„Gib Acht auf deine Wünsche. Halte sie geheim. Sprich sie niemals laut aus. Denn du weißt nicht, wer sie dann hört.“
Ihre Hochzeit war ein wundervoller Tag. Iris war glücklich, als sie Iorath endlich küssen konnte. Es war warm an diesem Tag, die Sonne schien hell und die Vögel sangen. Kein Zeichen der Zukunft, die sie erwartete.
Iorath war der stattliche, charmante Mann ihres Herzens, ein reicher Grundbesitzer, den ein Hauch von Abenteuer umwehte. In ihren Flitterwochen zogen sie in den Westen. Auf zwei Pferden ritten sie durch die wilden Berge. Iorath zeigte ihr Wolfsspuren und die Heimat der Bären. Iris saß am Ufer von wilden Flüssen und zeichnete Wasserfälle und mächtige Tannen. Es war eine unberührte Landschaft, nichts, was den sanften, mit Blumen bedeckten Hügeln ihrer Heimat glich. Schön konnte man die Felsen und die kargen Weiten nicht unbedingt nennen. Sie waren gelblich und braun und grau, sogar das Grün der Tannen wirkte gedämpft und beinahe staubig. Doch trotzdem konnte Iris sich nie an der Landschaft satt sehen. Sie zelteten an steilen Hängen, in Meeren aus Farn, in warmen Nächten schliefen sie unter freiem Himmel. Sie liebten sich, sie folgten den Spuren von Rotwild und Elchen, die erkundeten Höhlen und erkletterten Berge.
Die Wochen waren viel zu schnell um, als sie schließlich zurückkehrten. Sie tauschten bequeme Reitkleidung gegen teure Anzüge und kostbare Kleider, aber die Erinnerung an die Reise trugen sie wie den größten Schatz. Unzählige Bilder hatte Iris erschaffen. Die Szenen von Bergen, Waldbränden, friedlichen Blumenwiesen inmitten der Wildnis, von scheuen Rehen, Füchsen und einsamen Siedlungen bedeckten bald die Wände ihres Anwesens.
Iorath versprach ihr: Eines Tages würden sie zurückkehren. Sie würden die Wildnis wieder und wieder besuchen. Bis dahin pflegte Iris ihren Garten und zeichnete Iorath. Sie zeichnete viel. Die Farben waren ihr an manchen Tagen wichtiger als Iorath, jedenfalls mochte es so scheinen. Wenn sie kurz davor war, ein Bild fertig zu stellen, schloss sie sich manchmal Tagelang ein. Iorath brachte ihr das Essen und störte sie nicht. Dann, wenn sie fertig war, wusste er, dass es die Warterei wert gewesen war.
Denn Iris malte wahre Kunstwerke. Wenn sie es zuließ, dann konnte er ihre Bilder verkaufen und damit ihren gemeinsamen Reichtum noch vergrößern. Doch das meiste Einkommen kam von dne vielen Gehöften, die zu ihrem Anwesen gehörten. Die Landwirtschaft warf viel Ertrag ab, sodass sie sich zuerst keine Sorgen machten, als die ersten Ernten durch die Stürme vernichtet wurden.
Doch die Unwetter nahmen zu. Hagel und Frost im Winter, kochende Temperaturen im Sommer. Immer häufiger ging die Ernte ein, und Iorath begann, zu reisen.
Er besuchte die Höfe, denn sie brauchten immer noch Geld, um das Anwesen zu erhalten. Wo nicht der höchstmögliche Ertrag erzielt wurde, drohte und fluchte Iorath. Während er fort war, ließ er Iris oft allein. Sie saß stundenlang am Fenster, zeichnete ohne große Lust und sehnte die Stunde herbei, da er zu ihr zurückkehren würde.
Doch er wurde schweigsamer. Die Zeiten machten ihn erschöpft, Iris konnte es spüren. Sie wollte für ihren Mann da sein, doch sie brauchte ihn genauso, wie er sie brauchte. Und je mehr er sich zurück zog, desto mehr fehlte ihr die Kraft, ihm zu sich zurück zu rufen.
Jahre zogen ins Land. Immer mehr Höfe fielen dem drohenden Bankrott zum Opfer. Viele Felder um das Anwesen verwilderten, als die Menschen fort zogen. Iorath und Iris kämpften mit allen Mitteln und spürten dabei ihre Kraft versiegen.
