Rove warf einen Blick aus ihrem Fenster und bemerkte etwas Ungewöhnliches.
Fast ungewöhnliches. Es war nur schon sehr lange her, seit sie das letzte Mal Wolken am Horizont erblickt hatte. Große, dunkle Wolken, die stetig näher rückten. Konnte es sein?
Sie legte das Tablet zur Seite und erhob sich von ihrem Sofa, schob vorsichtig ihre Balkontüre auf. Eine leichte Brise. Ein angenehmer, kühler Hauch auf ihrer Haut. Endlich.
Ohne weitere Umschweife schob sie die Balkontüre ganz auf. Zog von einem Zimmer zum nächsten, um auch alle Fenster zu öffnen. Die Klimaanlage auszuschalten. Einmal wieder richtig durchzulüften, ohne zu verkochen. An anderen Tagen würde sie diese Aufgaben ihrer VI übergeben. Doch mit der frischen Brise füllte sich ihre Energie und sie nahm die Dinge gerne selbst in die Hand. Sie wollte alles spüren, was jetzt kam.
Bevor sie wieder auf ihren Balkon hinaus trat, schlüpfte sie aus dem Tanktop, ließ es achtlos auf ihr Sofa fliegen. Der Sport-BH reichte völlig aus. Mit nackten Füßen trat sie hinaus auf ihren Balkon, stützte sich über das Geländer und sah den Wolken entgegen. Sie waren schnell unterwegs. Ein tiefes Grollen drang aus ihrer Mitte und immer wieder leuchtete es in ihnen hell auf.
Ein Sommergewitter. Ihr Herz tat einen freudigen Hüpfer. Es wurde immer besser. Sie konnte zwar nicht ewig hier draußen stehen, doch noch war es fern genug. Sie wollten jeden Moment genießen, bevor er vorüber zog.
Der kühle, immer stärker werdende Wind streichelte ihre Haut und füllte ihre Lungen. Sie atmete, als wäre es schon viel zu lange her, seit sie das letzte Mal nach Luft geschnappt hatte. Dann, noch viel zu früh und doch schon so lange ersehnt, die ersten Tropfen, die ihr Nase und Wangen küssten. Berührungen so sanft und flüchtig und doch spürbar auf ihrer fast taub gewordenen Haut.
Wie sehr hatte sie den Regen vermisst.
Nach den langen vergangenen Sommertagen war er mehr als willkommen. Sie liebte auch die Sonne. Doch jetzt den Wind und das Wasser auf der Haut zu spüren, ließ ihr Herz flattern und ihre Haut kribbeln.
Nur noch ein paar Augenblicke. Nur noch ein paar Atemzüge.
Es vibrierte angenehm in ihrer Brust und sie fühlte sich so lebhaft, wie schon lange nicht mehr. Sie könnte jetzt durch das Treppenhaus sprinten, die Straßen entlang rennen, bis sie die Wälder hinter der Stadt erreichte. Oder einfach noch verweilen. Die letzten paar Tropfen genießen, bevor der Sturm sie erreichte. Anschließend durchgenässt sich in ihrer Wohnung zurückziehen. In ein Handtuch gehüllt auf das Sofa liegen und dem Regen lauschen. Kerzen anzünden und dem Donner zuhören. Blitze zählen. Alles davon.