Rayya hatte den Einfall, dass der plötzliche Angriff aus den eigenen Reihen mit einem Gegenstand, einem sonderbaren Artefakt, das sie in Ruinen unter Aolea gefunden hatten, zusammenhängen könnte.
Erst kurz bevor der erste Angriff auf Aolea hatte kurz nach der Findung der Ruinen begonnen. Kurz, nachdem sie die Artefakte an die Oberfläche getragen hatten. Ob darin wirklich ein Zusammenhang bestand, konnte sie nicht bestätigen. Dafür hatte sie darüber nicht genug in Erfahrung bringen können.
Dass sie sich überhaupt daran erinnert hatte, war Zufall gewesen. Oder eine Eingebung?
Ihr wollten die Bilder, die sie von der Mission auf Berel in die Yarita übermittelt bekommen hatten, nicht aus dem Kopf. Es beschäftigte sie beinahe durchgehend in den letzten Tagen. Es begann, wenn sie aufwachte, folgte ihr bei der Morgenroutine, beim Kleidung wechseln, Schuhe anziehen, Zähne putzen, verdarb ihr das Frühstück, rückte ab und an in den Hintergrund, wenn sie sich mit anderen Dingen beschäftigte, tippte sie aber immer wieder auf ihre Schulter, um nicht völlig vergessen zu werden. Und wenn sie sich dann umwandte, um nachzusehen, riss es sie unvermittelt mit.
Sie dachte zurück an den Tag, an dem es geschehen war. Ihrem letzten Tag auf Aolea.
In dem Raum, der direkt in die Ausgrabungen mündete, herrschte reges Gedränge. Einige Neugierige versuchten einen Blick auf den Fund zu erhaschen, doch von hier aus konnte man noch nichts außer einem großen, erdigen Loch weiter abwärts hinter einem Flur erkennen. Bewaffnete Soldaten sorgten dafür, dass sie nicht näher kamen und hielten die Arbeiter streng auf Abstand.
"Und was jetzt", fragte Rayya und stemmte die Hände in die Hüfte.
Darrinn zuckte mit den Schultern und kratze sich nachdenklich am Hinterkopf. "Bis gerade eben waren noch keine Soldaten hier. Wir kommen wohl zu spät. Immerhin haben wir es versucht."
"Dafür habe ich meine Zeit verschwendet?"
"Jetzt sei nicht so böse. Die kleine Pause hast du ohnehin gebraucht."
Wirklich böse war sie nicht, als sie die Gänge zurück zu ihren Arbeitsplätzen trotteten. Ja, sie war dankbar für die Ablenkung gewesen. Dadurch hatte sie erst gemerkt, wie verspannt sie die ganze Zeit über gewesen war. Sie nutzte die Zeit um sich ausgiebig zu strecken und zu dehnen. Vielleicht wollte sie sich noch einen Kaffee holen, bevor sie zurück in ihren Container ging. Natürlich war es schade, dass es sich letztlich nicht gelohnt hatte, zur Ausgrabungsstätte zu eilen. Diesen kleinen Abstecher konnte sie wohl getrost aus ihren Gedanken verbannen. Wenn sie etwas darüber erfahren wollten, müssten sie wohl offizielle Nachrichten abwarten.
Eine Sache wollte ihr aber nicht aus dem Kopf. Gerade als sie sich wieder zum Gehen gewandt hatten, konnte sie noch sehen, wie zwei Arbeiter – zwei ihrer Forscher? – von zwei Soldaten begleitet ein paar Gegenstände aus der Ausgrabungsstätte trugen. Man hatte zwar nicht allzu viel erkennen können, doch bei einem der Artefakte hätte Rayya gerne etwas näher hingesehen. Sie wusste nicht warum, aber es hatte ein mulmiges Gefühl in ihr geweckt. Dieser unscheinbare, noch von Schutt bedeckte Kasten… Mehr hatte sie ja nicht erkennen können. Sie konnte sich das Gefühl auch nicht erklären… Vielleicht lag es auch nur an der Anwesenheit der Soldaten. Warum waren die überhaupt hier? Warum interessierten sie sich für die Ausgrabung und ihre Inhalte? Hatten die Verantwortlichen der Station das veranlasst?
Sie versuchte, sich genauer an das Aussehen des Kastens zu erinnern. Vielleicht, wenn sie das Abbild rekonstruieren könnte, wäre es ihnen möglich, herauszufinden, worum es sich dabei handelte. Und ob sich ihr Verdacht bestätigen würde.
Doch wie sehr sie sich auch anstrengte, das Bild vor ihren Augen verschwamm mit jedem Versuch weiter.
Araz räusperte sich am anderen Ende des Tisches und die Aufmerksamkeit des restlichen Teams wanderte auf ihn.
„Wenn… es für dich okay ist, wenn du dich traust…“, begann er langsam an Rayya gewandt, „kann ich versuchen, dir zu helfen.“
Ein kurzes Raunen ging durch den Raum. Ashley, Jonathan, James und sogar Raveen tauschten angespannte Blicke. William ließ sich nichts anmerken. Auch Rove war erstaunlich ruhig. Und Rayya, sie konnte sich wohl nicht entscheiden, wie sie reagieren sollte. Ihre dunklen Augen blieben unsicher an dem Dämon haften und sie war sich sicher, dass er sie unter dem Schatten ihrer Kapuze gut erkennen konnte.
„Ich weiß nicht, ob es etwas nützt. Ich erinnere mich an das Geschehen, aber… ich kann keine Details erkennen.“
Araz Blick wanderte kurz über die anderen, bevor er die Schultern straffte, den Blick gerade auf Rayya richtete und sich zu ihr nach vorne lehnte. „Dein Verstand und deine Gefühle vernebeln die Erinnerung. Aber ich bin mir sicher, dass das genaue Bild in deinem Kopf ist. Wenn du mir vertraust und mich lässt, kann ich es vielleicht für dich sehen.“
Wieder ging ein Raunen durch den Raum. Energischer, deutlicher. Doch Rayya hatte keine Achtung für die Worte. Sie war immer noch zu überrascht über Araz‘ Vorschlag. Wollte er… in ihren Kopf eindringen? War das ganze denn wichtig genug? Was, wenn es sie am Ende gar nicht weiterführen würde?
Doch es war das einzige, was sie im Augenblick hatten. Und wenn William es ernst genug nahm, um die anderen mit ins Boot zu holen, dann…
„Okay“, meinte Rayya schließlich. Und bemerkte, wie es plötzlich still um sie wurde.
Jonathan fasste sich am schnellsten wieder. Zum Teil, zumindest. „Bist du dir sicher?“
Nicht nur Jonathans Blick lag eindringlich auf ihr, auch die Blicke der anderen lagen erwartungsvoll auf ihr. Rayya zuckte die Schultern und versuchte, dabei möglichst entspannt zu wirken.
„Ja“, nickte sie und sah zuerst zu William, dann auf Rove und schließlich zu dem Dämon. Das Verhalten der Forscher auf Aolea, das plötzliche Auftauchen der Soldaten, der beinahe direkte Angriff danach… Es ließ ihr keine Ruhe.
„Und… wie soll das funktionieren?“
„Entspann dich“, meinte Araz und lächelte, so freundlich es ihm unter den misstrauischen Blicken der anderen möglich war. „Und denk noch einmal an den Tag. Wenn du mich fühlst, wehre dich nicht.“