Eines Tages betrat Iris auf der Suche nach Iorath den Ostflügel. Lange war sie nicht hier gewesen, denn die vielen, leeren Zimmer waren für Zeiten bereit gehalten, in denen sie Kinder aufziehen mussten. Nur Bilder hatten sie hier aufgehängt.
Doch diese Bilder fehlten nun.
Sie schrie Iorath an, als sie ihre Erklärung verlangte. Er gab zu, die Bilder verkauft zu haben. Ohne sie zu fragen. Er habe sie nicht mit den Geldsorgen belasten wollen.
Aber es waren ihre Bilder, brüllte sie außer sich: Er habe versprochen, keines davon zu verkaufen, ohne sie zu fragen.
Er habe die Bilder zurückkaufen wollen, bevor sie etwas merke, sagte Iorath. Dann schloss er sich noch länger und noch häufiger in seinem Studierzimmer ein. Bald nahm Iris den Geruch nach Alkohol wahr, der hinaus drang.
Und sie zog sich weiter zurück. Ihre Bilder wurden düster und grau. Sie zeichnete viel und gab die Bilder wortlos an Iorath.
Verkauf sie, sagten ihre Augen. Gebrochen und müde. Sie liebte ihre Werke, auch, wenn sie die fröhlicheren mehr geliebt hatte. Aber Opfer mussten erbracht werden.
Sie kaufen nun keine teuren Farben mehr, sondern preiswerteres Material. Zum Glück gab es Einige, die ihre Bilder liebten und kauften. Iris gab wenig für die Farben aus und verkaufte die Bilder immer teurer. Derweil kämpfte Iorath um jeden Quadratmeter Land. Eine Zeitlang waren Verlust und Gewinn wieder ausgeglichen, wenn auch das Haus mehr und mehr zerfiel.
Dann merkte Iris, wie ihr immer häufiger schwindelig wurde. Sie sah ihre Haut blasser werden, spürte bei jedem schnellen Schritt Druck auf der Lunge. Zwei, drei Jahre verheimlichte sie es. Sie schminkte sie sorgsam, um die tiefen Augenringe, die ungesunde Hautfärbung und die aufgesprungenen Lippen zu überdecken. Sie log, wenn sie keinen Appetit hatte oder wenn ihr etwas aus den kraftlosen Fingern fiel.
Dann, eines Tages, brach sie einfach zusammen. Iorath ließ alle Ärzte kommen, die er nur erreichen konnte. Mehrere Wochen lag Iris nur im Bett, hustete krampfhaft und klammerte sich mit aller Kraft an das Leben.
Sie war krank. Schwer krank. Ein giftiger Stoff in den billigen Farben, mit denen sie zu lange gearbeitet hatte. Sie wurde schwächer, so aufopfernd sich Iorath auch um sie kümmerte.
Eines Tages bemerkte sie, dass er wieder trank. Wenig später zog er sich mehr und mehr von ihr zurück. Sie war an das Bett gefesselt. Nur wenige Schritte konnte sie gehen. Iorath aber zog in den verlassenen Ostflügel. Er war unerreichbar weit entfernt.
Sie wurde traurig. Die Trauer zehrte an ihrer Kraft. Bald fürchtete sie, dass sie endgültig auseinander gebrochen waren, dass sie vielleicht sogar sterben könnte, ohne dass er es bemerkte.
Dann kehrte er zurück und brachte ihr einen schwarzen Hund.
Iris sah das große Tier an, dessen Augen rot leuchteten. Er machte ihr Angst. Das Tier war intelligenter, als ein Hund sein sollte. Er sollte ihr helfen, verkündete Iorath. Der Hund konnte einen Haushalt führen, er konnte Essen zubereiten, wenn auch nur einfache Mahlzeiten. Er sollte ihr ein Freund sein, die Gesellschaft, die Iorath ihr nicht bieten könnte.
Sie sah ihn an. Ihr Liebster hatte sich verändert. Er schien nicht mehr zu trinken. Doch er wirkte hager, blass, kränklich. Seine Augen leuchteten in Fieberschein.
Der Hund half ihr tatsächlich. Er brachte sie dazu, wieder häufiger zu laufen, um sich nicht ständig den wachsamen, roten Augen auszusetzen. Schritt für Schritt eroberte sie das Haus zurück. Manchmal aß sie noch gemeinsam mit Iorath. Dann sprachen sie häufig aneinander vorbei. Er war unkonzentriert, und sie war von einfachsten Übungen bereits erschöpft. Trotzdem drang zu ihm durch, wie sie den verfallenen Garten betrauerte.
