Nach der Stärkung rief der Obrist alle Begleiter auf, ihm zuzuhören. Freunde und neue Bürger dieses Landes. Die Roten Teufel werden morgen in aller aller Frühe zum Roten Tor aufbrechen. Dort werden sie ihren Dienst verrichten. An diesem Tor werden noch sechzig bis achtzig wackere Recken zur Verstärkung benötigt, die gut mit einem Bogen umgehen können. Am Blauen Tor ist es immer ruhig, dort werden ebenfalls sechzig bis achtzig Männer benötigt, die mit dem Bogen präzise schießen können und denen frostige Nächte nichts ausmachen. Ein Führer wird sie an den Standort führen und ihnen die Unterkünfte zuweisen. Häuser und fette Weiden sowie fettes Ackerland gibt es dort zur Genüge. Am Grünen Tor im Westen des Landes werden noch etwa einhundert Kämpfer für den Dienst gesucht. Für die Kämpfer gibt es bereits stabile Unterkünfte. Ein versierter Schmied wird an dem Ort noch gesucht. Die Schmiede wurde bereits errichtet und ein Teil der Werkzeuge samt der Holzkohle sind in den letzten Wochen beschafft worden. Wie ich erfuhr lagert dort auch schon Roheisen und Rohstahl. Dort fehlen noch einige Häuser für die Neubürger, die sich dort ansiedeln wollen. Ich würde es gerne sehen, wenn dort auch die schweren Waffen gefertigt werden würden. Wenn sich noch einige Männer finden, die Tischler oder Baumeister sind, dann dürfen sie sich dort auch gerne ansiedeln. Ihnen obliegt es, neue Häuser zu errichten und Werkstätten für die schweren Waffen zu errichten. Das Werkzeug nehmen wir aus der Beute. Bisher standen dort noch nie Truppen vor der Tür. Es ist somit der friedlichste Ort im Land."
Nur einen Atemzug schaute er zu den Leuten. "Familien mit kleinen Kindern sähe ich gerne in Esterlin, der Hauptstadt dieses Landes. Schreiber, Heiler und künstlerisch veranlagte Personen finden dort ihren Platz. Einhundert Krieger, also vornehmlich Reiter und fünfzig Aufklärer sowie Meldereiter werden dort stationiert. Ein Großteil der erbeuteten Pferde wird dort stationiert, da dort vier große Gestüte stehen. Die älteren und leichteren Pferde geben wir den Neubürgern mit. Natürlich auch die schweren Kaltblüter für die Landwirtschaft und als Gespannpferd. Gerne soll sich dort auch ein Hufschmied samt Gehilfen ansiedeln. Nun noch eine erste Regel in diesem Land. Jeder, der ein Pferd von dem Herrscher dieses Landes nutzt ist verpflichtet gewisse Pflichten für den Herrn oder die Truppe zu leisten. Dafür kosten die Pferde nichts. Jeder, der ein Pferd schlecht behandelt verliert das Anrecht auf ein Pferd. Dieses Land züchtet schon seit Generationen hervorragende Pferde. Wir sind stolz auf diese Tradition und daher achten wir jedes Pferd und jedes andere Tier. Ich hoffe, dass wurde verstanden. Dafür schmücken wir uns nicht mit Samt, Seide, Pfauen- oder Straußenfedern. Unser Schmuck sind Toleranz, Fleiß und Ehre. Wer diese Regeln verletzt, der wird bestraft. Unsere Gesetze sind einfach und jeder kann sie verstehen. Wir nennen es die acht Gebote."
