Shifra wehrte sich nicht. Hatte er aufgegeben?
Unmöglich. Nicht Shifra.
Waren all die Geschichten um ihn am Ende doch nicht wahr?
Er schüttelte den Kopf.
Die Erinnerung flammte deutlich vor seinen Augen auf. Er spürte förmlich, wie sich Shifras Schwert, die schwarze Klinge, durch seine Haut bohrte. Spürte die Schüsse, das glühende, winzige Metall, das sich durch seinen Körper gebohrt hatte. Die Schlinge, die ihm die Kehle zugeschnürt hatte, ihn an seinem Hals mit sich gerissen und gegen die nächstgelegene Fassade geschmettert hatte.
Mit einer kühlen und berechnenden Art, wie sie selbst einem Dämon alle Ehre machte. Beinahe hätte er ihn gehabt.
Und doch…
Wortlos kniete er sich zu ihm hinunter, dem rasselnden Atem des fremden Soldaten lauschend. Sah, wie eine Hand kraftlos über den Boden schabte, während sein Kopf ebenso kraftlos, mit einem unangenehm dumpfen Aufschlag, gegen die Wand in seinem Rücken sank.
Seufzend verweilte er für einen Moment, spürte Shifras Schwachen Blick auf sich liegen, während sein eigener Blick auf dessen Maske lag. Zeit, herauszufinden, wer sich wirklich dahinter verbarg.
Shifra wehrte sich auch nicht, als er seine Hände um seinen Helm legte. Unterhalb der Kieferpartie entlang tastete, bis er die Knöpfe ertastete und ein Klacken und Zischen ertönte. Das Visier klappte herunter und mit einem weiteren Zischen wurde der Helm etwas weiter und ließ sich ohne Widerstand von seinem Kopf lösen.
Das konnte nicht richtig sein. Oder doch?
Was unter dem Helm zum Vorschein kam, war nicht das Gesicht eines Mannes.
Eine Frau?
Noch so jung…?!
Schneeweises Haar schimmerte schwach im kargen Mondlicht. Ihre Haut war beinahe so hell wie ihr Haar, die feinen Tropfen des Nieselregens verliehen ihr einen besonderen Glanz. Feine Nebelwolken bildeten sich vor ihrem Gesicht, jedes Mal wenn sie ausatmete. Mühevoll. Die Stimme deutlich von Schmerz erfüllt, auch wenn sie mit aller Kraft versuchte, stumm zu bleiben.
Und als sie ihre Augen öffnete, stockte ihm selbst für einen Moment der Atem.
Ihr eindringlicher Blick bohrte sich tief in ihn hinein. Blassgrün und so hell, dass die Farbe kaum zu erkennen war, strahlten sie ihm entgegen. Kontaktlinsen? Sicherlich, das musste es sein. Oder konnten die Augen der Menschen tatsächlich so hell leuchten? Das helle Grün ließ ihre Iriden aus der Nähe wie zwei Kristalle erscheinen, in deren Mitte die Pupillen tiefe, schwarzen Abgründe bildeten, in denen man sich nur allzu leicht verlieren konnte.
Schluss damit.
Herauszufinden, wer sich hinter der Maske befand, war nicht der einzige Grund, weshalb er Shifra aufgesucht hatte.
„Shifra, richtig?“, fragte er, obwohl er die Antwort bereits kannte. Ihr Duft, ihr Blut… es hatte sie bereits verraten.
Die glasig wirkenden Augen der Frau waren immer noch stumm auf seine gerichtet. Fest und stur blickten sie ihm unter tief zusammengezogenen Brauen entgegen.
„Ich werde dir nichts tun“, versicherte er ihr und hob dabei seine Hände. „Ich will nur eines von dir wissen: Warum hast du mich am Leben gelassen?“