„William!“
Der Kommandant schnellte sofort herum, als er Araz rufen hörte.
„Was ist los?“
„Wir sind nicht allein“, wiederholte Araz, diesmal laut genug, damit es auch gleich alle anderen hören konnten.
„Wer? Wo?“, wollte William wissen.
„Es gibt keine Meldungen von den Sensoren. Yarita hat nichts gem-“ Ashley brach ihren Einwand fluchend ab. „Die Kommunikation zu Yarita wurde unterbrochen. Ich kann Rayya und die anderen nicht erreichen.“
Auch William zischte einen Fluch und trat zu Araz an eine der beiden Türen.
„Funktioniert die Kommunikation zwischen uns noch?“
„Wenn wir auf Funk umsteigen, dann ja.“
„Rove, du begleitest uns. Ashley, Raveen, James, wartet hier, aber macht euch bereit“, beschloss William. Er deutete Araz mit einen Nicken, dass er vorausgehen sollte. Araz nickte ebenfalls und trat durch die Tür, dicht gefolgt von William und Rove.
„Wie hast du sie bemerkt?“, fragte William, während sie in schnellen Schritten die Gänge entlang schlichen. Araz antwortete nicht, er schien sich zu konzentrieren. Er blieb immer wieder stehen, lauschte, wie es schien. William fragte nicht weiter, folgte dem Dämon stumm.
Sie entfernten sich ein ganzes Stück weit von dem Raum, in dem Ashley und die anderen sich bereithielten. William zweifelte beinahe schon, ob Araz Recht haben könnte. Rove glaubte in seinen Augen sogar Zweifel an Araz‘ Absichten grundsätzlich zu zweifeln. Da fanden sie sie.
Es war schnell klar, dass es sich nicht um die erwartete Verstärkung handelte.
-x-
Roves Erinnerung war verschwommen, nur einzelne Bruchstücke schwappten unsortiert an die Oberfläche. Wie immer. Es würde Zeit brauchen, bis die Erinnerungen des vergangenen Kampfes zurückkehren würden. Wie jedes Mal, wenn sie auf die xxxx zurückgegriffen hatte.
Sie spürte die Nachwirkungen der Droge nicht nur in ihrem Geist, auch im Körper. Ihr war schwindelig, selbst wenn sie die Augen geschlossen hielt, spürte sie, wie sich der Raum um sie bewegte.
Sie ließ sich zurück in ihr Kissen sinken, atmete durch den Zustand. Ließ die Bilder ihrer Erinnerung nach oben treiben.
Sie sah William, Araz, wie sie selbst mit ihnen die Flure entlang schlichen, auf der Suche nach…
Schüsse, Rufe, Schreie.
Leuchtend rote Augen.
Es war dunkel, tiefschwarze Nacht, die Straßen beinahe leblos.
Während sie rannte, warfen ihr die wenigen Passanten nur neugierige oder verwirrte Blicke zu. Keiner von ihnen schien zu bemerken, was hinter ihr her stürmte. Warum reagierte nur niemand? Warum blieben nur alle so vollkommen gelassen, obwohl die Monster, die sie verfolgten, auch ihren Weg kreuzten? Wieso erstarrten sie nicht in Furcht und Schrecken, wieso ergriffen sie nicht ebenso sofort die Flucht, als sie die Bestien sahen?
Richtig. Die Bestien interessierten sich nicht für die Passanten. Sie waren hinter ihr her.
Sie verstand bald, dass sie ihnen auf den Straßen nicht entkommen konnte. Egal welchen Weg sie einschlug, durch welche Gassen sie sich auch flüchtete, sie fanden sie immer wieder. Und wenn sie gerade noch so weit hinter ihr waren, dass sie sie kaum noch erkennen konnte, verfehlten ihre Pranken ihre Füße nur um Haaresbreite.
