Was sie auf der Aufzeichnung sahen, übertraf alle Vorstellungen, die sie zu dem Angriff hatten.
„Anath an urah Aolea ´tal nar weh“, drang Rayyas Stimme weiter durch die Kommunikatoren.
„Dasselbe wie auf Aolea“, übersetzte Araz grob, als er Williams Stirnrunzeln bemerkte.
Ein leises „Ja“ wurde bestätigend durch die Tonübertragung gehaucht, bevor Rayyas zittrige Stimme wieder abbrach.
William nickte, die Kiefer hart übereinander gepresst und den Blick immer noch auf die Bildschirme gerichtet. Er schien Rayyas Wissen – oder war es eine Erinnerung? – zu teilen.
Araz sah ebenfalls wieder auf die Bildschirme. William hatte einige Minuten zurückgespult und ließ die Aufnahmen erneut abspielen.
Es war tatsächlich kein Feind in den Stützpunkt eingedrungen. Alles, was hier geschehen ist, wurde durch die Soldaten hier selbst verursacht. Nicht alle von ihnen, doch ein Teil, gerade genug, um Chaos zu stiften.
Wie aus dem Nichts hatte gut ein Drittel der Besatzung damit begonnen, die restlichen Soldaten und … ebenso die Zivilisten… anzugreifen. Der Angriff kam so überraschend und mit solch einer Gewalt, dass die restliche Besatzung, trotz der Überzahl, nicht in der Lage war, den Angriff rechtzeitig abzuwehren. Sei es aus Schock oder…
Als wäre dieser Ort nicht bedrückend genug, breitete sich eine angespannte Stille aus.
William hatte den Befehl gegeben, dass sie sich alle Bodengruppen in den Barracken einfinden sollten. Sie hatten alle Bereiche des Außenpostens abgesucht, mit eigenen Augen oder über Scans, die nachwiesen, dass es hier nichts und niemanden mehr zu retten gab. William sendete einen kurzen Bericht an den Hauptstützpunkt und informierte die weiteren Einsatztruppen, die sich auf den Weg befanden. Es gab keine Rettungsmission mehr. Alles, was sie hier noch tun konnten, war… aufräumen. Sich um die Gefallenen kümmern. Herausfinden, wie es zu all dem kommen konnte.
Doch es gab nichts, keine Hinweise, keine Aufnahmen, auf denen sie irgendetwas anderes erkennen konnte, außer dem Unvermittelten Angriff aus den eigenen Reihen.
Anath an urah Aolea ´tal nar weh, wiederholten sich Rayyas Worte in Araz‘ Kopf. Also war das hier bereits der zweite Ort, an dem sich eine solche Katastrophe ereignete?
Er sah zu William, der unweit von ihm Kreise durch den Raum ging, die Stirn in tiefe Falten gelegt.
„Draußen ist ein Sturm aufgezogen. Wir können also nicht zurück zur Yarita. Das Eintreffen der Einsatztruppen wird sich verzögern, bis sich das Wetter beruhigt hat. Solange werden wir hier warten müssen.“
Das Warten war fast schlimmer, als diesen toten Ort nach irgendetwas Lebendigem abzusuchen. William, Ashley, James und Rove waren allesamt ungewöhnlich still. Raveen war außer Araz selbst der einzige, dem man kaum eine Regung anmerkte. Es war sicher besser, hier versammelt zu warten, anstatt weiter durch das offene Massengrab zu spazieren, bis die Verstärkung ankam. Auch, wenn es allen ein mulmigen Gefühl bereitete, nicht zu wissen, was den plötzlichen Angriff ausgelöst hatte.
Durch den Raum verstreut hingen sie den eigenen Gedanken nach. Ab und an hörte man William mit Rayya reden oder mit Ashley, die bei ihm stand. James und Raveen standen bei den Fenstern und sahen hinaus in den Sturm. Rove stand auf der anderen Seite des Raumes, den Blick ebenfalls auf die Fenster gerichtet.
„Hey. Alles in Ordnung bei dir?“, fragte er Rove, während er sich ihr langsam näherte.
