War es möglich, sich in seinem eigenen Kopf zu verlaufen? Sich vollkommen desorientiert immer und immer wieder um das gleiche Thema zu drehen und zu kreisen, sich zu verstricken in unmöglichen Verzettelungen und Irrwegen, keinen Anfang und kein Ende findend?
"Ja, ist es", murmelte Felix Jeger resigniert vor sich hin, vergrub die Finger in seinen dunkelblonden Haaren, als er so vor sich hin philosophierend gen Zimmerdecke starrte.
Leise seufzend drehte er sich auf die Seite, darauf bedacht, nicht allzu viel Lärm von sich zu geben, war er seit einigen Monaten schließlich nicht mehr allein in einem Bett, nein, es räkelte sich gar ein zweiter Körper unter den Laken. Vorsichtig, tastend, ließ er eine Hand aus seinen Haaren gleiten und hinüber zu dem Mann wandern, der ruhig neben ihm lag. Nur leise drang ein nicht allzu ausgeprägtes Schnarchen unter den Kissen hervor, an das sich der junge Künstler in der letzten Zeit nur zu gern gewöhnt hatte. Zumeist war er sowieso viel zu ausgelaugt, um es wahrzunehmen, konnte er sich doch vor Aufträgen kaum retten, arbeitete schon beinahe rund um die Uhr, brachte den hier selig Schlafenden damit oft genug an den Rand eines Tobsuchtsanfalls. Nicht, weil dieser eifersüchtig auf seinen Erfolg gewesen wäre, oh nein, dafür war dieser wunderbare Mann gar nicht der Typ, sondern weil er ganz genau wusste, dass Felix da so seine Probleme hatte, wenn es um die richtige Balance ging.
Mit federleichten Fingerspitzen berührte er den warmen und weichen Körper neben sich, schloss die Augen und genoss es, wie seine empfindlichen Nerven ein sanftes Kitzeln durch ihn hindurch schickten, als er höher wanderte, an einem kräftigen Arm hinauf, bis zu einer breiten Brust, kurz verweilend. Seine rauschenden Gedanken verliefen im Sande, kamen zur Ruhe und auch, wenn es schien, als habe er sich an einem Punkt verlaufen, den er nicht fassen, noch nicht begreifen konnte, so war es Felix zumindest für einige kurze verbleibende Stunden möglich, in einen seichten Schlummer abzudriften.
"Guten Morgen, Dornröschen", schnurrte diese ihm inzwischen so vertraut gewordene warme Stimme ins Ohr und erzeugte ein wohliges Gefühl in seiner Brust.
Verschlafen blinzelte er, erspähte nebelgraue Augen unter widerspenstigen dunklen Ponyfransen hervorblitzen, ein schelmisches schiefes Grinsen begrüßte ihn in den neuen Tag.
Schlagartig spannte Felix sich an, verflog die Ruhe, machte sich in seinem Magen ein Konten breit, der ihn zwickte und unwohl die Stirn runzeln ließ. Warum weckte Anton ihn? Anton Fuchs, sein Partner, der bekannte Langschläfer und nervtötende Faulpelz. Wie konnte es sein -?
"Wie spät ist es?", wisperte Felix das Schlimmste ahnend.
Sich in den Laken räkelnd, sah Anton zu ihm, offensichtlich nicht begeistert, bereits mit Hektik in den Tag starten zu müssen.
"Gleich zehn Uhr."
Zum Haareraufen. Es war schlicht zum Haareraufen. Erst brachte Felix die halbe Nacht damit zu, sich zu sorgen, ob er zu müde sein könnte, um seine noch ausstehenden Werke zu vollenden, war dann ängstlich, weil er aufgrund Zeitmangels keinen Schlaf fand, um ausgeruht genug zu sein, um seine noch ausstehenden Werke zu vollenden und nun war er spät dran, was bedeutete, dass er in Bedrängnis kam und in Zeitmangel geriet hinsichtlich seiner noch nicht vollendeten Werke!
Er konnte es nicht fassen, fühlte sich verloren, sah seine Fälle hoffnungslos davonschwimmen, die so akribisch aufrechterhaltene Kontrolle ihm entgleiten. Es tat ihm weh, ja, geradezu körperlich weh, als er sich mit fahrigen Bewegungen die Bettdecke von den Beinen strampelte, das Brennen in seinen Augenwinken ignorierte und hoffte, dass Anton nicht auffiel, wie sehr es ihm zusetzte, zu wissen - bereits jetzt zu wissen - dass er sein Pensum für den bevorstehenden Arbeitstag nicht schaffte, nicht schaffen konnte. Versagt, versiebt, vergeigt. Wie so häufig in seinem Leben nicht gut genug gewesen war.
"Ach, Hascherl", murrte Anton in Felix' sich drehende und windende Gedanken hinein, doch als er versuchte, ihn zurück zu ziehen, um den Kopf des Malers auf seinen Bauch zu betten, da riss dieser sich grob von ihm los.
