstände wagen. Damit dürfte selbst der General über Monate zu kämpfen haben, denn ein drittel seiner Truppen werden nur zu bereitwillig zu den Gegnern überlaufen und die besten Einheiten im Land stehen ihm nicht mehr zur Verfügung. Das sind die Roten Teufel samt der schwarzen Brigade und dann noch die Truppen aus Derwala. Natürlich sieht es der General anders, aber jetzt kann er versuchen die Suppe auszulöffeln, die er sich selbst eingebrockt hat. Wir haben nur die Abfälle zu fressen bekommen."
Der Major blickte fragend zu dem Obristen. "Wenn ich bleibe sterbe ich samt meiner Familie. Kämpfe ich gegen euch, dann ändert sich nichts für mich und meine Familie. Bleibt also die Frage, wie ihr mich und meine Männer behandeln werdet?" Ars lachte und gab die Antwort. "Der Oberst hat bisher alle Freunde gut behandelt. Seht mich an. Ich wurde als Krieger und Schreiber vom General Tenner ausgestoßen. Der Oberst nahm mich auf und gab mir eine neue Heimat. Er hat dafür gesorgt, dass ich in seiner Truppe dienen durfte und jetzt ziehe ich mit meiner Schwester nach Ethymien. Alles ist besser als Ranak. Korporal Swift kennt ihr sicher noch. Er wurde degradiert, weil er angeblich nicht gerade genug stand und sein Gruß dem General missfiel. Der Oberst hingegen behandelt uns wie Menschen und wir teilen alles. Das gilt sogar für das madenverseuchte Brot. Gerne helfe ich euch, eure Familie in Sicherheit zu bringen. Natürlich müssen wir in Ethymien vieles neu aufbauen, aber das ist allemal besser als das ungewisse und entwürdigende Leben in Ranak."
Der Major grübelte kurz. "Erlaubt mir mit einigen eurer Männer nach Derwall zu reiten. Dort stehen weitere vierzig Wagen. Darauf verladen wir alles, was wir brauchen und unsere Familien. Ich weiß zudem, dass in der Domäne des Königs über einhunderttausend Gulden in Gold lagern. Dazu noch Beute aus verschiedenen Feldzügen. Noch wertvoller ist jedoch das Schwarze Pulver, mit dem sie die Bastionen zerstören, wenn sie diese erobert haben. Ich kenne mich ein wenig damit aus und kenne die Zutaten und wir stellen die Zündschnüre für das Teufelszeug her. Und nachher trifft noch eine Karawane mit Tributen ein, die das Gift für das Königshaus bereit stellt. Auch das kann nützlich sein, da der König nicht mehr so großzügig morden kann."
"Abgemacht Major, wir helfen euch und sorgen für euren Schutz und den Schutz für eure Familien. Noch eine wichtige Kleinigkeit. Die Lanzenreiter vom General haben sämtliche Massaker unter den Zivilisten angerichtet. Zu keiner Zeit haben wir uns an solchen Gräueltaten an Zivilisten beteiligt, weil ich nicht gegen Frauen und Kinder kämpfe. Nun sputet euch. Ars und Swift werden euch begleiten. Ich gebe fünfzig meiner Männer mit. Dann sieht es offizieller aus, wenn ihr in den Ort reitet."
XXX
Das Verladen der Waffen und anderen Güter nahm Zeit in Anspruch. Waffen und Getreide waren die wichtigsten Güter. Danach folgten die gut gefüllte Truppenkasse und das Leder. Zwischendurch stärkten sich alle Männer mit dem Proviant aus der Bastion. Die Pferde wurden ebenfalls bestens versorgt, damit sie auch noch die nächsten Etappen gut überstehen würden. Zweihundert Hafersäcke wurden an den Pferden befestigt, damit sie unterwegs weniger Zeit für das Weiden der Tiere benötigten. Die Herden wurden bereits entlassen, damit sie mehr Zeit für den Marsch bekamen. Wagen für Wagen beluden sie sorgsam. Kerzen, Stoffe und jegliche Art an Ausrüstung folgte. Spitzhacken, Meißel, Schmiedewerkzeug, Holzkohle, der Truppenwein, Decken für die Männer und alles was an Kleidung verfügbar war. Zuletzt folgten Laternen und der Rest an Proviant samt dem Truppengeschirr und den großen Suppenkesseln.
