Das Dröhnen des Clubs war auch noch zu hören, als sie die Tür des Hintereingangs hinter sich geschlossen hatte. Seufzend ging sie ein paar Schritte die Gasse entlang, genoss die kühle, frische Luft. Sie sah hinauf in den bewölkten Nachthimmel, feine Nieselperlen regneten in ihr Gesicht, befeuchteten Nase, Wangen und Kinn und kühlten ihre Lider. Rove richtete den Kragen ihres Mantels auf. Es war so kalt geworden, vielleicht würde es diesen Winter doch noch Schnee geben.
Seufzend aktvierte Rove ihren Monitor, indem sie Mittel-, Ringfinger und Daumen ihrer rechten Hand zweimal kurz aufeinander tippte. Die Anzeige in ihren Kontaktlinsen begann sofort sich hochzuladen. Sie sah zunächst den Startbildschirm vor sich, ganz oben links eine Anzeige über ihre derzeitige Verfassung, darunter aktuelle Einsatzbefehle und Meldungen aus ihrer Zentrale. Rechts wurden allgemeinere Meldungen und Nachrichten eingeblendet. Doch auch heute war nichts Interessantes für sie dabei. Die Lage an diesem Abend war ruhig, wie in den vergangenen zwei Wochen. Erneut wandte Rove den Blick gen Himmel, ließ ihn über die Betonwände der umliegenden Hochbauten schweifen, sah hinauf an den Rand der Dächer. Über den Monitor konnte sie ihre Kameraden selbst durch die Häuserwände noch erkennen. Sie wurden gesondert hervorgehoben und versehen mit eigenen, kleinen Statusanzeigen. Alles schien in bester Ordnung, zumindest auf den ersten Blick.
Die Statusanzeigen meldeten nichts Ungewöhnliches. Gesundheitlich befanden sich ihre Kameraden in bester Verfassung. Doch keiner von ihnen rührte sich. Stimmte etwas nicht mit ihrer Anzeige? Ihre Kameraden saßen alle Aufrecht an ihren Posten. Nicht einer ging seinen Posten ab, um seine Umgebung von allen Bereichen zu sichern.
Rove sog scharf die kalte Nachtluft ein. Vielleicht war es in dieser Nacht doch nicht so ruhig, wie erwartet. Sie tippte den kleinen Finger und Daumen rechter Hand dreimal kurz aufeinander, um einen Kanal zu einem ihrer Kameraden zu öffnen. Doch die Anfrage wurde nicht angenommen. Langsam trat sie zurück zum Hintereingang des Clubs, während sie versuchte, einen der übrigen drei Kameraden zu erreichen. Ohne Erfolg. Also gut. Dann das Hauptquartier.
Rove hatte die Tür fast erreicht, da war er plötzlich neben ihr. Sie hatte nichts gehört oder gesehen, obwohl sie ihre Umgebung nicht aus den Augen gelassen hatte. Er stand einfach da. Reglos, das Gesicht nicht zu deuten.
Es gab keine Seitengassen, durch die er sich unbemerkt an sie hätte anschleichen können. Oder weitere Hintertüren, durch die er hätte kommen können. Durch den Club kann es ebenso wenig gewesen sein – das hätte sie gehört. Sofort griff sie nach der Pistole in der Innenseite ihres Mantels.
Natürlich war er schneller. Er packte sie an ihrem Handgelenk, ein schmales Lächeln über dem sonst ausdruckslosen Gesicht. Überraschend sanft schob er ihre Hand mit der Pistole zur Seite. „Nicht doch. Ich will nur mit dir reden.“ Im Dunkel war sein Gesicht kaum zu erkennen. Das Licht über der Tür des Hintereingangs zum Club traf sie nur an der Seite und reichte Gerade aus, um die Konturen seines Gesichts zu erahnen. Doch sie konnte spüren, wie sich seine Augen tief in die ihren gruben.
Für einen Moment schien sie wie erstarrt. Es war keine Furcht, die sie eingenommen hatte. Eine Art von …Ungläubigkeit? Als sie dem jungen Mann ins Gesicht sah, schien er für einen Moment zu strahlen. Als wäre tief in ihm ein Licht, das bis nach außen drang und ihn umgab. Ein Gefühl von Wärme breitete sich in ihrer Brust aus. Wärme und tiefer Frieden… Er.
Was war das? Das konnte nicht richtig sein. Was sie glaubte gesehen zu haben, verschwand so schnell, wie es gekommen war. Dennoch konnte sie den Blick noch nicht von seinen Augen abwenden. Hatte der Vampir sie bereits in seinem Bann? Sie bemerkte erst nach einigen Sekunden, dass sein Gesicht einen Ausdruck von milder Überraschung angenommen hatte. Seine Stirn legte sich in sanfte Falten, während seine Augen fest auf ihren lagen.
Schweigend und regungslos verharrten sie voreinander. Plötzlich schien sich ein Schleier über seine Augen zu legen. Die vermeintliche Frage verschwand, zurück blieb nur…Leere. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie die Luft angehalten hatte. Das Einatmen wollte ihr nicht gelingen, etwas schnürte ihr die Kehle zu. Ihre Brust fühlte sich so schwer an, als läge ein Fels darüber.
Er wandte schließlich den Blick ab und räusperte sich kurz. „Tut mir leid. Nun… beginnen wir noch einmal von vorne. Ich weiß, dass du zu den Rebellen gehörst. Und wie du sicher schon bemerkt hast, brauchst du nicht auf die Hilfe deiner Kameraden zu hoffen.“ Er deutete mit einem Nicken gen die umliegenden Häuser. „Ich denke, du bist dir deiner Lage bewusst und hoffentlich bereit, mir ein paar Fragen zu beantworten.“
„Was? Damit du mich hinterher einfach entsorgen kannst?“, fragte Rove zwischen zusammengepressten Zähnen hindurch.
„Vielleicht muss es nicht soweit kommen.“