Mit 80 km – exakt die erlaubte Geschwindigkeit - fuhr der große Lastwagen auf der Autobahn entlang. Es hatte aufgehört zu regnen, trotzdem waren die Straßen noch sehr nass. Die zwei Lichtkegel der Frontscheinwerfer wirkten wie zwei verlorene Glühwürmchen mitten in der Einsamkeit. Die Straßen dampften leicht aufgrund der noch vorhandenen Schwüle und gaben der ganzen Szenerie etwas Unwirkliches.
Hinter der Frontscheibe saßen zwei junge Männer, beide durften so um die Mitte Zwanzig sein. Der Fahrer saß etwas angespannt hinter seinem Steuer, während sein Beifahrer lässig seinen Kaugummi mal nach rechts, mal nach links im Mund wandern ließ. Er hatte seine Baseballcap mit dem Aufdruck „LA“ tief ins Gesicht gezogen und schob sie sich jetzt grinsend aus dem Gesicht, um sie nach kurzem Zögern auf die Rückbank zu werfen.
Patrick lachte. „Das war ein Coup, nicht wahr, Frank?“
Frank schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht...“
Sein Freund zog spöttisch die Augenbrauen hoch. „Schiss? Nun gib schon Gas, Alter“. Er griff mit der rechten Hand in seinem Mund und holte seinen Kaugummi hervor. Genüsslich platzierte er ihn unten an die Beifahrerkonsole.
„Mann hej. Ich fahre so ein Teil schließlich nicht jeden Tag“ murrte sein Freund, während er konzentriert auf die Straße starrte und das Lenkrad verkrampft umklammerte. „Im Übrigen habe ich keinen LKW- Führerschein“.
„Aber bist ja schon oft genug diese Teile gefahren“ brummte Patrick. „Ist doch nicht unser erster Bruch. Also stell dich nicht so an!“
„Du klingst wie meine Mom“ beschwerte sich Frank. „Und die anderen waren wesentlich kleiner und mit weniger Elektronik- Scheiß“.
„Wir haben ja nicht mehr weit. Die dritte Ausfahrt und dann noch eine halbe Stunde über Land“.
„Hoffentlich nachher nicht alles umsonst. Wenn ich nachher feststelle das das alles nicht stimmt...“
Sein Nebenmann grinste. „Ich bin mir sicher. Mit dieser Ladung stimmt was nicht. Es macht keinen Sinn, einem LKW voller Tomatensaft so scharf zu bewachen“.
Der Motor dröhnte. „Schalt mal, Frank“.
Der Angesprochene rollte die Augen. Der hatte gut reden. Sollte er doch das Monster hier fahren. Genervt drückte er die Kupplung und hoffte, den richtigen Gang einzulegen. Schließlich war das hier kein PKW.
Er rührte ein wenig mit dem Schalthebel herum, hatte aber Glück und legte tatsächlich den nächsten Gang ein. Er ließ die Kupplung etwas zu schnell kommen und der Truck ruckelte ein wenig, fuhr aber weiter.
Frank war trotzdem unzufrieden. Die Auskunft von seinem Freund war ihm zu spärlich. „Wer hat dir das gesagt?“
„Dass die Ladung zu sehr bewacht wurde? Rene“.
„Hm. Rene also“ antwortete der junge Mann skeptisch. „Ausgerechnet er. Du weißt, dass er oft Blödsinn verzapft“.
„Manchmal ja, aber nicht immer“ kam die prompte Antwort. „Die Auskunft hat er aus mehreren Quellen. Zumindest hat er das gesagt“.
„Was für Quellen?“
„Hat er nicht gesagt. Zuverlässige“. Der Freund zuckte lediglich mit den Schultern.
„So. Aha“. Alles sehr dürftig, dachte sich Frank. „Und diese – Quellen – sagen, die Ladung sei ungewöhnlich intensiv überwacht worden?“
„Ja. Keine Übernachtung auf normalen Parkplätzen oder Autobahnen, nur auf bewachten Parkplätzen. Und kontrolliert wurde die Ladung von gewissen Zoll- oder anderen Beamten, die bei Insidern als bestechlich gelten.“
Zumindest das stimmte. Es war nicht einfach gewesen, das Fahrzeug von dem eingezäunten Gelände zu stehlen. Patricks Freunde hatten wohl einige der Wachleute ausgeschaltet. Wie sie das angestellt hatten, darüber wollte er lieber nicht nachdenken.
Seltsam war das alles schon. Aber selbst, wenn die Ladung nicht astrein war – konnten sie etwas damit anfangen?
Beide schwiegen. Patrick schaltete das Radio an und suchte einen Sender. Countrymusik ertönte.
„Ach nein. Findest du nichts Besseres?“
„Ich suche weiter. Oder mal schauen, was hier an Bord ist, vielleicht findet sich ja eine gute CD“. Der blonde Mann legte einige Papierschnipsel zur Seite und versuchte, sich in dem Chaos auf der Ablage seiner Seite zurechtzufinden. Einige Minuten wühlte er sich durch, dann schüttelte er bedauernd den Kopf. „Ich finde nur diese Volksmusik- CD“.