Nach Stunden waren sie fertig und warteten nur noch auf die Karawane, die sich träge oder vorsichtig der Bastion näherte. Sie wussten nur, dass es ein Volk war, dass sich Tamuren nannte und aus der Steppe weit im Süden Stammte. Durlass besah sich die Kamele, die von Männern geführt wurden. Vor dem Tor empfing der Obrist die Männer. Ein älterer hagerer Mann kam auf ihn zu und warf sich auf den Boden. Der Obrist verstand nicht alles, aber er merkte, dass die Männer enormen Respekt vor ihnen hatten. Devot reichte der Mann ihm eine Tributliste. Fast wehklagend sagte der Mann nun, dass sie nicht alles dabei hatten, weil es ein schlechtes Jahr war. Nach dem Lesen der Liste stellte er fest, dass Schafe und Ziegen fehlten. Acht Salztafeln fehlten ebenso. Sechstausend Gulden und und das Silber fehlten nicht. Dafür waren aber wertvolle Stoffe vorhanden. Auch das Gift war vorhanden, so dass er eine Auswahl traf, was er nehmen wollte und was er den Männern lassen wollte. Gelassen nickte er die Liste ab. Rasch entschied er den Mann auf die Beine zu stellen.
"Die dürren Schafe und Ziegen könnt ihr behalten. Die Erze und und Edelsteine samt dem Geld bringt ihr mir rasch her. Das Gift und die Stoffe nehmen wir ebenfalls. Aber das Vieh könnt ihr wieder in eure Heimat führen, damit eure Familien nicht verhungern. Wir sehen ja, dass ihr Hunger leidet. Ich zeichne die Liste in der Kommandantur ab und dann ist es in Ordnung. Mit seinem Siegelring bestätigte er die Übergabe und betrachtete danach das Gold und das Silber. Die Goldmünzen wogen fast das doppelte von Goldgulden. Also ließ er eintausend Goldgulden holen, um sie dem Mann auszuhändigen. Dezidiert erklärte er dem Mann, dass sie immer zu viel Gold geliefert hatten. Mit zwei Goldgulden bezahlte er das Salz. Dazu gab er vier Säcke mit getrockneten Linsen und Erbsen. Die Reste der Suppe verteilte er auch noch unter den Gästen. Zehn Speckseiten und vier Käselaibe folgten noch. Nach dem Mahl und einem längeren Palaver bekamen die Männer noch gefüllte Wassersäcke und Futter für die Kamele. Offen sprach er den Mann, der sich Karam nannte an. "Derzeit herrschen Unruhen im Land. Es ist das Beste, wenn ihr euch rasch auf den Heimweg begebt. Marschiert so zügig wie möglich, denn hier kann es jetzt jederzeit Krieg geben. Und falls ihr in Zukunft Hilfe braucht, dann wendet euch bitte an Ethymien. Ich bin der neue Herr von dem Land und freue mich über jeden Freund in der Nachbarschaft. Aber nun macht euch auf den Rückweg und ich will hoffen, dass ihr Gesund in eurer Heimat eintrefft." Ungläubig nickte der Mann, der sein Glück kaum fassen konnte, den Gruß an Reisende ab. Beschenkt mit Nahrung und der Ausrüstung gingen sie zu den Kamelen und ritten nun auf den Lasttieren, die erstaunlich schnell waren, wenn sie geritten wurden.
