Gut, dann eben nicht, dachte Rove, als sich die Tür zum Badezimmer mit einem sanften Zischen vor ihrer Nase schloss.
Sie trat den kurzen Flur entlang, der direkt in das Crew-Quartier mündete. Zufrieden stellte sie fest, dass sich niemand außer ihr hier aufhielt. Sie hatte überlegt, sich in den größeren Gemeinschaftsraum zu setzen, doch wenn niemand hier war, würde sie dort bestimmt jemanden vorfinden. Also blieb sie hier und ließ sich auf einem der beiden Sessel gegenüber der Bunk-Betten nieder.
Sie hatte beinahe wieder vergessen, dass Araz noch im angrenzenden Bad war, als sich die Tür öffnete und er begleitet von einer Wolke warmen Dampfes das Quartier betrat. Noch im Flur zwischen Bad und Quartier stehend, sah er einmal durch den Raum, so, wie Rove es vorher selbst getan hatte und rümpfte anschließend die Nase. Vielleicht überlegte er sogar dasselbe wie sie vorher und war enttäuscht, dass er bereits jemanden im Quartier vorfand.
Rove lenkte ihren Blick wieder auf das Tablet, hörte aber nach wenigen Augenblicken, wie er näher kam. Mit einem langen Seufzen ließ er sich in dem zweiten Sessel gegenüber von Rove nieder, ließ sich tief in die Lehne sinken, die Arme über die Lehne hängend und die Beine lang ausgestreckt.
„Was machst du?“
„Ach? Jetzt willst du reden?“, fragte Rove und senkte das Tablet.
Araz zuckte die Schultern und wandte den Blick durch den Raum.
„Ich lese“, antwrtete Rove schließlich mit dem Heben ihrer Brauen, bevor sie ihren Blick wieder auf das Tablet richtete. Wenn er sich nicht entscheiden konnte, ob er nun reden wollte oder nicht, würde sie für ihn entscheiden, dass sie ihre Aufmerksamkeit lieber anderen Dingen widmete.
„Mhm“, brummte Araz leise, während er weiter durch den Raum stierte. Er wirkte ungewöhnlich unruhig, so wie sein Blick ständig umher wanderte. Seine Füße zuckten auf und ab und seine Finger trippelten über der Sofalehne.
„Willst du mir jetzt erzählen, was los war und wieso du so verschwitzt hier angekommen bist?“
„Neugierig, ja?“
„So neugierig wie du?“, gab Rove auf seinen plumpen Kommentar zurück.
Sie blickte kurz auf und sah, wie er die Augen verdrehte. Doch als er ihren Blick auffing, seufzte er verhalten zwischen die Zähne hindurch und ließ seinen Kopf wieder entspannt in die Lehne sinken.
„Raveen und James wollten trainieren. Spontan.“
Ein Schmunzeln legte sich über Roves Lippen und ihre Augen strahlten ihn spitzbübisch an. „Anstrengend, ja?“
Araz zuckte die Schultern. „Es ist schwierig“, setzte er an und schüttelte kurz den Kopf. „Einzuschätzen, wie weit ich gehen kann.“
Das war nicht ganz, was Rove als Aussage erwartet hatte, doch sie glaubte zu verstehen, was er meinte. Es erinnerte sie an die Trainingskämpfe, die sie schon mit ihm hatte. Als Überläufer und Dämon noch dazu, war es für ihn nicht leicht, in einen Kampf mit Kameraden zu gehen. Zu viel Zurückhaltung und das Misstrauen würde steigen. Zeigte er seine volle Kraft, könnte er sie einschüchtern – zu Recht – und doch wieder Misstrauen schüren. Das hatten sie im Stützpunkt schon diskutiert. Mittlerweile war es vielleicht schon einfacher geworden. Dort zumindest. Doch hier, in der neuen Einheit mit den neuen Leuten, da begann er wieder von vorne.
„Mhm“, war alles, was Rove dazu von sich geben konnte. Das und ein vorsichtiges Lächeln.
Auch seine Mundwinkel hoben sich kurz, bevor sie wieder nach unten schnellten und er ein weiteres Schnauben ausstieß. Er zupfte an seinem Pullover, ließ etwas kühle Luft an den Oberkörper kommen. War ihm immer noch warm? Vielleicht vom Duschen, wenn sich der Körper durch das Wasser erhitzt hatte.
