Der nächste Morgen brach für Felix' Geschmack deutlich zu früh an. Ein Gefühl, das er so nicht von sich kannte, war er doch der geborene Frühaufsteher, hatte er nach etlichen Stunden des Herumwälzens und der Grübelei zumeist keine Lust mehr, sich weiterhin unbeweglich und still zu verhalten.
Doch da er am Abend wieder - so, wie er es Anton versprochen hatte - eine seiner Schlaftabletten genommen hatte, war er am Morgen schlicht nicht aus den Federn zu bekommen, schien es gar grausam, ihn zu nötigen, seinen doch noch so furchtbar schweren Körper von dieser so überraschend bequemen Matratze rollen zu müssen. War dieses Bett schon immer so gemütlich gewesen? Felix konnte sich beim besten Willen nicht mehr entsinnen. Auch nicht an eine Zeit, an der er durchgeschlafen hatte. Beinahe beunruhigend, wenn er genauer darüber nachdachte. Sollte er nicht lieber vorsichtiger sein? Darauf bedacht, seinen Körper auf jegliche Nebenwirkungen hin zu scannen, war es doch nur verdächtig, wie schläfrig er jetzt noch war, oder? Dabei hatte Dr. Leuter behauptet, er würde sich erholt fühlen, erfrischt und entspannt. Nicht mehr so unter Strom, vielleicht auch ein bisschen weniger energiegeladen. Aber so?
"Guten Morgen, Dornröschen", säuselte Anton ihm entgegen, drückte ihm einen Kuss auf die Stirn.
Für Felix eine so überraschend intime Geste, dass er für einige Herzschläge vergaß, wie sein Atmungsapparat funktionierte, dafür aber sicherlich hochrot anlief.
"Mhm", murmelte er lediglich, doch konnte sich des angetanen Grinsens nicht erwehren, das sich auf seine Lippen schlich.
Besitzergreifend streckte er die Arme nach diesem großartigen Mann aus, der sich bereits geduscht und rasiert bereit für die Außenwelt präsentierte, grapschte gar unelegant dafür deutlich effektiv nach der Gürtelschlaufe der schwarzen Jeans und zog das Begehrte Stück für Stück an sich heran. Verschmitzt mit den Augenbrauen spielend, sah Anton zu ihm hinunter, als der Jungkünstler mit flinken Fingern über den Hosenbund tanzte, sich schließlich ein wenig aufrichtete und kleine Küsse auf dem unteren Bauch des Bildhauers verteilte. Wie sehr Felix es genoss zu sehen, wie eine leichte Gänsehaut die vom schwindenden Sommer noch leicht gebräunte Haut vor sich überzog, als er neckisch erneut seine Lippen auf sie senkte. Nun mutiger geworden knöpfte er Antons Hose auf und pfriemelte den Reißverschluss herunter. Seine Hände wanderten herum zu diesem herrlich festen Hintern, begannen zu kneten, spielerisch mit einem Ruck die Jeans herabzuziehen, nahmen den darunterliegenden Stoff gleich mit. Wissend entrang sich ein Stöhnen Antons Kehle, Felix lächelte und wanderte mit seinem Mund tiefer, folgte der feinen Spur dunkler Härchen, spürte die Finger seines Partners, die sich in seine unbändige Wuschelmähne gruben. Ihn delegierten, weil Anton mal wieder ungeduldig wurde. Doch der Maler schielte unauffällig zum Wecker, hielt gegen das Drängen. Noch fünf ... vier ... drei ... zwei ...
"Kruzifix noch eins, Jeger! Bitte!"
Und Felix erhörte diesen grandiosen Mann nur zu gern. Jetzt durfte er, ja, jetzt konnte er Anton diesen Gefallen tun.
Schwer atmend zog Felix seinen Partner zu sich herunter, bevor diesem die Beine doch noch versagten. Eng umfing er ihn, forderte ein wenig Zweisamkeit nach dieser spontanen Wildheit, die Anton ihn nur zu gern zu gewähren schien. Entspannt zogen dessen raue Fingerkuppen Kreise auf Felix' bloßen Armen, während der junge Maler dem sich langsam beruhigenden Herzschlag seines Partners lauschte, sacht Antons Bauch hinauf strich, kurz verweilte, dreimal leicht klopfte und wieder hinunter kraulte, um die Prozedur zu wiederholen.
"Ich sollte duschen", flüsterte Anton sichtlich widerwillig.
Sich über ihn rollend, kam Felix auf dem anderen Mann zum Sitzen, zwinkerte und schwang sich dann aus dem Bett.
