Sofort spannten sich Rove Hände über ihren Waffen stärker an. Alles in ihr schrie, sie aus den Holstern zu ziehen und anzugreifen. Doch noch zögerte sie.
Was war mit Araz?
Hatte er ernst gemeint, was er seinen alten Verbündeten erzählte? Oder wollte er sie austricksen?
Beides hielt sie für absolut möglich. Dass er sie hinterging, anstatt seine alten Leute… das wäre nicht das erste Mal gewesen.
Araz warf nur einen kurzen Blick über seine Schulter zu ihr hinüber. Die Gleichgültigkeit in seinem Gesicht jagte ihr einen Schauer über den Rücken.
„Das war nicht mein Plan, aber den kann ich jetzt ja wohl ohnehin vergessen“, brummte er Michael und dem Bären zu und nickte anschließend in Roves Richtung. Sofort setzten sich die beiden in Bewegung.
Das war nicht sein ernst?!
Roves Finger schlossen sich fest um ihre Waffen, zogen die Pistolen aus den Holstern, entsicherten, während sie gleichzeitig Deckung suchend hinter einen Belüftungsaußenschacht auf dem Dach sprang. Hier oben zu kämpfen war alles andere als ideal. Das Dach war zwar groß und weitläufig, aber es gab zu wenig Stellen, um Deckung zu finden. Zudem fühlte sie sich hier oben, mit nur dem kleinen Gemäuer am Rande des Daches, auf einmal ganz und gar nicht mehr wohl.
Mit dem Entsichern ihrer Schusswaffen aktivierte sich der Kampfmonitor in ihren Kontaktlinsen. Damit wurde auch die Funkübertragung zu ihrem Stützpunkt hergestellt, ihre Einheit wäre damit sofort alarmiert – doch bis jemand hier ankommen könnte, würde es dauern. Vielleicht zu lange.
Sie hörte schnelle Schritte auf sich zukommen, während sie ihren Rücken gegen das kalte Metall ihrer Deckung presste. Ihr Monitor zeigte an, dass der Schild beinahe vollständig hergestellt war – und der Feind nur noch wenige Schritte entfernt.
Welcher zuerst? Michael? Oder der Bär?
Ein Vampir, ein… nicht zuzuordnen. Spezies unbekannt? Und der Dämon.
Verflucht, zischte Rove in Gedanken, während ihr Kopf gleichzeitig sämtliche Strategien in Höchstgeschwindigkeit durcharbeitete. Der Vampir zuerst.
Gerade als Michael um die Ecke schnellte, sprang vor Rove zu ihm vor und rammte ihm ihre Schulter in den Brustkorb. Keuchend stolperte der Vampir zurück.
Rove ließ ihm nicht die Chance, seine eigene Waffe zu heben und zu schießen oder auf sie zuzuspringen, um sie mit seinen Krallenbesetzten Händen zu packen. Ihr Schild fing die Schüsse zu ihrer Seite ab, während sie selbst auf den Vampir zuhielt. Sie drückte mehrmals selbst ab, ließ das Unwesen auf die Knie gehen, zischen und schimpfen, während sie sich hinter die nächste Deckung stürzte, um dem Bären zu entkommen. Es waren nicht genug Schüsse gewesen, um den Vampir dadurch zu töten, aber es sollte ihr zumindest etwas Zeit verschaffen und ihn genug schwächen, um ihm bei der nächsten Begegnung ein schnelles Ende bereiten zu können. Doch ihr Schild hatte gerade noch so standgehalten, als sie sich hinter dem festen Gemäuer des Treppenabgangs versteckt hatte. Der Generator brauchte etwas Zeit, um es zu vollständiger Stabilität zurückzubringen.
Und wo war Araz?!
Wieder zog sich ihre Brust krampfhaft zusammen. Sie bereute es zutiefst, ihm diese zweite Chance gegeben zu haben. Sie war so davon überzeugt gewesen, dass er es wirklich ernst gemeint hatte. Wie nur hatte sie es nicht erkennen können?
Sie hörte das Fluchen und Röcheln des Vampirs, Schritte über dem glatten Betonboden. Sie kamen wieder näher. Der Monitor zeigte, dass sie wieder nur wenige Schritte entfernt waren. Michael voran, der Bär hinterher und – da war er!
Verborgen hinter dem Bären, nur verraten durch ein kurzes hervorblitzen eines Arms auf ihrer Anzeige. Araz.
Ihre Kiefer pressten fest übereinander.
Doch dann hörte sie ein lautes Jaulen, gefolgt von einem tiefen, zornigen Brummen. Der Bär wechselte die Richtung und der Vampir verharrte einen Moment in der Bewegung, sah über seine Schulter zu seinem Verbündeten zurück und wieder zu dem Gemäuer, hinter dem sie noch verborgen war.
Voller Erleichterung fiel Rove ein Stein vom Herzen. Vielleicht zu schnell. Sie wollte sich nicht darauf verlassen, dass mit einem Mal alles wieder in Ordnung war. Und sie hatten immer noch die beiden Feinde vor sich.