Sie konnte nicht schlafen.
Egal was sie tat, wie bequem sie auch lag, es half nichts.
Bilder und Gedanken stahlen sich immer wieder vor ihre Augen. Selbst wenn es ihr gelang, sie zur Seite zu schieben und sie nicht zu beachten, selbst wenn ihr Körper sich endlich entspannt und ruhig genug anfühlte, löste sich alles mit einem tiefen, intensiven Kribbeln unter ihrer Haut wieder auf. Mit einem Mal spürte sie ihr Blut viel deutlicher durch ihren Körper pumpen, das Kribbeln löste starke, durchdringende Schauer unter ihrer Hautoberfläche aus. Zu intensiv und penetrant, um darüber einschlafen zu können.
Das schlimmste daran: Es ließ sie nicht nur immer wieder von Neuem hochschrecken. Jedes Mal, wenn sie kurz vorm Einschlafen gewesen war und so grob wieder herausgerissen wurde, reizte es sie mehr. Sie spürte frische, heiße Wut in sich aufkommen und die Aggressivität, die sie mit sich brachte. Wut und Aggressionen gegenüber allem, was sie vom Schlafen abhielt: Dem sanften Rauschen des Triebwerks und der Belüftungsanlagen, das mit einem Mal sehr viel lauter als gewöhnlich Klang, den kleinen Lichtpunkten verschiedener, entfernter Anzeigen, die plötzlich unangenehm hell wirkten, ihrem eigener Verstand, der sich einfach nicht beruhigen wollte und ihrem Körper, der statt Ruhe zu suchen alle Funktionen hochfuhr und sie mit allen Mitteln aus dem Bett treiben wollte.
Reizüberflutung, dachte Rove, weil der Schlaf schon so lange auf sich warten lässt. Doch auch diese Gewissheit ließ die Unruhe in ihr nicht nachlassen. Sie zog die Decke wieder höher, die sie zuerst von sich geschoben hatte. Der Schweiß sammelte sich bereits zwischen ihren Brüsten, doch ihr war schon wieder kalt geworden. Auch hier konnte sich ihr Körper nicht entscheiden, was er wollte: Wärme oder Abkühlung?
Wieder jagte ein tiefer, rauer Schauer durch ihre Arme, durch ihre Beine, bis hinunter in ihre Zehenspitzen. Es reicht.
Wütend stieß sie die Decke von sich und hielt sich gerade noch davon ab, ihre Faust gegen die Wand zu ihrer rechten Seite prallen zu lassen. Sie wollte die anderen nicht wecken, auch wenn es sie alle Kraft kostete, nicht die Beherrschung zu verlieren.
Sie öffnete die Absperrung ihrer Koje zur linken Seite und stieg hinaus. Vielleicht war Jonathan noch wach und konnte ihr helfen. Doch nach einem Blick auf die anderen Kojen, fast alle verschlossen, stellte sie enttäuscht fest, dass auch er sich bereits schlafen gelegt hatte. Für einen Moment überlegte sie, ob ihr Zustand sie berechtigte, ihn aus dem Schlaf zu reißen.
Sie schüttelte den Kopf, vertrieb den Gedanken.
Auch jetzt, im Stand vor den Kojen, spürte sie noch die unangenehmen Schauer in ihren Gliedmaßen. Mit zusammengepresstem Kiefer griff sie nach ihrer bequemen Alltagskleidung und stapfte ins Bad. Wenn sie schon nicht schlafen konnte, würde sie die Zeit anderweitig verbringen, anstatt abzuwarten, wie viele Male des Hochschreckens es noch brauchte, bis ihr der Geduldsfaden endgültig reißen würde. Sie stellte sich nur kurz unter die Dusche, um den gesammelten Schweiß abzuwaschen, bevor sie sich umzog.
Die Unruhe in ihren Beinen trieb sie in den Hangar und zum Trainingsbereich. Vielleicht hatte sie eine Chance auf wenigstens einen kurzen Schlaf, wenn sie die überschüssige Energie abgebaut hatte. Aus Erfahrung wusste sie, dass es nur selten wirklich half… aber einen Versuch war es wert. Und selbst wenn sie am Ende keinen Schlaf finden würde, wenigstens hätte sie die Zeit vernünftig verbracht.
Anstatt direkt ins das Kampftraining einzusteigen, begann sie damit einige Runden durch den Hangar zu laufen. Zuerst langsam, mit jeder Runde etwas schneller. Ganz ohne Musik, denn im Moment war ihr die Stille lieber. Nur durchbrochen von ihren Schritten und dem gleichmäßigen pulsierenden Rhythmus der Maschinen. Mehr Stille konnte sie auf der Yarita auch nicht erwarten.