„Rove!“
Zuerst schien es, als würde sie ihn ignorieren und einfach weiterlaufen, doch nach ein paar weiteren Schritten hielt sie inne und wandte sich um.
„Was gibt’s?“, fragte sie mit in die Seiten gestemmten Armen.
„Schön zu sehen, dass es dir besser geht.“
Er trat etwas näher heran und ihre Arme wanderten von ihren Seiten vor ihre Brust, fest verschränkt. War sie denn immer noch so angespannt, wenn er in ihre Nähe kam? So verärgert? Nach ihrem letzten Gespräch hatte er den Eindruck gehabt, es wäre besser geworden, aber…. So?
„Danke“, antwortete sie knapp und hob die Brauen, wartete offensichtlich, ob noch mehr von ihm kam.
„William hat dich sicher schon gebrieft. Also weißt du, dass wir auf dem Weg nach Tornum sind?“
Sie nickte langsam, eine Braue immer noch erhoben, die Lippen dicht übereinandergelegt.
„Wurden die Leute, die ihr vermisst habt, bereits gefunden?“
„Was?“ Die Anspannung in ihr ließ für einen Moment ab. Sie hob ihre Brauen, diesmal ohne ein bedrohliches Funkeln in den Augen.
„Überrascht, dass ich mich daran erinnere?“
„Ein bisschen“, gab sie zu und musterte ihn mit gerunzelter Stirn. „Nicht, dass du dich daran erinnerst, aber dass du dich dafür interessierst.“
Nun war er es, der die Brauen hob und die Arme vor der Brust verschränkte. Nur für einen Moment. Dann schüttelte er den Kopf. „Eure Leute sind jetzt auch meine Leute“, meinte er und lächelte schmal. „Wenn sie immer noch vermisst sind und wir uns ohnehin dort befinden, findet sich vielleicht auch die Gelegenheit, nach ihnen zu suchen.“
Auch über Roves Lippen stahl sich ein Lächeln. Größer, ehrlicher und es spiegelte sich in ihren Augen. „Das ist sehr aufmerksam von dir.“
„Hm…“, meinte Araz und nickte langsam.
„Hör mal“, begann er schließlich, nachdem es für einen kurzen Moment still geworden war. „Ich hoffe, dass zwischen und alles in Ordnung ist. Ich habe das Gefühl, ich habe dich verletzt und… Einen weiteren Riss zwischen uns hinzufügen, war das letzte, was ich wollte“, wiederholte er, wie er es zuvor vor Rayya gesagt hatte.
Für einen kurzen Augenblick sah es so aus, als würde das Lächeln von ihrem Gesicht verschwinden. Es blieb, nur war es weniger freundlich als zuvor. Sie nickte, langsam, die Arme wieder fester um sich gezogen. „Alles gut“, meinte sie schließlich. „Du willst also körperlich mit mir werden, ja?“
Oh weh, das klang sehr verdächtig nach einer Fangfrage.
Und er bezweifelte, dass es darauf eine richtige Antwort gab. Also sah er sie nur an, die Brauen fragend erhoben, die Arme vor der Brust verschränkt.
„Lass uns das machen“, meinte Rove und nickte den Gang entlang.
Er führte nicht zu den Quartieren.
„Vielleicht nicht die Art von Körperlichkeit, die du dir vorgestellt hast, aber hey, besser als nichts, oder?“
Es klang schon wieder nach einer Fangfrage. Ihr erhobenes Kinn, die zusammengekniffenen Augen und hochgezogenen Brauen verbesserten diesen Eindruck kein bisschen.
Auch er kniff die Augen zusammen und hob die Brauen. „Was hast du vor?“
„Komm mit“, meinte sie und nickte wieder hinter sich. Das Lächeln, das dabei auf ihren Lippen lag, wirkte ebenso bedrohlich wie das Funkeln in ihren Augen.
