Anna seufzte.
Es hatte keinen Sinn, sie konnte nicht mehr schlafen.
Statt sich weiter ewig auf der Matratze hin- und herzuwälzen, konnte sie auch aufstehen.
Frustriert schlug sie die Bettdecke zurück und richtete ihren Oberkörper auf.
Sie würde eh keinen Schlaf mehr finden – also konnte sie sich auch einen Kaffee aufbrühen und etwas Sinnvolles machen.
Mit müden Augen schlurfte sie in die Küche. Kaffeemaschinen waren eine großartige Erfindung, vor allem dann, wenn der Kopf sich noch weigerte, richtig mitzumachen. Gedankenverloren tippe sie auf die Bedienungselemente und das Gerät begann erwartungsgemäß, zu rumpeln.
Leider war es das dann auch schon. Ungläubig starrte sie auf das rot blinkende Licht.
Von wegen, ihr Kopf durfte sich noch eine Pause gönnen.
Wofür stand diese Anzeige noch mal?
Sie prüfte die einzelnen Fächer. Kaffeebohnen waren noch genug da, auch sonst schien alles in Ordnung zu sein.
Ah herrje- es fehlte Wasser. Ganz einfach.
Während sie über sich selbst amüsiert den Kopf schüttelte und den Behälter unter den laufenden Wasserhahn hob, kamen ihre trüben Gedanken zurück.
Sie betrieb eine Firma, zusammen mit ihrem Exfreund, Bruno. Sie selbst war Innenarchitektin, er Architekt, und das funktionierte erstaunlich gut. Sie ergänzten sich wunderbar, auch in ihrer Arbeitsweise. Da war es von Vorteil, dass sie sich im Guten getrennt hatten und zwar nicht mehr zusammen, aber noch Freunde waren. Nicht die Zusammenarbeit war also das Problem, sondern das Ausbleiben der Aufträge. Die Konkurrenz war groß und im Augenblick stagnierte ihr Geschäft. Seit einiger Zeit schon war keine neue Arbeit hinzugekommen, und sie profitierten noch von den alten Projekten.
Nachdenklich schob sie den Wasserbehälter in seinen Platz zurück und wartete, bis das rote Licht erlosch. Wenigstens das funktionierte.
Endlich kam sie an ihren Kaffee und setzte sich mit der Tasse an ihren Küchentisch. Sie hatte eine normale Tassenportion gewählt, aber eine große Tasse untergestellt, so dass sie nun viel Platz für Milch und Zucker hatte. Großzügig fügte sie beides hinzu, bis knapp unter dem Rand.
Langsam rührte sie in der braunen Flüssigkeit. Es hatte fast etwas Meditatives an sich.
Vorsichtig nippte sie an dem Getränk. Ja, passte, Vor allem genügend Zucker. Manchmal brauchte sie diese Droge einfach.
Was nun tun mit der angefangenen Nacht?
Ohne wirklich Motivation dazu zu haben, ging sie mit ihrer Tasse ins angrenzende Wohnzimmer. Sie stellte den Kaffee ab und griff nach ihrem Projekteordner. Ohne wirklich Lust zu haben, blätterte sie durch die Seiten.
Ja, in den ersten Jahren waren sie wirklich erfolgreich gewesen. Sie hatte in diesem Ordner einige ihrer erfolgreichen Aufträge abfotografiert und abgeheftet, um immer wieder neue Ideen und Motivation zu bekommen.
In der jetzigen Situation wirkte es jedoch eher demotivierend auf sie. All diese erfolgreichen Arbeiten zu sehen, während ihnen die Felle wegzuschwimmen drohten.
Sie seufzte. Das alles brachte nichts.
Erneut nahm sie einen Schluck. Sie war weder müde noch wach, ein blöder Zustand.
Sie stellte also den Ordner an seinen Platz zurück und ging mit der Tasse weiter auf Wanderschaft. Nun zu ihrem Computer.
Ein wenig im Internet surfen, vielleicht würde sie das ja ablenken.
Sie drückte auf den Einschaltknopf. Während sie darauf wartete, dass der Rechner hochfuhr, holte sie sich noch rasch ein paar Käse Kräcker aus dem Schrank.
Sie startete den Browser und das Logo der Suchmaschine erschien.
Sie könnte natürlich auch versuchen, über das Internet etwas zu finden, was ihnen weiterhalf. Aber dort etwas Seriöses zu finden, die Wahrscheinlichkeit erschien ihr äußerst gering.
Nein, es machte mehr Sinn, etwas ganz anderes zu tun und dadurch vielleicht ihre Sorgen zumindest ein wenig vergessen zu können.
Ihr Blick fiel auf das neue Plug-in ihres Browsers. Natürlich, das war von der Online- Plattform, bei der sie sich kürzlich angemeldet hatte.
Sie hatte sich spontan angemeldet, aus einer Laune heraus. Die Website „Meet(ing) you, meet(ing) me“ hatte damit geworben, dass Frauen diesen Dienst für drei Monate kostenlos nutzen konnten, wenn sie sich in einem relativ kleinen Zeitfenster anmelden würden. Und diese Gelegenheit hatte sie genutzt.
