Dieses Leuchten. Beim Gedanken daran kam die Wärme wieder in ihre Brust. So wohlig, genau über ihrem Herzen, zwischen Kehle und Brustkorb. Sie konnte sein Gesicht wieder sehen, seinen Ausdruck, als er sie angesehen hatte. Hatte er das gleiche gedacht? Seine tiefschwarzen Augen – waren sie denn tiefschwarz? Inmitten der Dunkelheit hatte es zumindest so gewirkt – der plötzliche Wandel zwischen Ungläubigkeit oder Überraschung und …Leere. Leere…
Rove legte sich rücklings auf das Bett und begann den Ball statt zur Wand gegen die Decke zu werfen. Sie dachte zurück an den Rest seines Gesichts. Das kurze dunkle zerzauste Haar, die feinen Züge um seine großen Augen, die gerade, schmale Nase, die ausgeprägten Wangenknochen, der markante Unterkiefer, der breite Mund, mit schmalen, leicht geschwungenen Lippen… ein gutaussehender junger Mann, vielleicht ein paar Jahre älter als sie selbst, zumindest dem Äußeren nach zu urteilen. Bei Vampiren konnte man das ohne genauere Kenntnisse nicht beurteilen.
Als sich ihre VI meldete, um einen Besucher an ihrer Tür anzukündigen, fiel ihr auf, dass sie den Ball schon seit einer ganzen Weile in den Händen gehalten hatte, ohne ihn zu werfen. Der Signalton hatte sie aus ihren Gedanken geholt. Ein Blick auf die Anzeige verriet ihr, wer ihre Aufmerksamkeit suchte. „Eintreten“, sagte sie kurz, woraufhin die Tür sich mit einem sanften Zischen auf schob.
Vor der Tür stand ein großer, bemerkenswert schöner Mann. Etwa Ende dreißig, der mit einem schmalen Lächeln eintrat. Er war auffallend elegant gekleidet, in einen offensichtlich teuren, schwarzen Anzug, unter dem ein feines, mit dezenten goldenen Linien verziertes, rubinrotes Hemd zum Vorschein kam. Auch auf dem schwarzen Anzugstoff fanden sich goldene Elemente wieder: Die Nähte, die außen sichtbar waren, sowie die drei Knöpfe des Sakkos. In der oberen Sakkotasche steckte ein Tuch von der Farbe seines Hemdes. Teure, schwarze und sauber gepflegte Lederschuhe kleideten seine Füße. Das volle schwarze Haar war akkurat gescheitelt und elegant gegelt, den Dreitagebart gründlich getrimmt und in Form gebracht. In seinen dunklen, nahezu schwarzen Augen blitzte es gefährlich auf, sein Lächeln wurde etwas breiter, als er auf Rove zutrat.
Rove erhob sich aus ihrer liegenden Position und setzte sich auf den Rand ihres Bettes. Der Mann ließ sich direkt neben ihr nieder.
„Was willst du, Pascal?“ fragte sie und begann erneut, den Ball gegen die Wand zu werfen.
„Ich habe von deinem neuesten Erfolg gehört“, antwortete Pascal mit sanfter, tiefer Stimme, die sicherlich jeden Menschen dahinschmelzen lassen würde.
„Das hat sich ja sehr schnell herumgesprochen“, kommentierte Rove trocken.
„Nicht doch. Noch weiß nicht jeder, was passiert ist. Alas, allzu lange wird es wohl nicht mehr brauchen.“
„Bist du nun hier, um dich über mich lustig zu machen?“
„Rove, meine Liebe, du weißt doch, dass würde ich niemals wagen. Nein. Ich bin hier um dir zu sagen, dass ich beeindruckt bin. Das war eine herausragende Leistung.“
Rove donnerte den Tennisball gegen die Wand, fing ihn wieder auf und überlegte, ob sich die letzte Aussage nun um Sarkasmus handelte oder nicht.
„Es gibt nur wenige Personen, die in der Lage sind, einem Vampir mit so geringem Schutz und Waffen gegenüberzutreten - und es zu überleben“, fuhr er fort. Er sah auf Roves Pflaster, dass die Bisswunde überdeckte und fuhr einmal sachte mit den Fingerspitzen darüber. „Du hast es geschafft, mit nur derartig wenig Mitteln eine Mission erfolgreich durchzuführen. Ich finde, dies verdient weit mehr Respekt, als dir zuteilwird.“
„Erfolgreich bis zu dem Punkt, an dem ich den Feind habe gehen lassen“, knurrte Rove und warf den Tennisball so heftig gegen die Wand, dass er hart abprallte und seitlich davonflog. Er hüpfte ein paar Mal über den Boden, prallte an Möbeln ab, wechselte die Richtung und rollte letztendlich unter ihre Kommode.
„Hm“, machte Pascal, als müsse er überlegen. „Ich verstehe, weshalb es auf so Manchen einen negativen Eindruck machen könnte. Doch ich weiß, auf deinen Instinkt ist Verlass. Was auch immer deine Gründe waren, ich bin mir sicher, dass all die großen Sorgen völlig unbegründet sind.“
Rove stützte die Arme über ihre Oberschenkel und sah Pascal mit hochgezogenen Brauen an. Wie konnte er sich dabei so sicher sein? Sie schüttelte den Kopf. Wie auch immer. Sie hatte es mittlerweile aufgegeben, ihn in Frage zu stellen.
„Denk dir deinen hübschen Kopf nicht kaputt“, meinte Pascal nach einigen Stillen Minuten. Er drückte sanft ihre Schulter und erhob sich zum Gehen. Bevor er zur Tür hinaustrat, neigte er sich vor Roves Kommode und holte den Tennisball hervor. „Vertrau einem alten Vampir“, riet er mit einem kurzen Zwinkern und warf ihr den Ball zu. „Ausnahmsweise.“