Es war nicht das erste Mal, dass sie diesen Traum geträumt hatte. Das erste Mal war gewesen, kurz nachdem sie Araz begegnet war und ihn hatte gehen lassen. Die Flucht, die Angst… das mussten ihre Sorgen gewesen sein, ihre eigenen Zweifel in dieser Angelegenheit. Doch was war es diesmal?
„Du bist wach?“
Rove hörte das Rollen eines Stuhls, der rasant näher kam, dazu Jonathans Stimme. Sie lag also immer noch auf der Krankenstation der Yarita. Sie öffnete die Augen und blickte direkt in Jonathans Gesicht, der, die Brauen erhoben und die Stirn in strenge Falten gelegt, Rove musterte. Sie sagte nichts, versuchte seinem strengen Blick standzuhalten, musste aber ein paar Mal blinzeln. Ihre Augen brannten wie Feuer und der Schwindel hatte sich noch immer nicht vollständig gelegt.
„Liegen bleiben“, herrschte Jonathan sofort an und drückte Rove an der Schulter wieder zurück in ihre Kissen, als sie sich erheben wollte. Murrend folgte sie der Anweisung und seufzte einmal tief. Jonathan war nicht der umgänglichste oder freundlichste Mensch, dem man begegnen konnte und er machte ihr immer wieder sehr deutlich klar, wie viel er von ihren extremen Methoden im Kampfeinsatz hielt, doch er war im Kern ein guter Mann und ein hervorragender Arzt, dessen Urteil sie blind vertraute.
„Irgendwann gehst du zu weit, Rove und das war es dann für dich“, begann seine beinahe routinierte Ansprache.
„Jonathan, lass gut sein. Ich weiß, was du sagen willst und du weißt, was ich antworten werde. Belassen wir es einfach dabei, denn wir wissen beide, dass sich nichts daran ändern wird.“
Jonathan zog auf ihre Aussage eine Braue noch höher, seine Nasenflügel blähten sich auf, aber er presste die Lippen aufeinander und schluckte, was auch immer ihm auf der Zunge gelegen hatte, kommentarlos herunter. Er schüttelte den Kopf und nahm das Tablet hervor, um Rove eine Übersicht über ihren Gesundheitlichen Zustand zu geben.
Eine holografische Anzeige, die Rove darstellte, wurde über dem Tablet eingeblendet. Ihre rechte Schulter und ein Teil des linken Rippenbogens waren darauf rot markiert und selbst sie konnte durch ihre Brennenden Augen erkennen, wie die toxikologische Anzeige in ebenso roten Farben aufblinkte.
„So bist du hier angekommen“, erklärte Jonathan und aktualisierte anschließend die Anzeige. „Und so werde ich dich gehen lassen.“ Die roten Flächen über ihrer Schulter und den Rippen verblassten zu einem milden Korallenrot und der Toxikologie-Spiegel blinkte ebenfalls nicht länger mit kritischen Werten auf. Doch selbst sie erkannte, dass die Werte keinen Idealzustand erreichen würden. „Und hier bist du jetzt“, fuhr Jonathan fort und ließ den aktuellen Status ihrer körperlichen Verfassung anzeigen.
Rove seufzte erneut, diesmal zufrieden. Und machte sofort wieder Anstalten, sich zu erheben. Jonathan wollte sie wieder zurückhalten, doch diesmal drückte sie gegen ihn an.
„Du bist noch nicht soweit“, zischte Jonathan und es war erstaunlich, wie sein Gesicht immer noch an Ernst gewinnen konnte.
„Weit genug“, zischte Rove und schwang ihre Beine über den Bettrand hinaus. Jonathan rückte zur Seite und ließ sie aufstehen. Er kannte sie gut genug, um zu wissen, dass er sich alle Worte der Vernunft sparen konnte. Nachdem er ihr einen letzten strengen Blick geschenkt hatte, wandte er sich um und schob sich im Laborstuhl zurück an seinen Schreibtisch.
Das sanfte pulsieren der Triebwerke durch die Flure der Yarita wirkte lauter als sonst. Nicht laut genug, um sie wirklich zu stören, aber so, dass es ihr auffiel. Reizüberflutung, erklärte sich Rove. Sie fühlte sich immer noch leicht benommen, aber gut genug, um nicht länger im Krankenbett zu versauern.
Ihr Weg führte sie in die kleine Kombüse, hin zur Kaffeemaschine. Zufrieden stellte sie fest, dass sie alleine war. Die Gesellschaft der anderen hätte sie nicht gestört, doch sie vermisste sie auch nicht, in diesem Moment.
Doch gerade als sie vor der Kaffeemaschine stand und das Mahlwerk leise zu arbeiten begann, hörte sie jemanden die Küche betreten.
„Schon wieder auf den Beinen?“