Eine fremde Hand fuhr durch ihr Haar, das lose aus dem halb gebundenen Dutt hing. Sie fühlte die Berührung sanft auf der Kopfhaut und die einzelnen Strähnen, die dabei an ihrem Nacken entlang glitten.
Mit gestrafften Schultern und einem bereitgelegten Kommentar auf den Lippen wandte sie sich um.
Und erschrak zutiefst.
Da war er.
Die Hand noch erhoben, wo sie durch ihr Haar geglitten war, bevor sie ihren Kopf wegbewegt hatte. Die dunklen Augen direkt auf ihre Gerichtet. Eindringlich musterte er sie, ließ seinen kühlen Blick über ihre Augen, ihr Gesicht, ihren Hals und schließlich über ihren Körper bis zum Boden wandern, bevor er ihn wieder auf ihr Gesicht legte. Schließlich legte sich ein schmales Lächeln über seine Lippen, während sich seine Brauen hoben.
Der Mann, der Feind, den sie hatte entkommen lassen. Stand hier, jetzt, direkt vor ihr.
„Du bist nicht leicht zu finden.“
Ein Schauer jagte über ihren Rücken, als er sprach. Seine Stimme klang so anders, als das letzte Mal, dass sie sie gehört hatte. Nicht brüchig, nicht wütend oder heißer. Angenehm, ruhig und klar. Und doch war sie das letzte, was sie gerade hören wollte.
Zurückweichen war unmöglich. Die Bar drückte ihr in den Rücken. Zu den Seiten davonzulaufen brauchte sie nicht zu versuchen. Schon gar nicht ohne Ausrüstung.
So lehnte sie sich zurück, stützte entspannt ihre Unterarme rücklings über dem Tresen ab, schob ihr Kinn nach vorne und hob ihre Brauen.
Für einen kurzen Moment wurde sein Lächeln etwas breiter. Er trat neben sie an den Tresen, winkte dem Barkeeper.
Es kostete sie alle Mühe, jetzt nicht unruhig zu werden. Er würde es merken. Das wusste sie.
„Was willst du trinken?“, fragte er, während er auf den Barkeeper wartete.
„Wasser.“
Er musterte sie kurz mit hochgezogenen Brauen und sie ahmte seinen Blick nach. Erneut zuckte ein mildes Lächeln über sein Gesicht, bevor er bestellte.
„Was willst du?“, fragte sie schließlich, während er sich ihr wieder zuwandte.
„Ich habe dich gesucht“, antwortete er knapp. Seine dunklen Augen lagen wieder direkt auf ihren.
„Was willst du von mir?“, hakte sie etwas deutlicher nach. Mit Nachdruck in der Stimme. Er durfte ruhig wissen, wie wenig Begeisterung sie für diese Begegnung aufbringen konnte.
„Keine Sorge, ich werde dir nichts tun. Nicht heute.“
Mit hochgezogenen Brauen wartete er auf ihre Reaktion, doch sie hielt ihr Gesicht steinern.
Letztendlich zuckte er nur mit den Brauen, wandte sich den Gläsern zu, die vor ihnen auf dem Tresen abgestellt wurden. Rove tat es ihm gleich. Sie wirkte erstaunlich entspannt, dafür, dass er sie hier aufgesucht hatte. Doch beim genaueren Hinsehen bemerkte er die Anspannung. Die langsamen und bedachten Bewegungen und den strengen Blick, mit dem sie ihn musterte.
Ihm gefielen ihre großen Augen, die ihn unentwegt musterten. Wie sie fest auf seinen lagen, forschend, suchend. Als könnten sie wirklich in ihn hinein sehen… Oder konnten sie das?
„Ich frage ein letztes Mal, bevor ich gehe. Was willst du von mir?“, fragte Rove schließlich und drehte das Glas zwischen ihren Fingern, während sie ihn aus den Augenwinkeln beobachtete.
Wieder zuckte ein halbes Lächeln über seine Lippen und seine Brauen schnellten amüsiert nach oben. „Wenn du glaubst, dass deine Freunde draußen dir zu Hilfe eilen werden, wird es dich enttäuschen. Keine Sorge, sie leben und sind unversehrt. Aber nicht bei Bewusstsein. Wir haben also ein bisschen Zeit.“
Er beobachtete, die sich ihre Hände zu Fäusten ballten und sie dem Drang widerstand, sie auf den Tresen zu schmettern. Wie sich ihre Nasenflügel aufblähten, ihre Brust sich beim Einatmen angespannt hob und sie nur ganz langsam den Atem wieder ausstieß.
„Ganz ruhig. Wie gesagt, ich bin nicht hier, um dir etwas anzutun“, ergänzte er, nahm einen Schluck aus seinem Glas und griff danach in seine Hosentasche. Kurz darauf schob er ihr einen kleinen, gefalteten Zettel zu.
Die junge Frau beäugte den Zettel misstrauisch, nahm ihn schließlich und faltete ihn auf.
Tornum.
Die Stadt?
„Was soll ich damit?“, fragte Rove und wandte sich diesmal direkt an den Fremden.
Wieder lächelte er, doch diesmal wirkte er dabei weder amüsiert, noch als wollte er mit ihr flirten. Nur die Mundwinkel waren gehoben, doch die Brauen standen dicht beieinander und seine Augen musterten sie aus verkniffenen Lidern.
„Ihr vermisst einige eurer Leute“, setzte er an, sprach aber nicht weiter.
Was? Sollte das etwa…?
„Warum?“, war das einzige, dass Rove dazu heraus brachte.
Der Feind zuckte die Schultern und nahm einen weiteren Schluck, leerte damit sein Glas.
„Ich habe versprochen, zu helfen. Und erfülle hiermit meinen Teil unserer Vereinbarung.“
Vereinbarung? Aber… Was meinte er damit?
„Ich… kann helfen…“, drängte sich der Klang seiner krächzenden, röchelnden Stimme in ihren Kopf. An dem Abend, an dem sie ihn fast getötet, aber gehen lassen hatte. War das sein Ernst?
Immer noch ungläubig starrte sie ihn an. Nur für einen kurzen Moment. Dann schüttelte sie den Kopf, nahm den Zettel und straffte die Schultern.
„Das hilft mir nicht“, meinte sie schließlich und hob die Brauen.