Ein Offizier aus der Bastion gab nun eine Erklärung ab. "Die Hälfte der Männer wurde früher getötet, wenn etwas fehlte. Der König schraubte die Tribute jedes Jahr höher, weil der Bedarf an Gold jedes Jahr stieg. Ich glaube heute habt ihr einen Mann mehr als glücklich gemacht. Die Tamuren und auch die Aseken werden seit zehn Jahren ausgepresst, damit der König und sein Bruder im größtmöglichen Wohlstand leben können. Stolz erzählen die Völker von ihrem Hirtenleben in der Steppe im Süden. Dennoch sollte man den Kerlen nicht trauen, denn sie verdienen ihren Lebensunterhalt auch mit Überfällen auf Karawanen, Viehdiebstahl und dem Schmuggel von Drogen und Edelsteinen." "Das mag alles stimmen, aber es kann nichts schaden, wenn sie uns als Freunde betrachten. Als ich klein war, besuchten uns jedes Jahr Karawanen und nur zwei Mal wagten sie es uns anzugreifen. Damals gab es kaum Regen und ich vermute, dass sie der Hunger zu uns trieb. Im Moment hoffe ich nur, dass meine Freunde alles im Land vorbereitet haben und das Gelbe Tor und das Rote Tor wieder aufgebaut wurden. Der Baumeister berichtete zumindest, dass diese beiden Bastionen jetzt wesentlich stärker wären als zuvor. Gesehen habe ich es noch nicht, weil ich ein Sklave von Ranak war. Verzeiht meine Sentimentalität, aber nach so vielen Jahren zurück in die Heimat zu reisen bedeutet eine erste Befreiung für mich."
Der Offizier, ein Hauptmann, schaute zurück. "Dann besitzt ihr mehr Hoffnung als ich, denn bisher war ich auch nur ein Sklave. Von uns vierzig Kindern, die an Ranak ausgeliefert wurden leben nur noch ich. Seit Jahren trauer ich um die Freunde, die in vielen sinnlosen Kriegen gestorben sind. Meine Heimat war damals vor etwa fünfzehn Jahren Barkup, das ist eine Hafenstadt im Westen. Meine Familie jedoch stammte aus dem Norden. Meine Eltern sagten immer, dass sie aus Toringen stammten, wo immer dieser Ort liegen mag. Ich weiß nicht einmal, zu welchem Land dieser Ort gehört." Der Obrist legte ihm die Hand auf die Schulter. "Jetzt kannst du dir deine neue Heimat aufbauen. In Ethymien gibt es viele Erze, viel Handwerk und Landwirtschaft. Natürlich haben wir auch Schmiede, Baumänner und Weber. Andere Leute verdienen ihren Unterhalt mit dem Malen von Bildern oder dem Musizieren. Ich wuchs auf einer Domäne auf, die feinste Pferde gezüchtet hatte. Ob ich es nach all den Jahren noch erkenne, weiß ich nicht. Also geht es mir kaum besser als dir. Wie heißt du überhaupt?"
"Die Leute riefen mich immer Mischa, aber eigentlich heiße ich Birk Ledson. Aber der Name gefiel den Leuten nicht, daher bekam ich den Namen eines Hundes." "Ich nenne meinen Vornamen erst in der Heimat, so will es der Brauch. Die meisten Männer kennen nur meinen Namen Tyrell, daher belasse ich es vorerst bei diesem Namen. Nun sollten wir ruhen, damit wir den Marsch halbwegs erholt angehen können, der uns zur Furt führen wird. Erst wenn wir den Fluss passiert haben, können wir uns halbwegs in Sicherheit fühlen. Haben wir dann auch noch die alte Bastion passiert, dann holt uns keiner mehr ein, selbst, wenn er auf einem Renner reitet. Zudem, sind wir inzwischen mehr als fünftausend Reiter. Die meisten sind jedoch den Kampf zu Fuß gewohnt, so dass es derzeit nur so aussieht, als wären wir Lanzenreiter."
Birk lachte laut. "Dafür habt ihr ihr euch aber recht gut präsentiert. Ihr habt mehr Haltung gezeigt, als die anderen Gardereiter und Lanzenreiter vom König, die hier in den letzten Jahren aufschlugen. Viele glaubten nur, dass sie Krieger seien, weil sie eine nette Rüstung tragen. Die Meisten konnten noch nicht mal richtig mit dem Schwert kämpfen, dass sie offenbar nur als feines Schmuckstück betrachten. Ich gehörte zu den leichten Reitern und weiß genau, dass die Lanze nur einmal zu benutzen ist. Danach muss man mit dem Schwert zuhauen können, ansonsten endet das Leben recht schnell." Durlass winkte ab. Mit den schönen Bögen können sie auch nichts anfangen, weil es ihnen keiner beibrachte. Wir hingegen kämpften mit allen Waffen. Nur so konnten wir die vielen Kämpfe überstehen." Genügend Männer bewachten nun die Bastion und sie warteten auf die Rückkehr von dem Major und einem kleinen Wagenzug. In der Dämmerung sahen sie eine lange Kolonne mit Vieh und Pferden und etwa sechzig Wagen und und etwa der gleichen Anzahl an anderen Gespannen. Gemächlich näherte sich der Zug der Bastion.