Vielleicht eine oder anderthalb Wochen später präsentierte Iorath ihr stolz eine Vogelscheuche, die sich quälend langsam durch die Blumenbeete arbeitete und dort Unkraut jätete und neue Pflanzen säte, Sträucher beschnitt und Gras harkte - dabei aber ein kaum hörbares Jammern und Stöhnen von sich gab. Iris hatte den Garten selbst pflegen wollen, als Ersatz für die Bilder, die sie nicht mehr malen konnte. Jetzt hütete sie sich, einen Wunsch auszusprechen. Sie schwieg, Iorath schwieg. Bald trennte sie mehr als nur die Entfernung.
Iris verbrachte die Tage in ihrer Kammer. Wann immer sie noch versuche, Iorath zu besuchen, wurde sie von einem bestialischem Gestank abgehalten, der sich in dem Ostflügel festgesetzt hatte. Es roch nach faulen Eiern und Verwesung, nach Asche und Tod. Jedes Mal, wenn ihr der Geruch in die Nase stieg, wurde ihr übel. Doch der Gestank hing auch in Ioraths Kleidung. Seine Blicke waren alles, was Iris noch ertragen konnte, und auch das schwand mit jedem Tag. Er sah sie so verletzt an. Seine Augen fieberten immer stärker. Die Tage ihres Glücks waren vorbei, und die Trauer zerfraß sie beide.
Das Geld ging nicht mehr aus. Was immer Iorath trieb - es hielt den Bankrott auf. Doch Iris fürchtete um ihn. Bald war die Angst alles, was ihr noch blieb.
Bis sich die unheimlichen Begebenheiten häuften. Bis die Blumen ohne Grund verdorrten, Vögel leblos vom Himmel fielen, wenn sie sich dem Anwesen näherten. Bis der Gestank jeden Winkel durchzog und des Nachts lautes Gelächter aus den Wänden drang.
Iris ging zu Iorath.
Sie kämpfte sich Schritt für Schritt voran, gegen die Angst, gegen die Übelkeit.
Er fing sie vor dem Ostflügel ab. Er sah furchtbar aus, war nur noch ein Schatten seiner selbst. Aber Iris konnte ihn nicht zwingen, das Haus zu verlassen, so sehr sie auch bettelte. Sie fürchtete sich. Bald fürchtete sie nicht mehr um Iorath. Sie fürchtete sich vor ihm.
Er schenkte ihr teure Farben und sie zeichnete. Jetzt waren die Bilder schwarz, voll von ihren Alpträumen und Ängsten. Seine wahnsinnigen Augen starrten sie von überall her an. Es war, als wäre Iorath durch etwas anderes ersetzt worden. Iris malte. Die neuen Farben machten sie nicht krank, doch der Trost, den sie durch die Kunst erhalten hatte, stellte sich nicht wieder ein.
Bald kam der Tag, an dem sie den Pinsel nicht mehr halten wollte. Das Malen stieß sie ab, wie sie vielleicht vor Feuer zurückschrecken würde. Der schwarze Hund beobachtete sie, wie sie tagelang vor dem leeren Bild saß, weinend, weil sie ihre Fähigkeit verloren hatte.
Sie konnte nicht mehr malen. Ein Teil von ihr war gestorben und würde nicht zurück kehren. Der Verlust schnitt tief in ihr Herz. So tief, dass die Wunde blutete und nicht mehr heilte. Sie wusste, dass sie gebrochen war. Und Iorath kam nicht zu ihr. Er schenkte ihr weiter Pinsel, aber Iris wollte keine Farben mehr. Sie wollte die Schwärze, oder aber seine Hand, um sie aus der Dunkelheit zu ziehen.
Iorath hörte sie nicht. Er war wie besessen. So in seine Arbeit vertieft, dass Iris schließlich den Ostflügel betreten und sein geheimes Arbeitszimmer finden konnte.
Iorath hatte die Wände mit Schriftzeichen bedeckt, die sie nicht kannte. Kerzen brannten auf Sockeln und Totenschädeln. Rote Linien zeichneten ein Pentagramm auf den Boden, alte Bücher voller dunkler Magie lagen verstreut um ihren Liebsten, der ihr noch nie zuvor so fremd vorgekommen war. Die Luft roch furchtbar. Angst lähmte Iris lange genug, um zu verstehen, um die offenen Seiten zu überfliegen, um Ioraths wirres Gemurmel zu hören.
Schwarze Magie. Alchemie. Iorath war ein Hexer gewesen, so sehr der Nacht zugewandt, dass er sie erst hörte, als sie vor ihm floh.