"Du musst ja nicht allein gehen", lockte er noch und konnte gar nicht so schnell schauen, wie bereits ein Körper vorbei ins Bad schoss. Lachend folgte er und gesellte sich unter den wunderbar warmen Wasserstrahl. Blieb länger, als Anton es tat, der es verzog, sich lediglich noch einmal abzubrausen, genoss still den Duft ihres gemeinsamen Duschgels, wusch sich die Haare nach einem peniblen Zeitplan, bevor er tropfend das Handtuch entgegen nahm, das Anton ihm hinhielt.
"Warum warst du schon auf?", wollte er dann wissen, fiel ihm doch erst im Nachhinein auf, dass es recht unüblich für Anton war, sich früher als nötig aus den Laken zu quälen.
"Wir wollten ein Wohnmobil besorgen, falls du dich erinnern solltest", neckte der Bildhauer gutmütig.
Ach stimmte, diese Kleinigkeit hatte er schon glatt wieder verdrängt, wäre er einfach ins Atelier marschiert, um sich dort ein wenig auszutoben. Schade, es juckte ihn in den Fingern.
"Müssen wir?", maulte der Jungkünstler daher sogleich wenig tatenlustig, "wir könnten auch ins Atelier gehen. Ich verspreche dir, ich werde nur ein bisschen an den Aufträgen feilen, ansonsten halte ich die Füße still."
Der skeptische Blick, mit dem ihn der Bildhauer bedachte, sprach Bände, sagte er doch, dass er Felix nicht ein sterbens Wörtchen an Glauben schenkte. Ergeben ließ er die Schultern hängen und fügte sich in sein Schicksal.
Mit quietschenden Reifen bogen sie exakt vierundfünfzig Minuten später auf einen Schotterplatz. Die kleinen Kieselsteine spritzten gar listig empor, schlugen gegen Felix' in Leder gehüllte Schienbeine, ließen ihn verdrießlich die Augenbrauen zusammenziehen. Er fuhr schon nicht gern mit dieser Höllenmaschine, dann auch noch auf unsicherem Untergrund dahinzuckeln? Nein, so ging es nun wirklich nicht. Als habe er seinen Unmut gespürt, massierte Anton beruhigend seine Flanken durch die Kombijacke und bestärkten ihn so darin, nicht sogleich wieder alles hinschmeißen zu wollen. Einen lotsenden Zeigefinger ausgestreckt, wies der ältere Mann hinter ihm auf dem Sozius den Weg hinüber zu einer kleinen Baracke, vorbei an zahlreichen fahrbaren - nun, Felix wollte mal großzügig Wohnungen sagen - und so hielt er schließlich das Teufelswerk auf zwei Rädern neben dem Kabuff.
Kaum die Helme abgestreift, wuselte ein Mann Ende zwanzig zu ihnen heraus, das schmierige Lächeln so breit, dass Felix sich unwillkürlich fragte, ob die Grinsekatze aus 'Alice im Wunderland' ihren Weg in die reale Welt gefunden haben mochte.
"Ah", freute sich der Herr überschwänglich, ergriff Antons Hand, um sie in einem wilden Rhythmus zu schütteln, "wie schön, wie herrlich, mein Herz! Was hast du nur so lange gebraucht? Schimpf und Schande, Liebchen, du hast versprochen, mich alsbald zu besuchen."
Ach du Schreck, Felix wollte bei dieser affektierten Art im Boden versinken. Verschreckt schielte er zu seinem Partner hinüber, in der Hoffnung, dieser möge genauso pikiert sein, wie er selbst, doch Anton lachte nur herzlich und legte seine zweite Hand vertraulich auf die verschlungenen. Was sollte das denn?!
"Thore", grinste Anton schließlich ein ebenso breites Lächeln, wie der überkandidelte Herr vor ihnen, "verzeih mir meine Unachtsamkeit. Aber es war so verdammt viel los. Lass mich dir meinen ... Partner vorstellen. Felix. Felix? Das ist Thore, wir kennen uns seit -"
"Uhrzeiten", unterbrach dieser Thore seinen Partner.
Überhaupt, warum hatte Anton so komisch gestockt, als er dem anderen dies preisgegeben hatte? War es so verwerflich, Felix seine feste Beziehung schimpfen zu müssen?
"Wir wollen in den Urlaub. Kannst du uns eines deiner Schlachtschiffe empfehlen?"
Seufzend folgte Felix geknickt und reichlich desinteressiert in der folgenden Stunde den beiden anderen Männern, lauschte nur halbherzig den Ausführungen des blöden Blonden mit dem doofen Drei-Tage-Bart-Look und seiner albernen Art den Bildhauer - seinen Toni - immer wieder 'Herzchen' oder 'Liebchen' zu nennen.
Irgendwann standen sie im Inneren eines Wohnmobils. Felix gab zu, er war durchaus überrascht, festzustellen, auf so wenig Platz einen gesamten Wohnraum unterbringen zu können. Zwar vermochte er sich nicht vorzustellen, wie es einigen Leuten gelang, in diesen Blechschüsseln zu hausen, aber für einen Ausflug? Ja, warum nicht?