Der Major und zwei Melder trafen als erste ein, um Meldung zu erstatten. "Die Beute ist reichhaltig. Zwanzig schwere Waffen, dazu die Baumeister und Schmiede. Das Gold und das Schwarze Pulver. Wertvolle Waffen, Edelsteine und reichlich Proviant samt dem guten Wein für die reichen Leute. Werkzeuge und Handwerker und vier Alchimisten, die das Schwarze Pulver herstellen. Unsere Familien und bestes Saatgut und viel Federvieh. Zweihundert Rinder und doppelt so viele Pferde. Auch Schweine und Schafe haben wir uns genommen. Aber wichtiger sind das Gift und die vielen kleinen Verträge, die der König mit den verschiedenen Vasallen geschlossen hat. Fünfzig Krieger haben sich uns angeschlossen. Es ist die Stadtwache, die seit Jahren auf den Sold wartet. Gebt ihnen ein wenig Silber und sie sind Glücklich. Für ein vernünftiges Essen sind sie euch treu ergeben und zuletzt noch unsere Familien. Erlaubt mir noch einen kleinen Zusatz. Die Domäne wird in zwei Tagen ein Raub der Flammen. So zahle ich dem König mein dreckiges Leben zurück. Verzeiht, aber es muss sein, weil er zu viele meiner Männer erniedrigt hat und selbst mich über Jahre drangsalierte. Insgesamt waren wir doch alle nur Sklaven vom König. Wir durften sterben und im Dreck leben. Mehr war uns ehrlichen Männern nicht gestattet."
Der Obrist nickte nur. "Gut gemacht, Major. Wie viel Gold habt ihr erbeutet? Das interessiert mich mehr." Der stämmige Mann antwortete vorsichtig. "Zweihunderttausend Gulden in Gold und das doppelte in Silbergeld. Die Edelsteine sind noch wertvoller. Eine genaue Summe kann ich leider nicht nennen, weil ich mich mit dem Zeug nicht auskenne. Aber das Tafelgeschirr aus Silber samt dem anderen Geraffel aus Kristall nahmen wir auch mit. Immerhin prangt darauf vermutlich euer Wappen. Der Verwalter musste leider sein Leben lassen, weil er sich verstockt anstellte. Er stürzte dumm nach einem Schlag in die Fresse und danach war er auf dem Weg zu seinen Göttern. Ars wird es euch auch berichten. Die anderen Leute mussten nur ihre Schuhe abgeben und wurden für mehrere Tage am Gehen gehindert. Ars hat diese Prozedur durchgeführt. Nur so nebenbei, wann marschieren wir ab? In drei oder vier Tagen wollen zwei berittene Einheiten die Domäne besuchen. Bis dahin sollten wir uns aus dem Staub gemacht haben."