„Bestens“, presste Rove zwischen ihren Zähnen hervor, während sie die Arme vor der Brust verschränkte und sich mit dem Rücken gegen die Wand sinken ließ.
„Bist du dir sicher?“, hakte Araz nach.
Roves scharfer Blick schnellte zu ihm, ihre großen Augen bohrten sich geweitet in seine. „Wir alle wissen, was dieser Job für Gefahren mit sich bringt.“ Sie wandte ihren Blick so abrupt ab, wie er sich auf ihn gelegt hatte. Trotz der Worte erkannte er die Wut in ihrem Gesicht. Und den Schmerz.
„Es tut mir leid. Was hier passiert ist. Das muss schwer sein. Trotz allem.“
Sie sah wieder zu ihm hinüber. Das Gesicht immer noch eisern, doch ihre Augen wirkten nicht mehr so hart. „Danke“, murmelte sie leise.
„Während wir warten… willst du reden?“
„Worüber?“
„Vorhin. Oben.“
„Ist das dein Ernst? Hier, jetzt?“
Araz zuckte die Schultern. „Ich habe den Eindruck, dass ich dich überrascht habe. Erschreckt, viel mehr.“
Rove hob eine Braue und zog ihre Arme enger um sich.
„Das war nicht meine Absicht.“
Sie nickte langsam, doch ihre Finger kniffen immer noch in ihre Oberarme.
„Und du willst das jetzt, hier, besprechen?“
Erneut zuckte er die Schultern. „Ein bisschen Ablenkung könnte ja nicht schaden. Andere Gedanken, als …hier.“
Wieder hob sie ihre Brauen und schüttelte langsam den Kopf, doch für einen Moment zuckte ein Mundwinkel nach oben. „Von mir aus.“
Auch er lächelte kurz und ließ seinen Rücken neben ihr gegen die Wand sinken. „Wieso bist du so erschrocken?“
Erneut schossen ihre Brauen in die Höhe und sie wandte ihr Gesicht zu ihm um, die großen Augen weit geöffnet. Wollte sie nun jede seiner Fragen nur mit diesen Blicken beantworten?
„Was dachtest du, wie ich reagieren würde?“
„Gelassener. Cooler, wie sonst auch.“
Rove kniff die Augen zusammen und hob Fragend eine Braue.
„Hey, wir haben geflirtet und bisher hattest du deinen Freund kein einziges Mal erwähnt. Kam das wirklich so überraschend?“
Er beobachtete, wie Roves Kiefer dichter aufeinander pressten und sich ihre Finger in ihre Oberarme krallten.
„Es tut mir leid, wenn ich dich mit der Frage verletzt habe“, setzte er etwas ruhiger an. „Hör zu. Wir sind beide erwachsen. Es war nur eine Frage, du kannst jederzeit einfach nein sagen und alles bleibt in bester Ordnung.“
Eine Weile schwiegen beide, ihre Blicke jeweils auf ihr Gegenüber gerichtet. Bis Rove schließlich seufzte und ihre Schultern entspannte. „Mir tut es leid. Ich … war nur überrascht und…“
„Schon okay“, meinte Araz mit einem Zucken der Brauen, während er den Blick zu den Fenstern wandte. Dahinter wütete noch immer der Sturm und es sah nicht so aus, als würde er bald vorüber ziehen.
„Ich habe vielleicht etwas überreagiert. Und ich hätte… meinen Freund auch etwas früher erwähnen sollen.“
„Schon okay“, meinte Araz erneut und sah sie diesmal wieder direkt an. Ein bisschen zu direkt, vielleicht. Sie wirkte unruhig, nervös.
„Auf die Gefahr hin, dass ich die Grenzen wieder übertrete, aber… Du scheinst nicht besonders glücklich zu sein, wenn du ihn erwähnst.“
„Hm?“, entwich es ihr mit einem Blick aus großen Augen, hinter denen ein ganz anderer Schmerz zu warten schien, als zuvor.
„Möchtest du mir von ihm erzählen?“