Sie wusste nicht, wie lange sie noch durchhalten würde. Die Angst trieb sie immer weiter an und gab ihr die nötige Energie für ihre Flucht. Doch sie war müde. Müde davon, ständig über ihre Schulter sehen zu müssen. Ständig ihr wild pochendes Herz beruhigen zu müssen. Sie hob den Blick und sah auf die Häuser. Vielleicht, wenn sie es schaffte unbemerkt in eines hineinzugelangen, konnte sie ihre Verfolger abwimmeln. Sie warf einen Blick hinter sich. Im Augenblick war niemand zu sehen. Sie musste diese Chance nutzen. Und wenn es nur ein paar Minuten waren, die sie dort verweilen konnte. Sie brauchte Zeit zum Atmen.
Sie zögerte nicht länger. Die Fassaden nach oben zu klettern waren ein Kinderspiel. Sie hatte das oberste Fenster schnell erreicht. Zu ihrem Glück war es geöffnet, so konnte sie einfach in das dunkle Zimmer hineinschlüpfen. Die Vorhänge wehten sanft im Wind und das erste Mal konnte sie in den Nachthimmel blicken und den Mond und die Sterne erkennen.
Auf einmal wirkte alles so still. So friedlich. So sorgenfrei.
Immer noch in den Nachthimmel blickend ließ sie sich in die Knie sinken. Ihr Herz tat einen sanften Hüpfer der Erleichterung. Und langsam beruhigte sich auch ihr Verstand. Sie spürte die Tränen, die sich in ihren Augen sammelten. Spürte wie sie sich langsam einen Weg über ihre Wangen bahnten. Ihre Schultern entspannten sich, sie wollte, konnte sich nicht länger aufrecht halten und ließ sich auf ihren Rücken sinken. Der Boden war weich unter ihr, als läge sie auf einer Matratze. Sie ertastete eine Decke und zog sie um sich. Schlaf und Ruhe, das war es, das sie dringend brauchte. Die Angst, die sie zuvor fast aufgefressen hatte, war beinahe völlig vergessen. Für einen Moment fragte sie sich noch, wieso ihr das Atmen plötzlich so leicht fiel…
Im Schatten des dunklen Raumes bewegte sich etwas. Sie erkannte die Umrisse einer Person, die sich ihr langsam näherte. Obwohl noch immer nichts erkennen konnte, als sich die Gestalt im Mondlicht bewegte, spürte sie keine Gefahr von ihr ausgehen. Die Gestalt eines jungen Menschen, eines Mannes? Ihr Gesicht blieb versteckt in der Dunkelheit, aus welchem Winkel sie es auch betrachtete, sie konnte nichts erkennen. Der Schatten kniete sich zu ihr hinunter und griff nach ihrer Hand. Sie war warm und weich. Sie wusste nicht warum, doch sie ließ sich in eine Umarmung ziehen. Erst jetzt erkannte sie, dass es nicht dieser Ort gewesen war, der sie ihre Angst vergessen lassen hatte. Es fühlte sich beinahe so an, als würden sich nicht nur ihre Körper berühren. Also könnte sie ihren Seelen spüren und wie sie einander fühlten. Sie spürte die tiefe Ruhe, die der Schatten verströmte. Zum ersten Mal seit langem, wurde ihr warm.
Wo bist du?!
Die Worte donnerten so laut durch ihren Kopf, dass ihr Schädel zu zerspringen drohte.
Laut nach Luft japsend schreckte sie auf. Der Raum, in dem sie sich befand, lag im Halbdunkel. Sie erkannte erste Konturen der Wände, des Mobiliars. Hörte das sanfte Rauschen der Belüftungsanlagen, das rhythmische Dröhnen des Antriebs. Die Barracken der Yarita. Die Nachwirkungen der Droge. Sie war hier sicher.
Das plötzliche Hochschrecken war zu viel für ihren müden Körper. Ihr wurde schwindelig, so ließ sie sich zurück in ihr Kissen fallen.
Nur ein Traum. Es war nur ein Traum.