Die Neubürger hörten ihm zu und schauten zu ihm auf. "Das erste Gebot ist, dass man keinem Menschen oder anderen Lebewesen ein Leid zufügt. Das zweite Gebot besagt, dass man den Frieden bewahrt und in Streitfällen mit den alten Leuten spricht, die alle an ihrem roten Gurt zu erkennen sind. Das dritte Gebot besagt, dass man sich nichts aneignet, was anderen Personen gehört. Sei es Geld, ein Werkzeug, eine Frau oder ein Pferd. Jedes noch so kleine Verbrechen wird bestraft und kann mit der Verbannung aus diesem Land enden. Jeder Bürger dieses Landes ist mitverantwortlich für das Wohl aller Bürger in diesem Land. Das fünfte Gebot besagt, dass jeder das Recht auf seinen eigenen Glauben besitzt und kein schlechtes Wort über andere Personen oder deren Religion sagen darf. Das sechste Gebot bindet alle Bürger an die Treuepflicht zu dem Clan, dem Stamm und der Herrschaft. Das siebente Gebot regelt das Zusammenleben. Regelmäßige Besuche der öffentlichen Aussprachen sind daher zwingend erforderlich. Jeder Bürger besitzt das Recht auf Mitsprache und auf das Gehör im Clan oder dem Stamm. Das letzte Gebot ist allumfassend. Jeder kann sich einem anderen Clan anschließen, wenn er einen anderen Lebensweg gehen möchte. Als Beispiel. Jedem dem es nicht gefällt, kann das Land jederzeit verlassen und diese Person verliert damit alle Pflichten, alle Rechte und allen Besitz. Aller Besitz gehört dem Clan, dem Stamm oder dem Herrscher. Jeder nimmt also nur das mit, was ihm gehört und was er zum Zeitpunkt der Einreise besaß. Zum persönlichen Besitz zählen nur der Hausrat, die Kleidung, die Werkzeuge, die Geschenke des Clans oder des Stamms, die selbst angebauten Lebensmittel und gekaufte Dinge, wie Bücher, Instrumente oder das Kleinvieh, wie Hühner, Enten, Gänse und Haustiere. Schweine, Schafe, Rinder oder Pferde gehören dem Stamm oder dem Herrscher, der durch ein Gestüt oder einem Aldermann oder einer Alderfrau vertreten wird. Manche Berufe sind Männern vorbehalten und andere Frauen, daher ist es das Recht und die Pflicht dieser Personen für die Einhaltung der Gesetze zu sorgen. Alle Feinheiten werden ihnen die Weisen, die Clanchefs oder andere Personen von Ehre erklären."
"Ich bitte sie nun, sich für einen Wohnsitz zu entscheiden oder für eines der Tore, an dem sie ihre Pflicht erfüllen wollen. Sie gehen bitte zu den an der Seite aufgestellten Flaggen mit den entsprechenden Farben. Falls sie sich noch nicht entschieden haben, dann besprechen sie sich bitte mit den Damen und Herren mit den roten Gurten oder weißen Schärpen. Sind wir jedoch der Meinung, dass sie besser an einen anderen Ort passen, dann werden wir sie bitten ihre erste Wahl zu überdenken. Immerhin haben wir auch unsere Ideen und Gedanken, um für das Wohl des gesamten Volkes Sorge zu tragen. Danach erhalten sie ein kleines Startkapital und alles aus der Beute, was wir entbehren können. Dazu gehört Ausrüstung, Saatgut, Decken und Kerzen oder Messer.Nun ist es an ihnen eine Entscheidung zu treffen." Leicht verneigte er sich und trat einige Schritte zurück.
