Mit langsamen, tiefen Atemzügen hob und senkte sich ihre Brust. Es kostete sie weit mehr Kraft, ihre Atmung ruhig zu halten, als sie sich eingestehen wollte. Sie spürte, wie ihr die Angst durch die Adern jagte. Ihre Muskulatur war zum Zerreißen angespannt und alles in ihr schrie zur Flucht. Doch sie verharrte.
Vorsichtig tastete Rove nach der Wand zu ihrer Seite. Sie musste sich dagegen lehnen, denn ihre Beine fühlten sich seltsam weich an. Sie ließ sich zu Boden sinken, bis sie im Rahmen des Eingangs hockte.
Dabei ließ sie ihn nicht aus den Augen.
Seine glutroten Augen lagen fest auf ihr. Auch seine Brust hob und senkte sich zu tiefen Atemzügen, im selben Rhythmus, wie ihre. Er war erschöpft, genau wie sie. Wenn auch aus einem ganz anderen Grund.
Er war so groß. So erschreckend. Obwohl er kniete, den Rücken gebeugt und die Schultern gesenkt, war er imposant. Doppelt so groß wie ein Mensch, überragte er sie selbst in dieser gekrümmten Position. Sein Haupt war im Schatten seiner riesigen schwarzen Schwingen kaum zu erkennen, die schützend um ihn gespannt waren und sich sanft mit seiner Atmung bewegten. Einzig die glühenden Augen waren im Dunkel zu erkennen.
Vielleicht war es besser so. Was sie zuvor gesehen hatte… Wie er sich verändert hatte…
Rove zwang sich, den großen Kloß in ihrem Hals herunterzuschlucken. „Geht… Wie geht es dir? Du bist verletzt“, fragte sie und wunderte sich dabei über das Zittern ihrer Stimme. Hatte sie sich wirklich so wenig unter Kontrolle?
Ein langes Ächzen, ein tiefer Atemzug, drang aus der rauchigen Kehle des Dämons ihr gegenüber. „Mach dir keine Sorgen. Ich brauche… nur Ruhe.“ Die Worte klangen, als würden sie von mehreren sich überlagernden Stimmen gesprochen, tief und grollend wie ein Donner und zischend wie ein beißender Wind zugleich. Eine Gänsehaut zog sich über Roves Arme und es fühlte sich für einen Moment so an, als hätte ihr Herz vor Schreck ausgesetzt. Langsam stieß sie ihren angehaltenen Atem aus und zwang sich, ihren Blick wieder auf ihn zu wenden. Seine Augen verfolgten dabei jede ihrer Bewegungen.
Das war das erste Mal, dass sie ihn so sah. Umso wichtiger war es ihr, jetzt nicht die Nerven zu verlieren. Das konnte sie ihm nicht antun. Nicht nach allem, was passiert war. Sie war es ihm schuldig.
„Geh…“, hauchte seine Stimme. Obwohl der Laut leise zu sein schien, war es, als würde bei jedem Vokal die Erde erbeben. „Ich … komme nach. Du musst nicht…hier bleiben.“
Wusste er, dass die Angst sie fast aufzufressen drohte? Bildete sie es sich nur ein, oder schwang Sorge in seiner Stimme mit? Sie sah wieder in seine Augen. War das Schmerz? Rove schüttelte den Kopf. Sie wusste nicht, ob er es bemerkte, denn jede ihrer Bewegungen fühlte sich unwirklich schwer an. „Ich lasse dich nicht allein.“ Ihre Stimme war nur ein Flüstern, doch er musste sie gehört haben. Ein tiefes Brummen drang aus seiner Brust. Für einen Augenblick flammte die Glut unter den groben schwarzen Panzerplatten, die seinen Körper bedeckten, wieder auf. Für einen Moment konnte sie sein hornbesetztes Haupt erkennen, das Gesicht, das sie kaum wiedererkennen konnte. Auch jetzt dachte sie wieder, unter all dem Grauen, dass er etwas majestätisches an sich hatte. Das Leuchten erlosch wieder und seine Gestalt war um ein weiteres Mal in Dunkelheit gehüllt.
Rove ließ den Kopf gegen die Wand sinken und versuchte, sich zu entspannen. Langsam fühlte sich ihre Brust leichter an, das Atmen fiel ihr nicht mehr so schwer. Sie beobachtete, wie auch er seine Schwingen tiefer auf den Boden sinken ließ. Eine Weile lang verharrten sie so, still und regungslos.
„Rove… es… tut mir leid.“
Ein kurzes Lächeln ließ Roves Mundwinkel für einen Moment nach oben zucken. Sie schnaubte, sagte aber nichts. Wofür entschuldigte er sich? Für das, was er war? Sie hatte es schon lange gewusst. Und alle anderen ebenso. „Ruh dich aus. Ich bleibe hier, bis du dich erholt hast. Ich lasse dich hier nicht alleine.“