Sie wandte sich um und ging voraus, ohne eine Antwort abzuwarten. Nach einem kurzen Zögern trat er hinterher. Was blieb ihm auch anderes übrig?
Der Weg, den sie gingen, führte nach unten in den Hangar. Ihm schwante nichts Gutes.
Wieder wurde ihm bewusst, wie gut sie ihn im Griff hatte.
Zu seiner eigenen Überraschung stellte er fest, wie wenig ihn das störte.
Nicht, dass er gerne seine eigene Dominanz aufgab, im Gegenteil. Aber dass es ihr immer wieder gelang, sich über ihn zu erheben und ihn in der Hand zu haben, faszinierte ihn auf eine Art.
Sie hatte ihm das Leben gerettet, ihn verschont, zumindest. Auch wenn sie, ihrerseits, den Vorteil gehabt hatte, dass er bereits verwundet gewesen war. Dennoch. Das war ihr erster Punkt gewesen.
Danach, dass sie ihm trotz seines Verrats eine weitere Chance gegeben hatte.
Dass sie in der Lage war, ihn auch körperlich zu überwältigen, wie sie es bei seiner Ankunft direkt deutlich gemacht hatte. Mit entsprechenden Waffen und Ausrüstung zwar, aber das musste auch gekonnt sein.
Dass sie ihn hierher gebracht hatte und damit seine Chancen, auch von den anderen angenommen zu werden, erweitert hatte.
Dass sie ihn dazu provoziert hatte, sich ihr zu nähern – und er nun diesen Riss wiedergutmachen musste.
Sie fand immer wieder einen Weg, ob bewusst oder unbewusst.
Vielleicht war er auch zu sanft. Zu gutmütig, zu interessiert daran, sich gut unter den anderen einzugliedern. Er könnte sich all die Mühe sparen, die anderen ignorieren und sich nur auf die gemeinsame Arbeit beschränken. Was brauchte er auch mehr?
Wie auch immer.
Dieses Kräftemessen, dieses Ränkespiel, das zwischen ihnen entstanden war, bereitete ihm weit mehr Spaß, als er sich hätte vorstellen können und er ließ sich gerne darauf ein.
Im Hangar angekommen steuerte Rove auf den ausgepolsterten Trainingsbereich zu.
„Du willst trainieren? Jetzt? Vor der Mission?“ Wollte sie anhand des Trainings ihren Ärger über ihn auslassen? Oder stammte ihre Anspannung von etwas ganz anderem und er hatte einfach das Pech, ihr über den Weg gelaufen zu sein?
„Keine Sorge, wir können aufeinander aufpassen, oder? Außerdem heilst du schnell, dachte ich“, beschwichtigte sie mit einem kurzen Zwinkern am Ende.
Ja. Er schon. Sie nicht. Und auch wenn er schnell heilte, Schmerzen spürte er trotzdem.
„Du schießt doch nicht wieder auf mich, oder?“
„Nein.“
„Keine Klingen?“
Rove lehnte sich zurück und hob eine Braue. „Nein. Keine Waffen. Wir gehen kein Risiko ein, bevor die nächste Mission startet. Daher verzichte bitte auch auf deine… übermenschlichen Fähigkeiten“, presste sie zwischen den Zähnen hindurch. „Was? Hast du Angst?“
Araz musterte sie mit denselben Blick, und vorgeschobenen Kinn.
„Okay gut, dann lass uns loslegen“, meinte er schließlich. „Ich bin kein Sandsack, weißt du?“, ergänzte er.
„Und ich bin keine Aufblaspuppe. Also kann es losgehen?“
Auf ihren Kommentar hob er nur fragend die Brauen. Was auch immer sie damit meinte, es war bestimmt wieder auf seine… Anfrage… bezogen.
„Bist du soweit?“, fragte sie mit erhobenem Kinn und nickte zu den Matten.
Sein Blick wanderte kurz über Rove, die wie immer bereits in bequemer, sportlicher Kleidung steckte. Genau wie er. Er nickte und trat auf die Matten.
