Michael starrte aus der großen Glasfront seine Penthouses.
Frankfurt bei Nacht war für ihn noch immer faszinierend. Klein- Manhattan, wie er diese Skyline in Gedanken oft nannte.
Vielleicht lag es auch daran, dass er viel unterwegs war und gar nicht so oft in Frankfurt war. Trotz Internet, Videokonferenzen und sonstige moderne Kommunikationstechniken war er viel auf Reisen. In seinen Kreisen war es üblich, nicht alles virtuell abzuklären und es wurde Wert auf den persönlichen Kontakt gelegt. Altmodisch, aber das würde sich nicht ändern.
Während er weiter die Lichter betrachtete, umspielte ein leichtes Lächeln seine Lippen.
Ein Beobachter hätte ihn als muskulösen, attraktiven Mann beschrieben, geschätzt auf etwa Mitte Dreißig; mit seinen 1,70 Metern allerdings etwas kleiner als der Durchschnitt. Eine Person, die sich viel in Gebäuden aufhielt, wenn man nach ihrer Gesichtsfarbe ging. Er wirkte ein wenig blass, aber nicht so sehr, dass es ungesund wirkte. Eine vornehme Blässe, die aber seiner Attraktivität keinen Abbruch tat. Und da er blond war, passte es auch zu seinem Typ. Er hatte kurze Haare, grüne Augen und war glattrasiert. Seine Augen glänzten, während er bewegungslos vor der Fensterfront stand. Er wirkte fast wie eine Statue, so ruhig stand er.
In seiner Wohnung war es angenehm warm, so dass er T- Shirt und Jeans trug. Er trug keine Tattoos, so wie es im Moment gerade Mode zu schein schien.
In seinem Schrank befanden sich Hemden in verschiedenen Ausführungen mit farblich passenden eleganten Anzügen. Auf dem Boden des Schranks standen hochwertige Schuhe, ebenfalls passend zu den Outfits.
Diese hochwertigen Kleidungsstücke zierten den ganzen Schrank. Seine Freizeitkleidung befand sich in einem separaten Möbelstück.
Auffallend waren die vielen Koffer, die oben auf dem Schrank platziert waren.
Im Hintergrund war leise klassische Musik zu hören, Mozart. Die verschiedenen kleinen und großen Lautsprecher der Anlage waren raffiniert platziert, so dass sie nicht störend wirkten, aber eine angenehme Beschallung aus jeder Ecke in der Wohnung gewährleistet war, sogar im Bad.
„Die kleine Nachtmusik“ zusammen mit dem bewegungslosen Verharren des Mannes führten zu einer unwirklich scheinenden Szenerie.
Und genau diese wurde in diesem Moment durch den Anruf eines IPhones unterbrochen. Schrill ertönte „James Bond Golden Eye“ durch den Raum und bewirkte, dass sich der Mann aus seiner Starre löste.
Ruhig drehte er sich um und ging zu seinem Handy, welches neben einem weiteren Mobilphone auf einem Glastisch lag, vor der großen schwarzen Ledercouch.
Seine schlanken Fingen umgriffen das Gerät. Ein Blick verriet ihm, dass es sich um eine abhörsichere Verbindung handelte, wie üblicherweise auf diesem Handy.
Er hatte einen Anruf erwartet, trotzdem nahm er ohne Eile ab und sprach mit emotionsloser Stimme ins Telefon: „Ja, Maier hier, was gibt es?“
„Die Ware, wir haben sie“ kam eine männliche, junge Stimme.
„Gut. Ist sie schon gesichert?“ fragte er mit ruhiger Stimme.
„Wir sind gerade beim Umladen. Wir haben allerdings eine Packung verloren und es gab einen Zwischenfall“
Michael blieb ruhig. Schließlich war er deshalb auch in der Hierarchie der Firma recht weit oben, da er gut darin war, seine Emotionen zurückzunehmen.
„Was ist passiert?“
„Die zwei Diebe des Lkws sind tot. Sie sind … leer“.
„Waren das unsere Männer?“ fragte er mit fester Stimme.
„Nein. Sie müssen uns aber irgendwie auf die Spur gekommen sein, nur reden sie nicht. Aber wir haben sie. Es sind zwei“ kam die prompte Antwort.
„Gut. Dann ordern Sie bitte ein entsprechendes Säuberungsteam“ gab er Anweisung.
„Wird sofort erledigt, Herr Maier. Die zwei, die wir festgesetzt haben, das übliche Vorgehen?“
„Ja. Versuchen Sie aber, die beiden vorher zum Reden zu bringen. Schließlich haben wie ja dafür unsere Kontakte. Ich gehe davon aus, dass ab sofort alles nach Plan läuft und Sie mich nicht mehr anrufen müssen“.
„Natürlich. Ich kümmere mich drum“.
Michael sagte nichts weiter, sondern drückte an Handy und beendete das Gespräch. Das mochte nicht besonders höflich sein, aber angesichts dieses Chaos konnte sein Mitarbeiter nichts anderes von ihm erwarten.
Nun entwich ihm doch ein leichtes Seufzen. Das bedeutete Mehraufwand in den nächsten Tagen. Wie waren diese Personen auf die Spur des Lkws gekommen? Man würde einiges und einige durchleuchten müssen.