Was nicht hieß, dass sie jetzt dringend einen Freund suchte, auch wenn sie schon länger Single war.
Um warum nicht nachschauen, ob sich etwas getan hatte? Neugierig klickte sie auf das Icon und gelangte automatisch auf den Einloggbildschirm.
Sie gab „MissImpossibe“ und ihr Passwort ein. Im ersten Moment war sie fast enttäuscht, keine private Post erhalten zu haben. Ja, eigentlich wollte sie gar keine Mails über dieses Programm. Andererseits nagte es ein wenig an ihrem Ego, dass nun auch tatsächlich nichts eingegangen war. War ihr Profil nicht ansprechend genug?
Sie wählte „Profil bearbeiten“ und betrachtete es sich nochmals genauer. Am Bild konnte es nicht liegen. Es war zwar schon zwei Jahre alt, aber sie hatte sich seitdem nicht groß verändert. Das Foto war von ihrem Italienurlaub und zeigte sie abends am Strand, mit einem roten Sonnenuntergang im Hintergrund. Sie fand die Aufnahme deshalb ideal, da man etwas, aber nicht zu viel von ihr erkennen konnte.
Daran konnte es also nicht liegen.
Sie klickte mit der Maus auf das Zahnrad neben dem Bild, um sich noch mal die ganzen Optionen anzuschauen. Standardmäßig waren alle auf „Verweigern“ eingestellt und bei dem Einrichten hatte sie das alles übersprungen oder meist auf „Verweigern“ oder „Verbieten“ eingestellt, um das später sorgfältig und wohlüberlegt auswählen zu können. Es waren nämlich eine Menge Dinge, die man so oder so einstellen konnte.
Ihre Augen überflogen die Optionen. Nun ja, wenn man „Private Nachrichten erlauben“ auf „Nein“ eingestellt hatte, brauchte man sich eigentlich nicht wundern, wenn man keine Nachrichten bekam. Und machte auf einer Datingseite keinen Sinn. Dann doch lieber spezielle Kandidaten blockieren.
Anna schüttelte daher über sich selbst den Kopf und änderte es ab auf „Ja“. Weiter überprüfte sie die weiteren Optionen und änderte sie teilweise ab, wie die Auswahl „Onlinestatus anzeigen“. Natürlich gab es auch Punkte, für sie nach wie vor die restriktive Vorgabe beließ. Aber als sie fertig war, waren die Kontaktmöglichkeiten für die anderen nun doch um einiges leichter als zuvor.
Gerade als sie anfangen wollte, die Accounts der anderen Mitglieder durchzustöbern, ploppte mit einem kleinen Signalton ein kleines Fenster auf. Ein privates Chatfenster, welches mit „Dark-in-the-night“ beschriftet war.
Sie vergrößerte es mit der Maus ein wenig und schob es mehr in die Mitte.
Dark-in-the-night: Hallo MissImpossible. Wird sich dieses Profil in wenigen Sekunden selbst zerstören, oder habe ich noch die Gelegenheit, ein wenig mit Ihnen zu plaudern?
Sie musste lächeln. Das war doch mal eine nette Anmache. Also begann sie zu tippen:
MissImpossible: Hallo Dark, meine Mission hier ist noch nicht beendet, daher bleibt das Profil erst mal noch stehen. Ich darf doch Dark sagen, oder?
Dark-in-the-night: Selbstverständlich, alles andere wäre doch sehr mühselig. Üblicherweise redet man sich auf solchen Plattformen ja mit du an, wäre das für Sie / dich in Ordnung? (*augenzwinker
MissImpossible: Natürlich. Weshalb bist du um diese Zeit noch wach? Bist du ein Nachtmensch?
Dark-in-the-night: Wie du an meinem Nicknahmen siehst, bin ich eine Kreatur der Nacht (*lach. Nein, ich bin der geborene Nachtwächter, tagsüber eher müde und abends wach. Was ist mit dir?
MissImpossible: In geheimer Mission unterwegs (*grins
Ja, sie musste auch in echt grinsen. Diese Unterhaltung mit diesem ‚Dark‘ machte zur Abwechslung mal Spaß und vielleicht konnte sie so ihre Sorgen für eine Weile vergessen.
Dark-in-the-night: Hätte ich mir ja denken können. Ok, Frau Agentin, ich frage nicht weiter nach. Schön, dass du heute online bist, ich hatte dein Profil schon vor ein paar Tagen gesehen.
MissImpossible: Ach so. Ja, ich habe es erst heute so richtig eingerichtet.
Dark-in-the-night: Man kann eine Menge einstellen, das ist auf dieser Seite recht umfangreich.
In diesem Moment erschien ein neues Chatfenster.
Superman: Hi, Süße. Dein Bild ist geil.
Anna rollte die Augen. Das hatte sie befürchtet.
Natürlich antwortete sie nicht, und schon kam eine neue Nachricht:
Superman: Hast du noch eines, auf dem man dich besser sieht? Am besten nackig (*hoho
Na wunderbar. Eigentlich sollte sie sich jetzt gleich wieder hier abmelden. Aber vielleicht wusste ihr neuer Gesprächspartner ja Rat? Er schien ja wenigstens ganz nett zu sein.