James, der ebenso wieder auf den Beinen und am trainieren war, unterbrach seine Klimmzüge um die beiden mit einem Nicken zu begrüßen, bevor er fortfuhr und sie vom Rande aus beobachtete.
Rove startete den ersten Angriff ohne weiteres Zögern. Ein Tritt zu seiner Seite. Gezielt, kraftvoll und hätte sicherlich geschmerzt, hätte er ihn nicht abgewehrt. Doch er war schneller.
Mit ihren weiteren Angriffen verhielt es sich ähnlich. Sie führte aus, er wehrte ab. So setzte es sich fort. Entspannt, locker.
Doch so hielt es sich nicht. Mit der Zeit nahm die Aggressivität zu und obwohl das Training seinen freundlichen Rahmen behielt, kamen sie beide ins Schwitzen. Er war immer wieder aufs Neue überrascht, wie geschickt Rove sich trotz des ungleichen Kräfteverhältnisses durchsetzte. Nicht mit eigener Kraft, sondern mit Wendigkeit und List. Mehr als einmal holte sie ihn von den Beinen, indem sie ihm das Gleichgewicht raubte und ebenso hielt sie ihn mehr als einmal fest im Griff, dicht um ihn gewandt, sodass ihm beinahe die Luft zum Atmen wegblieb.
Und langsam verlor die Sache an ihrem Reiz. Nicht, weil es ihn störte, überwältigt zu werden. Nein. Unter anderen Umständen, sähe dieser Kampf ganz anders aus. Doch je weiter sie das ‚Training‘ führten, desto grober wurden ihre Angriffe und desto mehr verlor sie ihre Rücksicht.
So wie jetzt.
Sie hing an seinem Rücken, ihre Beine dicht um seinen Oberkörper gelegt, die Arme fest um seine Stirn und seine Kehle geschlungen.
„Okay“, keuchte Araz und versuchte, sie von seinem Rücken zu ziehen. „Bist du jetzt fertig?“
Rove, die ebenfalls keuchte, nickte und lockerte den Griff. Ihr selbstzufriedenes Grinsen konnte er zwar nicht sehen, aber sie konnte das lautlose, triumphierende Lachen in ihrem Atem hören.
„Gut“, meinte Araz. Und zog sie mit einem festen Griff von seinem Rücken. Rove prallte rücklings auf die Matten, unfähig sich zu erheben, da Araz sie mit einer Hand auf ihrem Brustbein am Boden hielt.
„Was zum-? Was soll das?“, zischte Rove und versuchte seinen Griff zu lösen. Ohne Erfolgt. Sein Arm war mit einem mal wie aus Stahl. Schwer und unbeugsam. „Lass mich los!“
Araz blieb völlig ungerührt neben ihr sitzen, die Beine angewinkelt, den freien Arm darüberlegt und sah amüsiert zu Rove hinunter. „Du hattest deinen Spaß, jetzt lass mir meinen.“
„Spaß?“, fauchte sie wütend und begann umher zu strampeln, nach ihm zu greifen, sich irgendwie unter seinem Griff hervor zu winden.
Araz zuckte die Schultern. Und konnte sich ein trockenes Schmunzeln nicht verkneifen. „Nur, damit du nicht vergisst, wie ein Kampf wirklich ausgehen würde, ohne deine Waffen und deine ganzen anderen Tricks.“
Rove murrte und zischte wütend, versuche nach ihm zu treten, weiterhin ohne Erfolg.
Er wartete geduldig, bis sie endlich aufgab.
„Geht es dir jetzt besser?“, fragte er, während er seine Hand hob um sie gehen zu lassen.
„Besser?“, fauchte sie wütend und rutschte ein Stück von ihm ab, wo sie ebenfalls sitzend verharrte. Ihre großen Augen suchten wütend funkelnd seine.
