Wie angewiesen, tauchte Rayya ein weiteres Mal in ihre Erinnerungen ab. Sie achtete auf ihre Atmung, wie Araz es ihr gesagt hatte und wandte ihren Blick nicht von seinen Augen ab.
Im ersten Moment schien es noch, als würde die Anspannung, die aufkommende Angst, die lauernde Unruhe sie wieder davonreißen. Doch mit einem Mal wurde sie ruhig. Sie fühlte, wie ihre Schultern langsam weich und leicht wurden, spürte die Lehne ihres Stuhls in ihrem Rücken, ihrem Nacken. Sie sah die Bilder und fühlte… nichts.
Doch da war etwas. Eine Gestalt. Versteckt im Schatten, ganz hinten in ihren Gedanken. Zuerst verweilte er dort nur, ruhig und leise. Doch als er ihre Aufmerksamkeit hatte, trat er einen Schritt näher.
Sie wollte zurückweichen und spürte, wie eine tiefe Welle durch sie drang. Ihr Körper zuckte, als die Anspannung zurück in ihre Glieder fuhr und sie konnte beinahe sehen, wie der Schatten gewaltvoll zurückgedrängt wurde. Entfernt hörte sie dabei eine Stimme. „Vertraue mir. Ich werde dir nichts tun. Ich bin nur hier, um zu sehen.“
Sie kannte die Stimme. Irgendwoher. Nur wo?
Araz. Ein Dämon, hallte es durch ihren Kopf. Sie blickte dem Hallen hinterher und bemerkte plötzlich den Schatten direkt neben sich stehen. Das schemenhafte Gesicht blickte zu ihr hinunter, verhüllt in dunkle Schwaden, wie der Rest der Gestalt.
Hallo Rayya.
Seine Stimme war so klar und hell, gleichzeitig so tief und durchdringend. Ein warmes Gefühl durchflutete sie, umhüllte sie von ihrem Kopf bis hinunter zu den Füßen. Sie fühlte sich sicher, geborgen. Jede Angst war verflogen.
Zeig es mir.
Der Schatten wandte sein unwirkliches Gesicht von ihr ab, sah zur Seite. Sie wandte sie ebenfalls um, folgte seinem Blick. Und erinnerte sich.
Auf Anhieb war nichts Besonderes zu erkennen. Da war ein Raum, unscheinbar, wie jeder andere Raum, der noch auf seine Einrichtung wartete. Da standen Tische in seiner Mitte. Tische, mit den Artefakten.
Rayya folgte dem Impuls und ging auf die Tische zu. Sie sah über die Artefakte, suchte. Dann griff sie nach einem der Teile. Es war recht groß und unhandlich.
Geräusche, hinter ihr.
Sie schreckte auf und sah Richtung Tür. Jemand war auf der anderen Seite.
Die Anspannung stieg, sie fühlte ihren Puls ansteigen. Konzentriert dich, Rayya. Nimm es mit. Nimm es und-
Die Tür wurde geöffnet und die Soldaten stürmten herein. Noch bevor sie sich richtig umdrehen konnte, begannen sie bereits zu schießen. Ihr Schutzschild wehrte die Projektile ab. Sie hatte einen Generator bei sich? Ja, stimmt. Den hatte sie vorher von einem der gefallenen Soldaten genommen.
Unwichtig, hallte es durch ihren Kopf.
Sie sah dem Hall hinterher, bemerkte den Schatten neben sich. Er sah auf ihre Hände und sie fühlte seine Fingerspitzen darüber streifen. Da war es, das Artefakt.
Die Anspannung, der Druck war zurück.
Rayya versuchte zu fliehen, während die drei Männer sie zu umkreisen versuchten. Einer packte sie an ihrem Handgelenk, doch sie war schnell und schaffte es, sich loszureißen, bevor die anderen sie erreicht hatten. Sie stürzte sich aus dem Raum. Die Männer wollten ihr folgen, doch Rayya war schneller und hatte die Tür verriegelt, bevor sie ihr folgen konnten.
Die Bilder verschwammen, verzerrten sich, drohten im Schwarz zu verschwinden.
Und plötzlich saß sie wieder in dem Raum, sah in Araz Augen, sah zu Raveen, Ashley, Rove, William.
„Ist alles in Ordnung?“, fragte Jonathan besorgt. Sie sah, wie er sich von seinem Stuhl erhob und auf sie zukam, doch sie nahm ihn erst wirklich war, als er vor ihr stand und ihr seine Hand auf die Schulter legte.
„Ich weiß, was sie gesucht haben.“
Zumindest glaubte sie das. Und hoffte inständig, dass sie falsch lag.