Die Leute zerstreuten sich und eine recht große Anzahl konnte sich rasch entscheiden. Zielstrebig gingen sie zu den Fahnen, für die sie sich entschieden hatten. Auch der Major zögerte und suchte den direkten Kontakt. "Was habt ihr für mich gedacht. Natürlich will ich mit meiner Familie zusammen sein und auch einige Freunde um mich haben. Gerne bin ich bereit an jedem Ort meinen Dienst zu verrichten. Aber ich verstehe auch, dass es in diesem Land andere Prämissen gibt." Der Oberst senkte seinen Blick. "Ich weiß mehr über euch, als ihr denken mögt, daher fiel mir die Entscheidung nicht schwer. Ihr werdet mich nach Esterlin begleiten. Ich weiß, dass ihr ein feines Händchen für Pferde habt und gut ausbilden könnt. Daher werdet ihr auf einem Gestüt angesiedelt und bildet die Melder und die leichten Reiter aus. Die leichten Reiter sind berittene Bogenschützen, Späher und kluge Köpfe, denen ich auch heiklere Aufgaben zumuten möchte. Eure Frau ist bereits Heilerin und dort fehlen gerade Frauen, die die kleineren und größeren Wehwehchen der Leute heilen können. Ihre Pflicht ist es auch, Kräuter zu pflanzen und diverse Salben und Tinkturen für das Volk herzustellen. Und möglicherweise andere Aufgaben zu übernehmen. Eure Kinder werden eine Schule besuchen und dort das Schreiben und Lesen lernen. Zudem sucht ihr euch die Männer aus, die ihr befehligen werdet. Nicht alle eure Leute werden dort ihren Platz finden. Es obliegt daher eurer Auswahl, welche Männer an dem Nordtor ihre Pflicht versehen werden. Mehr gebe ich euch nicht mit auf den Weg, da es eure Pflicht als Führer ist - zu entscheiden. Die Handwerker möchte ich gerne am Westtor ansiedeln, weil dort mehrere Schmieden stehen und auch Baumeister vorhanden sind, die die Waffen bauen werden. Nebenher gesagt, ist es auch eure Aufgabe in regelmäßigen Abständen alle Tore zu besuchen und dort die Ausrüstung zu verbessern. Aber zuerst lege ich euch eine Schärpe um, damit die Leute wissen, dass ich euch mein Vertrauen geschenkt habe."
Verhalten nickte der Offizier. "Wie könnt ihr mir so große Aufgaben und Pflichten anvertrauen - ohne mich genau zu kennen? Ich verstehe es nicht." Der Oberst zögerte keinen Wimpernschlag, um die Antwort zu geben. "Nennen wir es so. Ich habe eure Habe betrachtet. Ich habe meine Leute befragt und ich besitze die bescheidenen Gabe genau zu beobachten und in die Herzen von Menschen zu schauen. Belassen wir es vorerst dabei, denn zuerst solltet ihr mich und das Land kennen lernen. Danach können wir über manche Kleinigkeit sprechen. Versucht zuerst mit eurer Frau und den Kindern hier heimisch zu werden, das wäre mein Wunsch an euch. Mehr verlange ich nicht und der Rest ergibt sich mit der Zeit. Genießt die Freiheit und das Gefühl in einem freien Land zu leben. Erst danach werde ich möglicherweise weitere Wünsche an euch herantragen. Erwartet bitte keine strikten Befehle, sondern handelt so, wie ihr es immer getan habt."
XXX
Nach dem Ablauf der Zeit geschrieben.
Die Verteilung der Beute gestaltete sich relativ einfach, da es genügend zu verteilen gab. Die Pferde wurden daher mit bunten Bändern markiert. Die Rinder und Milchkühe wurden zügig nach dem Bedarf in den Orten verteilt. Mit den Schweinen, Schafen und Ziegen wurde in ähnlicher Weise verfahren. Das Geflügel wurde ebenso zügig einzelnen Flaggen zugeordnet. Mit den Werkzeugen, dem Geschirr und Kesseln wurde in gleicher Weise verfahren. Das Gift und Gold und alles von Wert war für Esterlin vorgesehen. Beutel mit Gold und Silbermünzen wurden den Führern von den einzelnen Toren übergeben. Jeder Soldat erhielt einen Gulden in Gold und alte Waffen wurden gegen neue Waffen ausgetauscht. Mit den Bögen und Pfeilen und den anderen Waffen wurde in gleicher Weise verfahren. Geordnet sammelten sich die geleerten Wagen vor den Flaggen. Pferde wurden ebenfalls nach Bedarf verteilt. Sorgsam notierten einzelne Soldaten die verteilten Sachen und sie organisierten auch das Umladen. Erste Einheiten der Roten Teufel zogen inzwischen ab und sie führten viele Wagen mit Getreide und anderem Proviant nebst Waffen, Werkzeugen und Ausrüstung mit. Viehherden und Reitpferde vervollständigten die Kolonne.