„Nein, danke“. Frank schüttelte angewidert den Kopf. „Alles, nur nicht das. Dann lieber stundenlang Country als dieser Mist“.
Patrick lachte. „Ja, da hast du wohl recht“. Er tippe erneute auf den Tasten des Radios herum und fand schließlich doch noch einen halbwegs akzeptablen Sender.
„Was meinst du, was wir transportieren? Drogen? Vielleicht ist es ja gefährlich? Oder sehr wertvoll? So oder so, ich bin einfach neugierig. Sollen wir nachschauen?“ fragte Frank.
„Noch zu früh. Lass uns bis zur Ausfahrt warten und dann bei nächster Gelegenheit anhalten“ kam der Vorschlag. „Und schalte mal öfters, du fährst ständig mit hohen Drehzahlen, sonst fallen wir noch auf“.
„Jaja“. Das war das letzte Mal, dass er einen LKW stahl und fuhr.
Beide schwiegen nun. Nicht mehr lange und sie erreichten die erwartete Ausfahrt. Der Fahrer setzte den Blinker und lenkte das Ungetüm nach rechts.
„Wenigstens regnet es nicht mehr. Haben wir die Taschenlampe noch? Sonst brauchen wir gar nicht anhalten, dann sehen wir im Dunkeln gar nichts“.
„Ja klar, liegt hinten hinter dir auf der Rückbank“.
„Dann ist ja gut. Nach der Abfahrt rechts, oder?“
„Jop“.
Es dauerte nur wenige Minuten und die Männer fanden einen geeigneten Waldparkplatz. Da er verlassen war und kein weiterer Lastwagen oder andere Fahrzeuge dort standen, konnten beide Männer gefahrlos austeigen.
„Jetzt bin ich ja mal gespannt“ grinste Frank. Patrick folgte ihm nach hinten, mit dem Licht bewaffnet.
„Na super, verschlossen“ murmelte Frank als er versuchte, die hintere Ladeklappe zu öffnen.
„Natürlich. Hier, der Schlüsselbund. Den habe ich doch aus dem schlafenden Fahrer abgenommen, erinnerst du dich nicht mehr?“
„Wenn du das so ausdrücken möchtest, Patrick“. Er grinste böse. Der Fahrer würde nie mehr aufwachen. Weshalb war er auch so dumm gewesen und hatte sich zur Wehr gesetzt?
Geschickt hatte er den Schlüssel aufgefangen, der ihm sein Freund zugeworfen hatte und drehte den Schlüssel in das dafür vorgesehene Schloss. Quietschend öffnete sich der Laderaum.
Patrick leuchtete hinein. Was war das?
„Siehst du das gleiche, was ich sehe?“ fragte er perplex.
„Hier sind lauter Kühlaggregate drin. Und alle angeschlossen, also in Betrieb. Was ist hier drin, das gekühlt werden muss?!“
„Das werden wir gleich sehen. Tomatensaft auf jeden Fall nicht“.
Frank lachte höhnisch, was aber als Zustimmung gemeint war. „Dann schauen wir mal“. Er richtete den Lichtstrahl auf eine der Truhen. Sein Freund war bereits vorgepirscht und öffnete den Deckel.
Da es draußen warm war, kam ihm sofort der Dampf entgegen. Neugierig blickte er hinein und zog etwas heraus.
„Tetrapack. Tomatensaft. Gekühlt“.
„Nie und nimmer ist da Tomatensaft drin“. Er machte sich daran, den Deckel aufzuschrauben.
„Sei vorsichtig“ warnte sein Freund.
„Bin ich doch immer“ grinste dieser. Er hatten den Schaubverschluss nun in der Hand und roch vorsichtig in die Packung hinein.
„Und?“
„Ich weiß nicht. Das riecht komisch. Fast wie…“ Er machte sich an, die Öffnung an seinen Mund zu setzen und zu trinken.
„Bist du verrückt? Wenn das vergiftet ist oder sonst was?“
„Ach was“. Er hatte sich jetzt von seinem Freund abgewandt und zögerte nun doch für einen Moment. Dann probierte er vorsichtig einen kleinen Schluck.
„Das kann nicht sein, das schmeckt tatsächlich wie…“
Er sollte nie dazu kommen, seinen Satz zu beenden. Aus dem Nichts kamen auf einmal zwei Gestalten von oben auf beide zugestürzt.
Irgendetwas riss Patrick von seinen Füßen. Ein Körper von unermesslicher Kraft. Das unheimliche daran war, dass dieses …. Ding … oder was immer es war… keinen Laut von sich gab. Mit Getöse schlitterte Patrick den Boden entlang, bis eine weitere Truhe seinen Weg stoppte. Der „Tomatensaft“ fiel ihm aus der Hand und die rote Flüssigkeit verteilte sich auf dem Boden des Lagerraums.
Wie durch einen Nebel hörte Patrick den Schrei seines Freundes. Etwas packte ihn und er spürte einen stechenden Schmerz. Bevor er einen Laut von sich geben konnte, drehte sich alles und eine nicht mehr endende Finsternis umgab ihn und riss ihn mit sich.