"Nicht anfassen", zischte der Blondschopf, seufzte dann und warf dem Bildhauer einen reuigen Blick zu, hoffte, dass Anton verstand und verzieh.
Noch immer fahrig kletterte er aus dem Bett, nicht gewillt, weitere Zeit zu verschwenden, zog sich seine löchrige alte Jeans und ein nicht mehr ganz frisches Langarmshirt über, wusste er doch, dass er bei der Arbeit eh dreckig werden würde. Auf eine Dusche verzichtete Felix, doch kam er nicht umhin, unsicher seine Hände zu betrachten, die an einigen Stellen rot und wund waren von den Aktionen der letzten Tage und Wochen. Vermutlich täte er gut daran, sie in einer Seifenlauge einzuweichen? Oder wäre das doch viel eher schädlich?
Seufzend warf er einen Blick in den Spiegel, erschrak kurz beim Anblick des blassen jungen Mannes mit den tiefen dunklen Ringen unter den kaffeebraunen Augen. Auch wirkte er so dünn. Wann war das passiert? Unsicher und verängstigt stand der Jungkünstler da, sich fragend, wann er sich in einer Einbahnstraße verlaufen hatte, die er nie wieder hatte betreten wollen. Wann hatte er die Kontrolle über sich und sein Leben erneut eingebüßt? Wie - wann - und vor allem, warum?
Resigniert, geradezu niedergeschlagen über diese Erkenntnis, schlich Felix zurück ins gemeinschaftliche Schlafzimmer, knipste das Licht im Bad aus. Stockte. Rang mit sich. So sehr, so sehr!
"Ach, Shit!", entfuhr es ihm, doch der Druck in seinem Inneren staute sich in seinen Eingeweiden, brannte sich durch seine Adern.
So betätigte er den Schalter erneut. Wiederholte das Vorgehen. Und ein drittes Mal. Blinzelte und starrte auf den tückischen Schalter. Zählte langsam die Lippen bewegend bis achtzehn. Das wohlige Rieseln überkam ihn, lief ihm warm den Rücken hinunter. Noch einmal nickte Felix bekräftigend, dann stand er wieder vor dem Bett und ... blieb dort stehen.
Verwirrt, da er doch eigentlich zur Arbeit hatte gehen wollen. Gepeinigt, weil seine Füße ihm den Dienst verweigerten. Ratlos, denn plötzlich erschien es ihm so unsagbar anstrengend, sich auf den Weg zu machen, beinahe unüberwindbar schwierig, die Kraft seinem Körper entzogen, war es mit einem Schlag, als sei Felix alle Energie abhandengekommen.
"Komm wieder ins Bett, Jeger", forderte diese ihm so herrlich vertraute Stimme Antons, "es reicht. Du braucht eine Pause."
"Aber ich -"
"Nein. Ich diskutiere das auch nicht. Leg dich wieder zu mir. Wir lassen das Atelier geschlossen. Na los."
Mit Nachdruck klopfte der brünette Bildhauer neben sich und Felix' Widerstand zerbrach, war er doch irgendwie zu erschöpft, um noch etwas zu entgegenen. Was war denn nur los mit ihm? Warum fühlte er sich, als wandere er bis zu den Knien durch Schlamm?
Bevor er sich wieder auf der Matratze niederließ, konnte der Blondschopf nicht anders, als sowohl Antons als auch anschließend seine Nachtischlampe der gleichen Prozedur zu unterziehen, wie dem Badezimmerschalter. Beruhigter, aber nicht zufrieden, ließ er es zu, dass Anton ihm am Handgelenk fasste und neben sich zog. Sein Kopf landete auf dem weichen Bauch des Bildhauers, sanft fuhren dessen lange Finger durch sein Haar, glätteten mit rauer Kuppe die steile Falte über seiner Nasenwurzel.
"Vielleicht sollten wir auch morgen nicht öffnen", überlegte Anton laut, während er Felix weiter verwöhnte, dieser zwar nicht entspannt, aber ruhiger die Decke wieder über sich ausbreitete.
"Dann haben wir aber zwei Tage keine Einnahmen!", protestierte er schwach, denn eigentlich hörte sich eine Auszeit ganz gut an.
"Mhm", brummte Anton lediglich, "um ehrlich zu sein, dachte ich daran, das Atelier für die nächsten zwei Monate zu schließen."
Felix fuhr auf, schnappte erschrocken nach Luft, als ihn ein Schwindel überfiel, mit dem er nicht gerechnet hatte, war dankbar für Antons stützende Hand im Rücken, die ihn wieder in eine liegende Position leitete.
"W-was - also - ich - wie? Was willst du - hast du denn Pläne?", stotterte der junge Maler nervös, konnte er sich doch nicht vorstellen, wie sie beide diese acht Wochen zubringen sollten.
"Ich dachte vielleicht an Camping. Schon mal mit dem Wohnmobil unterwegs gewesen?"