Der Major konnte nicht anders, da er sah, wie die Männer arbeiteten. Befehle schien es nicht zu geben und dennoch klappte alles gut organisiert. Zügig setzte er sich neben den Obristen. "Ist hier Magie am Werke? Alle Männer packen mit an und alle scheinen zu wissen, was notwendig ist. Sie haben ein feines Näschen für die Pferde und erkennen die Qualitäten der Tiere nach nur einem Blick. Immerhin sind es hunderte Tiere." Der Oberst schüttelte den Kopf. "Jeder Mann weiß, was zu tun ist und alle wissen, dass es schneller geht, wenn sie organisiert arbeiten. Das Credo meiner Truppe ist einerseits eine gute Ausbildung und eine festgefügte Organisation. Wer so viele Jahre bei mir diente, der hatte Zeit zum lernen. Und, die Einheiten wissen, wer welche Aufgabe gut meistern kann. Was soll ich mich dort einmischen, wenn die Offiziere genau wissen, was zu tun ist." "Dann habt ihr eine gut organisierte Truppe mit Disziplin. Bei mir laufen sie alle Nase lang auf, um sich nach nichtigen Kleinigkeiten zu erkundigen. Bei manchen liegt es sicher an der Ausbildung und bei anderen vermute ich einfach Dummheit oder Faulheit. Was habe ich also falsch gemacht?" Der Oberst konterte direkt. "Ihr seit in einem System des Zwangs aufgewachsen und daher habt ihr nie gelernt Verantwortung auf andere Schultern zu legen. Nehmt euch die Zeit, die Männer besser und länger auszubilden. Dann wird es schon. Ich werde euch noch ein Geheimnis verraten. Meine Männer werden eure Recken demnächst gründlicher als bisher ausbilden. Die Ausbildung ist nicht leicht, aber jeder Mann und selbst die weniger klugen Köpfe lernen bei uns unsere harten Regeln kennen und vertraut den Ausbildern. Jeder lernte, was jeder Mann, Korporal und höhere Unterführer wissen muss. Zudem haben meine Männer Kriegserfahrung und daher wissen sie, worauf es wirklich ankommt. Eure Männer werden manchen Tag verfluchen, aber sie werden lernen. Ich verrate hoffentlich nicht zu viel, aber kleine Belohnungen machen sich immer gut bei den jungen Männern. Haben sie zudem verstanden, dass wir sie nicht bei kleineren Fehlern rüde abstrafen, dann lernen sie schneller und ohne Angst. So einfach ist unser Zauber."