„Hast du deinen Ärger ablassen können?“
Rove schnaubte, wand ihre Arme um die Knie und legte für einen Moment ihren Kopf darauf ab, bevor sie wieder aufsah. „Was sollte das?“, knurrte sie wütend, anstatt zu antworten.
Araz hob zur Antwort zuerst nur eine Braue. Also Nein.
„Fühlt sich nicht gut an, so behandelt zu werden, oder?“
Immer noch wütend hob sie fragend die Brauen.
„Ich habe dir gesagt, ich bin kein Sandsack. Wenn du deinen Ärger irgendwo rauslassen musst, such dir etwas anderes. Oder sag es ganz offen. Aber nicht so.“
Offensichtlich überrascht weiteten sich ihre Augen. Sie öffnete die Lippen, doch keine Worte entwichen ihrem Mund. Zumindest im ersten Moment.
„Tut mir leid…“, drang es schließlich nach außen. Leise und mit einem immer noch deutlich irritierten Unterton.
„Schon gut“, brummte er und ließ seinen Rücken auf die Matte gleiten. „Was war denn los?“
Aus den Augenwinkeln nahm er wahr, wie sie die Schultern zuckte und legte ihre Stirn wieder über ihre Arme, immer noch schnaufend nach der Anstrengung.
„Bist du immer noch sauer auf mich?“
Wieder dauerte es eine Weile mit der Antwort. Sie hob ihren Kopf, drehte ihn langsam hin und her, zuckte wieder die Schultern.
„Wenn du immer noch sauer auf mich bist, ist das die eine Sache. Aber das heißt nicht, dass du deinen Ärger einfach auf mir auslassen solltest. Ich komme auch nicht einfach zu dir und nehme mir, was ich will.“
Er bemerkte, wie ihr Blick zu ihm wanderte, so drehte er auch sein Gesicht zu ihr. Ihre Augen trafen sich, blieben aufeinander haften. Hinter dem sanften, hellen Grün ihrer Iriden lag so viel auf einmal, dass er kaum erkennen konnte, welches Gefühl dort überlagerte. Wut? Scham? Furcht? Betroffenheit?
„Es tut mir leid“, wiederholte sie und senkte den Blick zu Boden. „Ich… ich weiß nur nicht, wie…“
„Wie wir miteinander umgehen sollen?“, ergänzte er ihre Frage.
Sie nickte.
„Du hast keine Angst vor mir, oder?“
Ein kurzes Schulterzucken und ihr Blick glitt langsam zur Seite.
„Wofür hältst du mich eigentlich? Ich bin kein Monster“, meinte er daraufhin. Ein wenig schärfer als nötig, aber auch er war verärgert. Vielleicht auch etwas verletzt, wenn er tiefer in sich sah. „Ich habe kein Interesse an Frauen, die mich nicht auch wollen. Ich hatte es dir bereits gesagt: Wir sind beide erwachsen und wissen, was wir wollen und was nicht. Wir können unsere eigenen Entscheidungen treffen. Wenn es nichts für dich ist, sag einfach Nein und alles ist in bester Ordnung.“
Er wartete, bis sie wieder zu ihm sah und langsam nickte.
„Vertragen wir uns?“
„Bist du dir sicher?“, hakte er nach.
Rove nickte erneut, in ihre Knie hinein, aber er hatte es gesehen.
Er seufzte und lehnte sich ein Stück zurück. „Ich wollte wirklich nicht, dass schon wieder Ärger zwischen uns steht.“
„Da steht kein Ärger“, meinte Rove und blickte wieder auf. Mit einem schmalen Lächeln, aber ohne das wütende Funkeln in ihren Augen.
Er lächelte ebenfalls, vorsichtig. „Freunde?“
„Nah“, meinte Rove und verzog ihr Gesicht zu einer abwehrenden Grimasse. „Kumpel“, meinte sie stattdessen, grinste und boxte ihm sachte in die Schulter. „Freunde dauert noch ein bisschen länger.“