Mit dem Aufblitzen seiner Haut unter der Kleidung, erhaschte Rove auch wieder einen Blick auf die Tattoos, die seinen Körper zierten. Es war das zweite Mal, dass sie sie zu Gesicht bekam. Abgesehen von den Teilen, die sich über Hals, Kinn und Hände zogen. Das Tattoo und ein kleines Stück von seinem schlanken, flachen Bauch und der Muskulatur, die unter der Haut zu erkennen war.
Okay Rove, du hattest deinen Spaß. Und jetzt schau wieder weg. Ihre innere Stimme triezte sie mit einem höhnischen Tonfall. Sie hatte ja Recht.
„Was liest du?“, wollte Araz wissen und riss sie damit wieder von dem Inhalt ihres Tablets fort. Als sie wieder zu ihm aufsah, lag ein deutliches Grinsen auf seinem Gesicht. Vielleicht hatte er ihren vorigen Blick doch bemerkt.
Rove seufzte und ließ das Tablet abermals sinken. „Nichts, offensichtlich.“
„Was? Lenke ich dich etwa ab?“
„Was willst du eigentlich, Araz?“, fragte Rove, ohne auf den letzten Kommentar und seine neckisch gehobene Braue einzugehen.
Enttäuscht verschwand das Grinsen auf seinem Gesicht. Er schnaubte, ballte seine Hände über den Armlehnen zu Fäusten und malmte mit den Kiefern, während sein Blick durch das Quartier wanderte.
„Ich mag es hier oben nicht. Wie haltet ihr das aus?“
Ah, daher wehte der Wind. Vielleicht hatte seine Hitze auch nichts mit den tatsächlichen Temperaturen zu tun.
„Wie sind kaum zwei Tage hier“, meinte Rove mit gehobenen Brauen.
Ihr Kommentar gefiel ihm offensichtlich nicht. Die Verspannung in seinem Gesicht und in seinen Gliedern nahm zu und es sah so aus, als läge ihm etwas auf der Zunge, doch offensichtlich wollte er seinen Gedanken nicht teilen.
„Entspann dich. Wir werden bald wieder landen.“
Seine Brust senkte sich, während er scharf die Luft durch die Nase ausstieß. „Mhm.“
Mit einem Mal ließ er seine Arme auf die Lehnen fallen und machte Anstalten, sich aus dem Sessel zu heben. Da schnellte Roves Fuß über seine Beine und drückte ihn zurück in seinen Platz. Ebenso entnervt wie irritiert starrte er der jungen Frau ins Gesicht.
„Nachdem du mich nun erfolgreich zur Unterhaltung gedrängt hast, kannst du dir auch anhören, was ich zu erzählen habe.“
Der Blick eisern, hoben sich nur die Brauen. Er war offensichtlich nicht begeistert, blieb aber sitzen und starrte zwischen ihr und ihrem Fuß auf seinem Schoß hin und her.
„Hier“, meinte Rove unbeeindruckt. Das Tablet wieder in den Händen, ließ sie eine holografische Anzeige darüber einblenden. „Ist das nicht wunderschön?“
Zwischen ihnen schwebten Bilder von Bergen, Wäldern, wilden Wiesen und Seen in unberührten Tälern. Grün, grau und blau waren die vorwiegenden Farben. Nebel und Tannen, dazwischen Fels und Wasser. Roves Augen hingen strahlend an den Bildern, die sie eines nach dem anderen einblenden ließ. Obwohl die Bilder alle paar Sekunden wechselten und sie immer neue einblendete, hatten sie alle etwas gemeinsam: Es waren Bilder abgelegener, ruhiger Orte. Unbesiedelt, unberührt. Vielleicht sogar ein bisschen einsam. Aber eben ruhig, friedvoll.
Ob das ihr Ziel gewesen war, konnte Araz nicht genau sagen. Doch die Bilder hatten eine durchaus beruhigende Wirkung auf ihn. Die Anspannung ließ nach und er ließ sich auf die Vorstellung ein, jene Orte gedanklich zu besuchen.
„Moment, nochmal zurück“, unterbrach Araz die unterbrochene Stille.
Rove hob die Brauen und ließ das letzte Bild wieder einblenden. Unter all den anderen Bildern stach es deutlich hervor. Zu sehen war ein gelber Sandstrand mit sanften Dünen vor dem aufgewühlten Meer unter einem grauen, Wolkenverhangenen Himmel. Zugegeben nicht so vollkommen anders als die anderen Bilder und doch, der Ort… eben kein Wald, keine Berge und kein Tal.
„Ich bin kein großer Fan vom Meer“, beantwortete Rove mit einem Seufzen Araz‘ unausgesprochene Frage. „Aber ich kann nicht leugnen, dass es auch etwas Schönes an sich hat.“