MissImpossible: Dark? Wie kann man jemanden blockieren, der einem nervt? Nein, keine Angst, nicht du
Dark-in-the-night: Ach du meine Güte, geht es schon los, Impossible?
MissImpossible: Leider ja (*seufz
Dark-in-the-night: Hat er sich per Post gemeldet oder per Chat?
MissImpossible: Chatfenster.
Dark-in-the-night: Linksklick auf seinen Namen direkt im Chat, dann ‚Ignorieren‘ anwählen, ganz einfach. Aber bitte nicht mich ignorieren (*zittere vor Angst
MissImpossible: (*brauchst du nicht… danke.
Dark-in-the-night: Netten Damen helfe ich doch immer gerne
Flirteten sie beide nun oder nicht? So genau konnte sie es gar nicht sagen. So oder so, Darks Tipp war Gold wert. Ignorieren bestätigt, Fenster geschlossen und Superman flog nun nicht mehr in ihrem Gesichtsfeld rum.
Glaubten manche Männer tatsächlich, dass einem so etwas gefiel?
MissImpossible: Trotzdem danke.
Dark-in-the-night: Du hast ein nettes Bild in deinem Profil, da muss man leider damit rechnen, dass dumme Kerle daherkommen und dich blöd anquatschen.
MissImpossible: So wie du? (*Zunge rausstreck
Dark-in-the-night: Nein, ich bin da, um sie wegzujagen
Anna schüttelte den Kopf. Der Typ gefiel ihr und warum nicht ein wenig flirten? Unwahrscheinlich, dass mehr daraus wurde und sie sich im realen Leben kennenlernen würden. Und ihr Selbstbewusstsein war im Augenblick eh im Keller, da tat so etwas ganz gut.
Wie konnte sie sich sein Profil anschauen? Hatte sie dies nicht auch vorhin im Kontextmenü gelesen? Ja, direkt über Ignorieren stand ‚Profil ansehen‘ – das würde sie doch jetzt gleich tun.
‚Dark‘ war auf dem Bild alles andere als dark. Ein sympathisch aussehender Mann, so knapp unter dreißig, schaute mit einem breiten Grinsen in die Kamera. Das Bild war draußen in einem Straßencafé aufgenommen worden. Er saß mit Sonnenbrille vor einer Latte Macchiato und hob den langen Löffel wie ein Ausrufezeichen in die Höhe. Daher konnte sie seine Augen leider nicht erkennen. Aber er war ganz klar kurzhaarig und blond und eher rot im Gesicht als braun.
Sie hatte gerade wieder mit der Maus in den Chat geklickt, als seine nächste Nachricht erschien:
Dark-in-the-night: Bist du noch da? Dich wollte ich nicht wegjagen :-(
MissImpossible: Nein, nein, ich bin noch da. Ich habe nur gerade dein Profilbild angeschaut.
Dark-in-the-night: Ah ja? Und? Zufrieden oder geschockt? (*wegduck
MissImpossible: Du bist ein Betrüger
Bewusst wartete sie einen Augenblick, um ihn ein wenig zappeln zu lassen. Was er jetzt wohl dachte? Reagiert hatte er nicht. Vermutlich überlegte er jetzt, was er antworten sollte oder was sie meinte.
Schließlich schickte sie mit Enter ihren bereits geschriebenen Satz in den Chat und erlöste ihn dadurch.
MissImpossible: Du bist gar nicht blond, Dark.
Diesmal war es er, der sich Zeit ließ. Viel Zeit. Hatte sie in jetzt vergrault?
Endlich erschien seine Antwort.
Dark-in-the-night: Das habe ich nie behauptet, Agentin Impossible. Ich erwähnte nur, dass ich eine Kreatur der Nacht bin – oder auch nicht ;-). Diese sind tagsüber vielleicht auch blond. Du weißt ja, nur nachts sind alle Katzen grau
MissImpossible: Gut gekontert. Wie alt ist das Bild?
Dark-in-the-night: Vom letzten Sommer.
Hm. Dark dürfte dann etwa so alt sein wie sie.
Verdammt, weshalb dachte sie jetzt solche Dinge. Sie wollte doch nichts Ernstes.
MissImpossible: Wo wurde es aufgenommen?
Dark-in-the-night: Großes Geheimnis.
Klar. Aber sie akzeptierte es. Über eine gewisse Grenze wollte der Mann hinter dem anderen Bildschirm nicht hinausgehen. Und sie sollte darüber froh sein. Eigentlich. Weitere Probleme konnte sie im Augenblick nun wirklich nicht brauchen.
Dark-in-the-night: Aber es steht dir natürlich frei, es herauszufinden. Und dieses Bild wird sich, wenn Sie den Auftrag annehmen, NICHT in ein paar Sekunden selbst zerstören.
Dieser Typ war schon einmalig.
MissImpossible: Auftrag angenommen
Dark-in-the-night: Ich hatte auch nichts anderes von dir erwartet. Gibt es etwas, was du unbedingt von mir wissen möchtest?