"Nein, das kenne ich nicht, Oberst. Bei uns wurde alles mit hartem Drill in die Kerle oder deren Köpfe eingepflanzt. Die Soldaten müssen Regeln befolgen und das ist so gewollt. Anders habe ich es auch nicht gelernt. Und glaubt mir, die Ausbildung war schmerzhaft, hart und vermutlich zu kurz. Ich sehe, dass es bei euch klappt, somit muss ich eingestehen, dass ich vermutlich noch manches lernen muss, um euren Ansprüchen gerecht zu werden." Unvermittelt unterbrach der Obrist die Gedanken des Majors. "Während der Jahre in Ranak sah ich kein einziges Mal, dass auch nur ein Soldat gelobt wurde. Während der Zeit erlebte ich unmenschliche Strafen und die Vergeudung von Leben. Ist es sinnvoll junge und unerfahrene Männer so schlecht zu behandeln. Ich sah hunderte Hinrichtungen wegen Nichtigkeiten. Ich denke, damit kaschierten die Offiziere nur ihre eigene Inkompetenz und ihr Desinteresse an dem Menschen, die in ihren Einheiten dienen. So habe ich es verstanden und daher empfinde ich Abscheu vor diesen Offizieren und dem System, dem sie folgen. Und, ja, ihr liegt richtig. Ihr habt noch manches zu lernen, denn das was wirklich zählt sind andere Dinge. Die Truppe muss zu einer Einheit zusammenwachsen und wir müssen ihnen das Selbstvertrauen geben, damit sie militärisch vernünftige Entscheidungen treffen können. Das gilt für jeden Offizier, Unterführer und Soldaten. Zeigt man dann noch das Fingerspitzengefühl, um sie optimal gemäß ihrer Fähigkeiten einzusetzen, dann ist schon fast alles gewonnen. Bedenkt nebenher, dass manche Junker erst langsam ihre Rolle verstehen und Zeit brauchen, um in ihre Pflichten und Aufgaben hineinzuwachsen. Richtet man sie jedoch zuvor hin, dann gingen diese Talente vorzeitig verloren und der König und der General ziehen damit immer mehr Hass auf sich. So sehe ich es und ich werde nicht von meinem Weg abweichen, außer ich sehe, dass andere Maßnahmen besser greifen. So habe ich es gelernt und so werde ich es weitergeben."
Unruhig schaute der Major in verschiedene Richtungen, um eine Antwort abzuwägen. "Ich bin momentan von der Rolle, verzeiht, aber offenbar ist hier vieles oder fast alles vollkommen anders. Ich denke, dass ich Zeit brauchen werde, um alles zu verstehen. Trotz allem bedanke ich mich, denn ich weiß, dass ich nicht mehr nur ein Opferlamm bin." Forsch grätschte der Oberst in die Gedanken des Mannes. "Geht zu eurer Familie. In Kürze brechen wir auf. Die Kolonne steht inzwischen für den Abmarsch bereit. Wir wollen doch unsere Männer und Familien nicht warten lassen. Immerhin plagt sie ebenfalls das Heimweh und sicher wollen sie sich ihre neue Heimat nun mit eigenen Augen ansehen." Kurz grüßte der Oberst ab und ging zu seinem Pferd.
XXX
Nach zwei Marschtagen erreichten sie Esterlin. Einzelne Pferdeherden wurden kurz vor dem Ziel zu verschiedenen Gestüten getrieben. Aus der Entfernung sah man nur einige helle Gebäude auf einem Hügel. Eine prächtige Stadt war bisher nicht zu sehen. Den Major irritierte dieser Anblick, denn er kannte nur seine Heimat und Ranak. Die Hauptstadt von Ranak war prächtig ausgebaut worden, so dass sich jeder Besucher jederzeit klein und unbedeutend vor kam. Hier fehlte offenbar dieser Glanz oder war er überhaupt von Nöten. Ruhig ritten sie sie über die gut ausgebauten Schotterwege an Streuobstwiesen und unzähligen Gattern vorbei. Kleinere Gebäude standen neben jedem Gatter und die Pferde grasten entspannt auf den Weiden. Nur selten erblickten sie einzelne Personen, die sich um die Herden kümmerten. Heulager und hohe Misthaufen sah man hingegen überall. Zwischen den Gattern sah man Anbauflächen für Getreide und lange Reihen von Obstbäumen. Zwischen den Streuobstwiesen ästen Schafe und Ziegen, die nicht einmal von Schäfern geführt wurden. Nur Hunde bewachten die Herden und bellten ab und an, wenn ein Tier die Herde verlassen wollte. Hier und da sah man auch Hecken aus Brombeeren und anderen Beerenfrüchten. Frauen pflückten die Beeren und in kleinen Häusern schienen die Frauen die Beeren zu verarbeiten. Kleinere Windräder standen ebenfalls neben den Gattern, welchen Sinn sie hatten, erkannte der Major nicht.