Durlass wies auf das Tor. "Nach einer kleinen Rast marschieren wir ab. Zuvor machen wir noch die Bastion unbrauchbar. Wir zerstörten schon die Tore und die Schmiede. Die Stallungen und die Unterkünfte werden folgen und danach alle anderen Gebäude. Einzig die Kommandantur lassen wir intakt zurück, damit sie ungefähr abschätzen können, was ihnen verloren ging. Die Berichte über die Tribute lassen wir zurück, damit sie nicht Rache an den Vasallen üben. Obwohl ich derzeit denke, dass Ranak schweren Zeiten entgegen sieht. Der General wurde wie ein Schaf geschoren und besitzt nur noch eine Kutte und Sandalen. Den Siegelring besitze ich und sein geliebtes Briefpapier besitze ich ebenso. Mit Glück erreicht er in drei oder vier Tagen die Burg Traves. In etwa zehn bis zwanzig Tagen ist er eventuell wieder handlungsfähig, wenn seine Wunden zügig verheilen. Bis dahin sind wir sicher in Ethymien. Alles andere geht mir am Arsch vorbei, da wir fast alle Brieftauben ausgetauscht haben. Seine Befehle werden also nicht die Personen erreichen, die er mit Befehlen erreichen will. Manche denken hoffentlich, dass der alte Sack nun endlich nur noch dummes Zeug macht und die Befehlskette wird lange unter diesem kleinen Eingriff leiden. Es brauchte eben seine Zeit, um alle Truppen durch das Land zu hetzen und für ein Chaos zu sorgen. Gut die Hälfte der Truppen jagt derzeit Geistern hinterher, die es nicht gibt. Andere werden auf Gegner treffen, denen sie nicht gewachsen sind und Ranak wird viel Land und Einfluss verlieren. Der alte General wird Wochen oder Monate benötigen, um die Lage in den Griff zu bekommen. Diese Zeit müssen wir nutzen, um uns zu verpieseln und und die eigenen Verteidigungslinien aufzubauen. Im Winter werden die Truppen hungern und das Volk ebenso, weil bereits viele Depots von dem übereifrigen General geplündert wurden. Sollte der König sterben, dann wäre es noch besser, weil der General nicht zwei Aufgaben zu gleicher Zeit ausfüllen kann. Letztendlich wird seine Rachsucht und Mordlust das Land weiter schwächen, weil er keinem anderen Menschen vertraut." "Jetzt verstehe ich euren Plan, Oberst. Ihr setzt also auf die Inkompetenz der noblen Führungsriege, um das Land ins Chaos zu stürzen. Greift der General zu hart durch, dann wird es weitere Aufstände geben und Ranak verliert weitere Vasallen und damit Gold, Truppen und angebliche Freunde. Das sind meine Trumpfkarten, die uns in die Karten spielen. In einem halben Jahr sind wir hoffentlich so weit, um jeglichen Angriff abweisen zu können."
XXX
Der Marsch und die Flussüberquerung wurden zu einer Kraftprobe. Aber die Götter waren ihnen gewogen. Einen Tag nach dem Passieren der Furt begann es heftig zu regnen und stetig stieg der Flusspegel an. Die Strömung nahm zu und eine Passage wurde unmöglich. Kaum einer würde es derzeit wagen, diese Furt zu nutzen. In der alten Bastion legten sie einen Rasttag ein, damit sich die Frauen und Kinder von den Strapazen des Marsches erholen konnten. Der Regen bescherte zumindest den Pferden und dem Vieh genügend frisches Futter. In der Ödnis wuchsen nun Blumen und satte Weiden keimten. Nur die Menschen litten, da sie nicht wussten, was marschieren bei schlechtem Wetter bedeutete. Zudem wurde es kühler und manche Leute benötigten warme Decken und große Lagerfeuer, um sich nach den vielen Meilen zu erholen. Banditen griffen sie nicht an, da sie keine Aussicht auf Erfolg gegen so eine große Truppe sahen. Ein Marschtag folgte auf den vorhergehenden Tag und der nächste Tag wurde auch nicht besser. Immerhin regnete es nicht mehr, das führte zu einer gewissen Entspannung für Ross und Reiter.
Nach drei Tagen bogen sie in das Gebirge ab, um das Gelbe Tor im Gebirge zu erreichen. Die Reiter führten ihre Pferde und viele Hände schoben die Wagen die Steigungen bergauf. Zwei Tage quälten sie sich über steile Wege, bis sie das Gelbe Tor erblickten. Mächtig wuchs vor ihnen eine steile Rampe empor, die durch ein gewaltiges Tor führte. Von der Bastion aus wurden sie bejubelt, denn mit so einer riesigen Kolonne hatte kein Mann in der Bastion gerechnet. Hunderte Männer quollen aus dem Tor um ihnen zu helfen. Pferde wurden an die Hand genommen und und die Wagen die letzten Höhenmeter bergauf geschoben. Die Pferde und die Menschen waren nach dieser Tortur müde, aber sie mussten diese letzten Meter gehen, um sich endlich in Sicherheit zu wissen. Es folgten die Pferdeherden und im Anschluss das Vieh. Als letzte Einheit passierten die roten Teufel das Tor. In einem grünen Talzug konnten sich alle Begleiter erholen. Fette Weiden boten Rindern, Schafen und Ziegen sowie den Rössern genügend Nahrung und in vorbereiteten Feldküchen wurden die Menschen großzügig versorgt. Viele Personen realisierten erst in diesem Moment, dass sie jetzt in einer neuen und friedvollen Welt angekommen waren.