Da sein Flieger erst morgen gegen Abend abheben würde, hatte er noch ungewöhnlich viel freie Zeit. In seinem Kühlschrank waren noch genug Vorräte, so dass er sich auch darum nicht kümmern musste. Und da er morgen mit einem Privatjet der Firma flog, musste er sich auch dort keine Gedanken um die Verpflegung machen.
Manchmal vermisste er doch die alten Zeiten. Aber er konnte sich keine Eskapaden leisten, das würde dem Credo der Firma entgegenstehen. Also blieb er brav und konsumierte die Produkte, die er im Übrigen auch recht günstig bekam.
Und er hatte ja noch den Wein. Vielleicht war es heute der richtige Zeitpunkt, ihn zu öffnen?
Er hatte ihn neben dem Kühlschrank platziert. ‚Cabinet‘ stand auf dem Etikett. ‚Jahrgang 1974. Im Eichenfass gereift. 13 %‘.
Er wusste nicht, ob das wirklich ein Vorteil war.
Er hatte damals in seiner Jugend lieber Weißwein getrunken, aber es handelte sich hier um Rotwein. Das wusste jeder, daher stand es auch nicht extra auf der Flasche. Wie die Firma es anstellte, den Alkohol in diese Flüssigkeit zu bringen, war ihm ein Rätsel. Manche meinten, das geringe Mengen Trauben beigemischt wurden, die durch den Gärprozess die Prozente beisteuerten, aber wie kamen sie dann auf 13 %? Und wieso war der Wein ohne Kühlung haltbar und verdarb nicht?
Er vermutete eher chemische Zusätze. Demnach war der Genuss vermutlich auch nicht sonderlich gesund. Aber was war das schon, heutzutage?
Und umbringen würde ihn dieser Wein sicher nicht. Dieser Gedanke entlockte ihm ein leichtes Lachen.
Er hatte die Flasche schon in der Hand, als er es sich doch dagegen entschied. Nein, er würde die Flasche ein anderes Mal öffnen. Vielleicht während eines Dates?
Er schüttelte über sich selber den Kopf. Das war wohl kaum zu erwarten. Die Frauen, die diese Köstlichkeit zu würdigen wussten, waren meist nicht sein Ding. Einfach oft zickig oder verbittert – zumindest waren das seine Erfahrungen.
Aber vielleicht war es an der Zeit, mal wieder ein normales Date zu haben? Er sollte die Gunst der Stunde nutzen. Viel zu selten hatte er eine so lange Zeitspanne unter der Woche frei und dazu befand er sich noch in Frankfurt und nicht in irgendeinem Kaff am Ende der Welt.
Notfalls trank er auch normalen Wein mit einer netten Dame, auch wenn es ihm alles andere als schmeckte. Aber mit den Jahren hatte er sich angepasst und sein Körper akzeptierte andere Flüssigkeiten mittlerweile soweit, dass er nur noch leichtes Bauchweh bekam und nicht alles wieder ausspucken musste.
Er hatte von einem neuen Club gehört, der schon nach kurzer Zeit sehr beliebt geworden war. Vielleicht war das ja etwas für ihn?
Es war Zeit, mal wieder am Leben teilzunehmen. Gutgelaunt betätigte er die Fernbedienung und schaltete seine Anlage aus.
Mit einem Grinsen ging er zu seinem Schrank und suchte sich etwas Passendes zum Anziehen. Nicht zu leger, nicht zu streng. Er entschied sich für ein hellgelbes Hemd und eine schwarze Jeans. Weiter griff er nach einem schwarzen Sakko und Freizeitschuhe.
Pfeifend legte er all diese Kleidungsstücke großzügig über die Lehnen seiner Ledercouch und schlenderte ins Bad. Er zog sein T-Shirt nach oben über den Kopf und warf es in die Wäschetruhe. Danach griff er nach seinem Deo, welches er nicht nur unter den Achseln, sondern auch ein wenig auf seinen Oberkörper verteilte. Ein Körper, um das ihn nicht wenige seiner Kollegen beneideten. Ohne Zweifel ein Pluspunkt.
Er trug noch ein wenig Aftershave mit der gleichen Duftnote wie das Deo auf sein Gesicht auf. Rasiert hatte er sich erst vor Kurzem, das war daher nicht notwendig. Der Geruch war dezent, aber doch wahrnehmbar, das kam bei den Frauen gut an, so seine Erfahrung.
Nun noch die Haare mit Gel ein wenig frech gestylt. Es musste ihm ja nicht jeder seine hohe Position gleich ansehen. Er war zwar ein wenig aus der Übung, was das Anbaggern von Frauen betraf, dafür aber konnte er auf eine langjährige Erfahrung zurückblicken. Im allerschlechtesten Falle stand er nur an der Bar, schaute den Frauen zu und hatte hinterher eben ein wenig Magengrummeln. Es gab schlimmeres.
Ein letzter prüfender Blick in den Spiegel, dann ging er zurück zur Ledercouch zurück, um sich umzuziehen. Es ging nicht lange, und er war fertig. Bereit, seine Wohnung zu verlassen und sich nach langer Zeit mal wieder ins Nachtleben zu stürzen.
Er lächelte nun. Ja, er war bereit. Und vorher würde er noch in den Kühlschrank greifen und sich sättigen. Dann bestand auch keine Gefahr, dass er über die Strenge schlug und in Versuchung geführt wurde.
Aber eine kleine Stimme in ihm drängte ihn, genau das heute Nacht zu tun.