Entlang der Straße standen nun immer häufiger Häuser, die an gepflegte Straßendörfer erinnerten. Hinter jedem Haus lagen große Gärten, mit Geflügelställen und Ställen für anderes Kleinvieh. Katzen dösten gemütlich vor den Häusern. Vögel zwitscherten in den Obstbäumen und neben manchen Haus stand ein Stall für ein oder zwei Pferde. Karren und Wagen standen neben anderen Häusern. Hier und da sah man größere Häuser, deren Zweck auf den ersten Blick nicht auszumachen war. Kinder und ältere Leute spielten in den Gärten oder gönnten sich im Schatten eine Pause. Erst ein Stück weiter verdichtete sich die Bebauung. Größere Gebäude mit Aufschriften über den Türen säumten nun die Straßen. Die Häuser für die Familien rückten in die zweite oder dritte Reihe. Aber alle Häuser schienen nach einer gewissen Ordnung und in einem ähnlichen Stil errichtet worden zu sein. Erst danach war eine höhere Mauer zu erblicken. Die Tore standen offen und unbeobachtet ritten sie durch das Tor. Neben der Straße erblickten sie nun Stallungen und lange Häuser, in denen offenbar Soldaten wohnten. Gatter und größere Weiden waren ebenfalls zu sehen. Etwas höher gelegen sahen sie eine zweite und bedeutend höhere Mauer. Erst jetzt erklärte der Oberst das System. "In äußeren Ring sind die Wachen, Melder und die notwendigen Pferde untergebracht. Die Unteroffiziere wohnen mit ihren Familien hinter den Gattern. Im Mittleren Ring befinden sich die Ausbildungsstätten und die Depots. Im Süden leben die Offiziere und die Künstler. Die Tempel und Wohnungen der Priester und Gelehrten sind dort ebenfalls zu finden. Die Heiler und die Gärtner leben im Westen und im Norden leben die Schmieden und andere Handwerker, die fast alles für das Volk herstellen können. Etwas Abseits im Süden stehen die Schulen und das Krankenhaus. Im Inneren Ring leben die Personen von Rang. Es sind die hohen Offiziere, die Verwalter, die Richter und die Ärzte, sowie das Dienstpersonal für den Herrschersitz samt einigen Vorratslagern und den Küchen. Ach, die Lehrer und Schriftgelehrten leben dort ebenfalls. Erst dahinter befindet sich der Regierungssitz. Anders, als in anderen Ländern werden hier die Gäste des Landes untergebracht, alle Sitzungen der verschiedenen Institutionen abgehalten und eben auch politische Entscheidungen getroffen. In den beiden Schatzhäusern bewahren wir alles von Wert auf. Also Gold, Silber, Geld, Edelsteine und wichtige Geschenke von anderen Herrschern. Eine Krone oder wertvolle Staatsinsignien werdet ihr dort nicht finden, weil wir die Würde der Herrscherfamilie mit anderen Zeichen ausdrücken. Zum einen sind es die Geschenke des Volks und auf der anderen Seite, sind es seltene Schmuckstücke, die unserem Land geschenkt wurden. Irgendwann werdet ihr es sehen, wenn ihr das Gebäude einmal besucht."