"Gefällt er dir?"
Perplex sah der Jungkünstler auf, als Anton ihn nach so langer Zeit scheinbar wieder wahrzunehmen schien.
"Wer?", wollte er verdutzt wissen.
"Na, der Camper", lieferte der Bildhauer gutmütig weitere Informationen, "ist der in Ordnung?"
Es blieb Felix nichts anderes übrig, als schlicht die Schultern zu zucken, fehlte ihm doch die Fachkenntnis, um diesen Koloss beurteilen oder gar als tauglich einschätzen zu können. Verstehend nickte sein Partner, fuhr ihm kurz über den Kopf, um sich dann zu der schmalen Tür an der Seite des Wagens zu begeben.
"Ich regele alles. Freunde du dich gern mit Horst an."
"Horst?", fragte Felix wenig begeistert.
"Warum denn nicht? Oder ist es eher eine sie? Dann vielleicht Elfriede."
Mit einem Naserümpfen versuchte er das Grinsen zu kaschieren, das Antons Blödelei auf seine Lippen zu zaubern drohte, sah er dann noch eben jenem hinterher, wie er das Gefährt verließ und vermutlich zu Thore ging. Den Vertrag unterzeichnen, nachdem ein guter Deal ausgehandelt wurde. Das konnte Anton nämlich.
Für einige Zeit konnte Felix sich beschäftigen, indem er die Fächer und Schubladen genauestens inspizierte, auf etwaige Gefahren untersuchte, prüfte, ob ein sicheres Verstauen von Hab und Gut auch möglich wäre. Die kleine Zelle, die das Bad darstellen sollte, kam ihm dagegen reichlich suspekt vor. Der Jungkünstler war sich ziemlich sicher, das Ding niemals in Gebrauch zu nehmen.
Als er dann auch noch auf dieses erhöhte Matratzenteil gekrabbelt war, das sich über der Fahrerkabine befand, wurde ihm dann doch langsam mulmig. Wo blieb Anton? Warum dauerte es so verdächtig lange, die Rahmenbedingungen ihres Mietvertrags auszuhandeln?
Neugierig sprang er von der Erhöhung hinunter und trat an das winzige Fenster, welches sich oberhalb der Küchenzeile befand, spähte mit schmal zusammengepressten Augen umher. Stockte.
Warum lagen die Lippen dieses schmierigen Händlers auf denen seines Partners? Warum um aller Himmels Willen stand Anton dort im unverborgenen Tageslicht, ganz ungeniert und küsste einen anderen Mann - einen Mann, bei dem sich Felix die Nackenhaare aufstellten? Und wieso - verdammt warum, warum, warum - ließ dieser nervtötende, viel zu großherzige und ihn plötzlich hintergehende Mann das überhaupt zu?!
Beobachtend, wie Anton schließlich die Hände auf Thores Schultern legte, den Kuss löste und lächelnd etwas zurückwich, wurde Felix klar, dass all seine Befürchtungen in diesem Moment bestätigt worden waren. Hatte er noch versucht, sich zu überzeugen, dass seine Gedanken ihm stets böse Streiche spielten, malte diese Szene ein nur zu deutliches Bild. Dem jungen Maler aber blieben nur zwei Optionen.
"Erstens", murmelte er wie betäubt vor sich hin, "Einsamkeit."
Zurück in die Isolationshaft, wie der Blondschopf es so treffend dachte, war es doch so, dass er abgesehen von Anton kaum nennenswerte soziale Kontakte pflegte, hielt es außer seinem Partner keine Menschenseele mit ihm und seinen Eigenarten aus, war Anton bisher immer der einzige, der auch nur ein Fünkchen Liebenswertes in ihm gesehen hatte.
"Zweitens", erkannte er, "Akzeptanz."
Schlichte und ergreifende Hinnahme des besehenden Geschehens. So tun, als wäre nichts passiert, den Betrug in die hinterste Ecke des tiefsten Winkel seines Herzens verbannen, um Anton zu halten, die Beziehung zu schützen. Denn wenn Felix eines wusste, dann, dass er diesen Mann dort draußen über alle Maßen liebte und nicht verlieren wollte - nicht verlieren konnte.
Ohne Vorwarnung schwang die Tür des Wohnmobils auf und Antons Kopf streckte sich zu Felix herein. Fröhlich lächelnd, als wäre nie etwas gewesen, hätte niemals etwas ihre gemeinsame Welt erschüttert.
"Alles klar, ich habe mit Thore soweit fertig."
Oh ja, da war Felix sich sicher.
"Wollen wir wieder nachhause? Die Rute planen und schauen, was wir noch alles besorgen müssen?"
Stumm blickte Felix seinen Partner an, schwieg und nickte dann.