Ein Einkauf beim Bäcker, wie an jedem ersten Tag einer arbeitsfreien Woche.
Malik stellte sich an der Warteschlange vor der Theke an. Sie erschien ihm länger als sonst. Er zog seine Kapuze tiefer in das Gesicht, vor so vielen Leuten wollte er nicht auffallen. Die Kapuze überdeckte so zwar auch seine Ohren, mit deren Hilfe er sich am besten orientieren konnte, doch mittlerweile kannte er sich hier so gut aus, dass er wusste, wo er Gefahr lief auf einen Stehtisch zu stoßen oder ein Regal anzurempeln.
Malik genoss den Duft frischer Backwaren. Fleisch aß er zwar lieber als Brot und Nudeln, aber es durfte auf keinen Fall an süßen Stückchen und fruchtigen Backwaren fehlen.
„Ich möchte auch ein Laugenbrötchen, Papa, eins mit Käse drüber“, durchbrach die kindliche Stimme eines noch sehr jungen Mädchens seine Gedanken.
„Heute gibt es keine Extrawünsche. Wir holen nur Brezeln für die Weißwürste, das habe ich dir schon zu Hause gesagt“, antwortete eine männliche Stimme. Wahrscheinlich der Vater des Kindes.
„Kriege ich dann so ein Päckchen Gummibär -“ Der Satz endete in einem jähen überraschten Aufschrei, der die zarte Stimme des kleinen Mädchens noch piepsiger erscheinen ließ, als sie ohnehin schon war. Er hörte wie jemand stolperte, sah wie die junge Frau vor ihm drohte zu stürzen und hielt sie reflexartig fest. Er half ihr wieder Halt auf den Beinen zu finden, dabei berührten sich ihre Blicke kurz.
Sie war hübsch.
Erschrocken wirkte sie nicht, als sie ihn sah, bestenfalls überrascht und ein wenig verwirrt. Furcht zeigte sie keine.
„Emily! Pass doch besser auf! Du kannst nicht einfach zwischen den Beinen fremder Leute herum rennen!“, hörte man den Vater schimpfen, während sich die Kleine wieder vom Boden aufrappelte. „Tut mir leid. Das war keine Absicht“, jammerte Emily und eilte zurück zum Vater, weg von den tadelnden Blicken der wartenden Menschen in seine schützenden Arme.
„Ist schon in Ordnung“, sagte die junge Frau und wandte sich wieder von Malik ab. „Es ist ja nichts passiert.“
„Und ich habe gerne geholfen“, fügte Malik sich räuspernd hinzu. Sie war ihm noch etwas Dank schuldig, fand er. Er hätte ihr gerne noch etwas länger ins Gesicht gesehen, solange er sie sehen konnte. Vorgenommen hatte er sich zwar, in Zukunft die Nähe von menschlichen Frauen zu meiden, doch er musste selbst ertappt zugeben, dass sie ihn neugierig machte. Es gab nicht viele Menschen, die seine Gegenwart duldeten. Im Gegenteil, es war immer wieder in kleines Risiko, sein Gesicht zu zeigen, denn meistens endete es in Aufruhr, der nur aufgelöst wurde, wenn er sich vom Acker machte.
„Danke“, meinte sie knapp, aber sie sah ihn dabei nicht an. Sie sah wohl stur geradeaus, aber das konnte er nicht mehr erkennen. Ihr schwarzes Haar verschwamm in seinen Augen zu einem einzigen schwarzen Fleck in einer verschwommenen Welt, die in dunklem Nichts endete. Ihr Gesicht war unter den vielen Farbflecken dazwischen nicht zu erkennen, er konnte nicht sagen, ob sie ihn dabei vielleicht von der Seite her ansah oder ob sie ihn tatsächlich weitestgehend ignorierte.
Also doch nicht. Wenn die Menschen sich nicht vor dir fürchten, hassen sie dich. Malik steckte die Hände in die Westentaschen und ging die paar Schritte, die in der Reihe frei geworden waren, als das Geschäft langsam voran ging. Die junge Frau vor ihm war wohl doch keine Ausnahme. Wenigstens behielt sie aber für sich, was sie gesehen hatte.
Sie war die letzte, die er gehen sah, bevor er selbst vor der Theke stand. Kurs bevor sie die Filiale verließ, fiel ihr Blick noch einmal auf ihn. Der große runde hautfarbene Fleck inmitten dem schwarz, sie stand ihm nicht nahe genug, um noch einmal ihr Gesicht erkennen zu können. Er wusste zwar nicht, wie sie ihn ansah, doch er setzte ein Lächeln auf, nur für den Fall.
„Was wünschen Sie, der Herr?“ Die Stimme der Verkäuferin riss ihn aus seinen Gedanken und die Frau war mit drei schnellen Schritten schließlich verschwunden.
„Nicht träumen, immer schön bei der Sache bleiben. Wir haben heute viel Kundschaft, also nicht trödeln, ja?“, mahnte die Verkäuferin und schüttelte dabei den Zeigefinger wild hin und her.
„Ich bin's, Malik.“, meinte er nur knapp und zog seinen Geldbeutel aus der Hosentasche. „Hast du meine Tüte schon fertig? Ich glaub, ich hab's sogar passend.“