"Das verstehe ich nicht, denn ich kenne nur den Prunk des Adels aus Ranak. Der Palast des Königs hat mit Sicherheit eintausend Zimmer und die privaten Schätze der Herrscherfamilie füllen etliche Räume und dazu Katakomben im Keller. Jede Vase und jedes Möbelstück entspricht höchster Qualität, die sich kein Herzog, Graf oder andere Herrscher leisten könnten. Geht etwas kaputt oder verloren, dann sterben Bedienstete. Man munkelt, dass es jedes Jahr hunderte Leute sein sollen. Ich hörte vor Monaten einmal, dass keiner mehr dort dienen will, weil sie Angst vor einem raschen Ableben haben. Aus diesem Grund wurde ich Soldat, um mich immer möglichst weit entfernt vom Hofstaat aufhalten zu können. Nennt es Feigheit, aber einen anderen Weg zum Überleben gibt es nicht. Aber nun meine Frage. Wohnt ihr in dem Palast? Oder anders gefragt, wo kann man euch finden?" Ich lebe vorerst in meinem Haus neben einem Gestüt. Und selbst, wenn ich Herrscher werden würde, dann würde ich nicht im Palast leben. Ich habe dort nur drei Zimmer, falls Staatsbesuch hier eintreffen würde. Aber, das ist vorerst nicht zu erwarten, weil vermutlich noch keiner erfahren hat, dass Ethymien wieder ein eigenständiges Land ist. Der wichtigste Ort in diesem Land sind derzeit das Gebäude vom Hohen Rat und das Gebäude der Militärakademie, weil wir dort die oberste Kommandantur und den Kriegsrat eingerichtet haben. Daneben gibt es noch die Halle der Clanchefs und der Stammesführer, die man als den Adel dieses Landes bezeichnen könnte. Sie bitten um Finanzmittel, um neue Projekte realisieren zu können, wie den Bau einer Wasserleitung. Oder sie bitten um eine Erhöhung von Getreidelieferungen, weil die Ernte nicht so optimal ausgefallen ist. Immerhin ist es unsere wichtigste Aufgabe, dass es dem Volk jederzeit gut geht. Hin und wieder werden auch neue Gesetze besprochen und in Schriftform niedergelegt. Mehr Staat gibt es bei uns nicht, weil die Stammesführer primär für das Wohl des Volkes verantwortlich sind."
Der Major nickte verlegen. "Verzeiht, bei uns wurde immer erzählt, dass Ethymien mehr so etwas wie ein großes Dorf sei. Ja, wir haben darüber gelacht, weil wir dieses System offenbar nicht verstanden haben." Der Obrist machte eine sachte Geste. "Da sich unsere Wege schon bald trennen, werde ich darauf nicht antworten. Macht eure eigenen Erfahrungen und berichtet mir davon. Ich hoffe, dass ich bald meine Schwester in die Arme nehmen kann. Sie ist die einzige Überlebende meiner Familie. Da sie als Tempelherrin ihr Anrecht auf die Führerschaft dieses Landes aufgab, hat man sie nur geblendet. Es war einer dieser Offiziere aus Ranak, den ich bereits beseitigt habe. Erst wenn der letzte Spross der Königsfamilie von dem Antlitz dieser Erde getilgt wurde, werde ich Ruhe geben. Darauf habe ich mein Wort und mein Leben verpfändet. Der junge Mann auf dem Pferd, wird euch nun zu eurem Haus begleiten. Ihn könnt ihr alles fragen und er wird euch alles zeigen, was für euch von Wichtigkeit ist." Nur kurz grüßte der Obrist und sprengte danach mit seinem Pferd davon. "Der Major besitzt eine große Chance hier heimisch zu werden. Zumal er seine Familie jetzt in Sicherheit weiß. Es bleibt nur die Frage, wie lange es dauern wird."
Der Major grübelte. "Ein merkwürdiges Land. Ich verstehe noch nicht viel, aber ich denke, dass man hier zufrieden leben kann." Mit einem Blick zu seiner Familie begrub er die unnützen Gedanken und bat den Führer die Spitze zu übernehmen. Mehr gab es der derzeit nicht zu tun. Immerhin sah er, dass seine Kinder und seine Frau entspannt auf dem Fuhrwerk saßen und zufrieden Käse und Brot aßen, während sie über die Straße zuckelten.