Rove nutzte die entstandene Verwirrung und schlich um die andere Seite ihrer Deckung herum. Zum einen, um sich besser und geschützter zu positionieren. Und zum anderen, um einen besseren Blick auf das Geschehen zu bekommen. Über ihren Monitor sah sie zwar, was um sie herum passierte, doch sie wollte es mit eigenen Augen sehen.
Michael hatte sich fluchend seinem Kameraden zugewandt, der in einen Nahkampf mit Araz verwickelt war. Obwohl der Bär so wirkte, als könnte er jeden mit einem einzigen Hieb niederschmettern, schien er seine Schwierigkeiten mit dem vergleichsweise schmächtig erscheinenden Araz zu haben.
Neben ihnen auf dem Boden lagen zwei Schusswaffen – die von Araz und dem Bären, wahrscheinlich. Michael stürzte auf die zu, während er bereits versuchte, Araz ins Schussfeld zu bekommen. Er rechnete offensichtlich nicht länger mit Rove oder schien sie nicht für bedrohlich genug zu halten, um sie im Auge zu behalten. Sein Fehler. Michael schien ohnehin nicht der hellste zu sein, auch wenn er sich anfangs so aufgespielt hatte.
Aus ihrer Position hatte Rove ein freies Schussfeld und nutze es ohne zu zögern aus. Noch bevor Michael erfassen konnte, was geschah, stürzte er fluchend und zischend zu Boden. Diesmal blieb er dort liegen, reglos, aber noch nicht tot.
Unwichtig, dachte Rove und trat aus ihrer Deckung hervor. Der Vampir würde so schnell nicht wieder aufstehen können. Araz und der Bär hatten sich aus ihrer Sichtweite wegbewegt, nur der Monitor zeigte noch ihre Bewegungen und ihren Standort. Hören konnte sie sich auch. Als sie wieder freie Bahn hatte, um auf den Bären zu schießen, nutzte sie auch diese Gelegenheit sofort. Nur leider war ihre Waffe bei ihm noch weniger effektiv, als bei dem Vampir.
Fluchend steckte sie die Pistolen zurück in ihre Holster. Deswegen war Araz mit dem Hünen in einen Nahkampf verwickelt, anstatt seine Waffe zu benutzen.
Zähneknirschend griff sie das Schwert an ihrem Rücken. Die schwarze Klinge glänzte unheilvoll im kargen Licht der sternenlosen Nacht. Beim vorausrennen hechtete sie über Michael hinweg, erreichte den Bären an dessen Rücken, jagte die Klinge mit einem gezielten Hieb durch seinen Rücken – so zumindest der Plan. Doch die Haut des Bären war ungewöhnlich dick, bot selbst der schwarzen Klinge ein echtes Hindernis. Sie drang nicht weit genug ein, um echten Schaden anzurichten. Alles was Rove erreichte, war ein weiteres Aufjaulen des Bären – und sie könnte schören, er klang auch wirklich wie einer. Wütend fuhr der Hüne zu ihr herum, vergaß in seiner Wut für einen Augenblick den Dämon zu seiner Seite.
Araz nutzte die Chance.
Eine Klauenbesetzte Hand fuhr an der Kehle des Bären entlang, hinterließ tiefe, blutige Spuren und aus den Schreien des Hünen wurde ein klägliches Gurgeln und Wimmern.
Der Bär ging langsam aber sicher in die Knie und gab den Blick auf Araz frei, der mit einem erschreckend zufriedenen Lächeln und glühenden Augen hinter ihm stand. Die Klauenbesetzte Hand noch erhoben, benetzt mit frischem Blut.
Für einen Moment war alles still. Das Glucken und Gurgeln aus der Kehle des Bären ebbte langsam ab, so wie das Leben aus seiner Kehle floss. Araz trat langsam zu Rove heran, während sie ihr Schwert aus dem Rücken des Bären zog. Erst jetzt, wo es plötzlich so ruhig geworden war, nahm sie die Stimme in ihrem Ohr richtig wahr.
„Rove? Rove? Ist alles in Ordnung? Rove?!“
„Alles in Ordnung“, antwortete Rove langsam und sah über die Leiche des Bären – ihr Monitor bestätigte seinen Tod – und über den reglosen Körper des Vampirs.
„Unterstützung ist unterwegs. Wir-“
„Unterstützung wird nicht benötigt. Schickt ein Aufräumteam. Ein Toter, ein Gefangener.“
„Alles klar. Wir schicken ein Team los.“
Rove ratterte noch kurzen Statusbericht durch, der das eben Geschehene beschrieb, wie es das Protokoll wollte. Und auch, um im Quartier gleich klarzumachen, dass es keinen Verratsfall durch Araz gab. Sie wusste, dass so manche nur darauf warteten, dass etwas derartiges passierte.
„Alles klar“, tönte es diesmal durch den Funk. „Sobald das Aufräumteam da ist, sollt ihr euch ins Quartier zurück begeben.“
Damit wurde die Funkdurchsage beendet.