Die Menschen sahen zudem, dass der Obrist das gleiche Essen aus einer einfachen Holzschüssel zu sich nahm. Er ruhte ebenso in einem einfachen Zelt und schlief auf einem kargen Lager. Major Elster gesellte sich zu dem Obristen. "Das hätte ich nicht erwartet. Alle essen das gleiche Essen und alle bekommen es in einfachen Holzschüsseln serviert. Ihr sitzt sogar zwischen dem einfachen Volk und jeder sieht, dass ihr nicht so wie der König von Ranak leben wollt. Ich hätte fast meinen Arsch darauf verwettet, dass ihr einer dieser adeligen Ärsche seid." Der Obrist hob die Hand. "Ich bin einer dieser adeligen Ärsche. Aber ich lernte, dass wir alles nur Menschen aus Fleisch und Blut sind. Durch meine Abstammung bin ich nicht besser als jeder andere Mann rings herum. Dennoch ging ich durch eine viel härtere Schule. Ich wurde als Kind und Jugendlicher täglich gequält. Die Peitsche war mein bester Freund und ich sah hunderte Freunde sterben. In dem Moment schwor ich mir, dass es kein Unten oder Oben gibt. Für mich gibt es nur Freunde und Feinde. Freunde behandle ich gut und Feinde haben bei mir keine Chance. Oder glaubt ihr etwa, dass ich diese ganze Scheiße nur überlebte, um jetzt so ein fieser Arsch, wie der König von Ranak oder der General zu werden?"
Sprachlos blickte der Major dem Obristen an. "Das habe ich nicht gewusst. Ich dachte nur, dass es nur mir so mies ging. Ich hätte nie erwartet, dass so viele bis zum Hals in der Scheiße steckten. Verzeiht, ich lebte offenbar nur in meiner kleinen beschissenen Welt. Im Gegensatz zu mir habt ihr jederzeit Freunde gewonnen, während ich nur zu überleben versuchte. Darin sehe ich den Unterschied zwischen uns und ich erkenne, dass ihr ein anderer Mann seid als der König."
Nach der Stärkung rief der Obrist alle Begleiter auf, ihm zuzuhören. Freunde und neue Bürger dieses Landes. Die Roten Teufel werden morgen in aller aller Frühe zum Roten Tor aufbrechen. Dort werden sie ihren Dienst antreten. An diesem Tor werden noch sechzig bis achtzig wackere Recken zur Verstärkung benötigt, die gut mit einem Bogen umgehen können. Am Blauen Tor ist es immer ruhig, dort werden ebenfalls sechzig bis achtzig Männer benötigt, die mit dem Bogen präzise schießen können und denen frostige Nächte nichts ausmachen. Ein Führer wird sie an den Standort führen und ihnen die Unterkünfte zuweisen. Häuser und fette Weiden sowie fettes Ackerland gibt es dort zur Genüge. Am Grünen Tor im Westen des Landes werden noch etwa einhundert Kämpfer für den Dienst gesucht. Für die Kämpfer gibt es bereits stabile Unterkünfte. Ein versierter Schmied wird an dem Ort noch gesucht. Die Schmiede wurde bereits errichtet und ein Teil der Werkzeuge samt der Holzkohle sind in den letzten Wochen beschafft worden. Wie ich erfuhr lagert dort auch schon Roheisen und Rohstahl. Dort fehlen noch einige Häuser für die Neubürger, die sich dort ansiedeln wollen. Ich würde es gerne sehen, wenn dort auch die schweren Waffen gefertigt werden würden. Wenn sich noch einige Männer finden, die Tischler oder Baumeister sind, dann dürfen sie sich dort auch gerne ansiedeln. Ihnen obliegt es, neue Häuser zu errichten und Werkstätten für die schweren Waffen zu errichten. Das Werkzeug nehmen wir aus der Beute. Bisher standen dort noch nie Truppen vor der Tür. Es ist somit der friedlichste Ort im Land."