Die Schwäche war noch da, niemals war sie wirklich geheilt. Dennoch rannte Iris in dne Garten, vorbei an der verfluchten Vogelscheuche. Sie rannte vor dem Anwesen davon und hörte nicht, wie Iorath ihren Namen rief. Tränenblind lief sie, stundenlang, tagelang, bis sie zusammen brach.
Doch wie durch ein Wunder war Iorath noch hinter ihr. Er sah ihren schlanken Leib fallen und er setzte sich zu ihr, während sie weinend auf dem Boden lag. Sie konnte nicht mehr rennen. Sie wehrte sich nicht, als er sie aufhob und nach Hause trug, damit sie sich nicht erkältete.
Und während er ging, scheinbar mühelos ihr Gewicht trug, klagte er sie an.
Was sie denn tue. Er würde so vieles für sie tun, würde ihr alles schenken, damit sie glücklich sei. Sie dürfe sich nicht in Gefahr bringen.
So ging es weiter. Iorath hatte sich für sie den dunklen Künsten zugewandt. Um sie zu retten. Warum konnte sie nicht glücklich sein?
Seine Stimme war tonlos. Leer und leblos. Iris sah ihn an und fragte, was der Preis für seine Macht gewesen war.
Er habe seine Seele nicht gebraucht, erklärte er. Es hatte nur gezählt, dass sie froh war. Das war noch heute so.
Er fühlte nicht mehr, verstand Iris. Iorath war taub und tot geworden, damit sie es nicht wurde.
Sie weinte. Ob er denn nicht verstand. Sie konnte nicht glücklich sein, denn dazu müsse er glücklich sein.
Sie wollte ihn küssen, doch er war kalt wie eine Statue. Dann ballte sie die Hände zu Fäusten und ließ sich absetzen. Sie würde ihn retten, sagte sie. Er solle ihr die dunkle Macht zeigen.
Iorath sah sie an. Unsicher. Was sollte es bringen, ihn zu retten? Was, wenn es ihr Leben kostete?
Iris wollte nicht traurig leben, nicht so. Sie fasste Ioraths Hand und ging los. In dem Anwesen betraten sie den Raum voller Kerzen. Iorath zeigte Iris zögerlich, wie man Dämonen beschwor. Iris tat es. Sie verlangte, dass Iorath seine Seele zurückerlangte.
Die Dämonen verlangten einen Preis als Ausgleich. Iris bot ihnen alles an, das Haus, den letzten Reichtum, ihr Talent.
Als sie alles anbot außer ihrer beiden Seelen, da willigten die Dämonen ein. Der Tausch wurde gemacht. Haus und Garten zerfielen zu Staub, Iris spürte im gleichen Moment, wie ihre Krankheit sie übermannte. Iorath hielt sie, weinend, entsetzt, während er wieder spürte, was sie beide verloren geglaubt hatten.
Die Liebe.
Nichts zählte. Sie brauchten nichts außer einander. Iorath hielt Iris' Hand. Sie lächelte. Sie wusste, dass ihr Liebster zurück war. Sie spürte auch die Schwäche, die ihren ganzen Körper überzog. Jeder Herzschlag war anstrengend wie ein Dauerlauf. Ihre Hände wurden kalt. Iorath hielt sie mit aller Kraft, doch gegen den dunklen Zog war er machtlos. Iris fiel. Iorath schrie ihren Namen, auch, als sie ihn schon lange nicht mehr hören konnten.
Du hattest recht, sagte er ihr, reumütig am Schluss: Was wirklich zählte, waren sie beide. Er verfluchte, dass er so blind gewesen war. Und er brüllte sie an, sie dürfe ihn nicht verlassen.
Aber gleichzeitig war er dankbar, dass er den Schmerz wieder spürte. Und er wusste, dass sie ihn gerettet hatte. Er besaß nichts mehr, außer einem Willen, der stärker war als je zuvor.
Und viele Monate später erreichte er den Westen. Er wanderte durch die Wälder, träumte unter dem Sternenhimmel und weinte in die wilden Flüsse. Und wünschte sich bis zu seinem Tod nichts mehr.
Anm: Das hier ist vielleicht keine Fanfiktion, aber stark von einer existierenden Geschichte inspiriert. Ohne zu viel zu spoilern: Es geht um eine Quest in dem Spiel "The Witcher 3". Wer es gespielt hat, wird Iris und Iorath vielleicht wiedererkannt haben.