Ab wann ging eine Beziehung langsam aber sicher vor die Hunde und man sollte sich fragen, ob es die eigene gottverlassene Schuld war, diese vor die Wand gefahren zu haben?
War es der Moment, in dem der Partner einen nach dem Status der eigenen Glückseligkeit fragte, selbst auf diese Frage jedoch so offensichtlich log, dass es schon an Körperverletzung glich, wie sehr sich dieser dabei zu verbiegen schien?
Oder war es dann, wenn man die Nacht allein verbrachte, im Glauben, der andere sei wieder einmal nicht in der Lage, zur Ruhe zu kommen, doch auf einen Suchgang hin diesen selig schlummernd vor dem Fernseher auf dem Sofa vorfand, die Wolldecke bis ans Kinn gezogen, die strubbeligen Haare so wirr, als spiegle sich das chaotische Innere nach außen wider?
Spätestens vielleicht, sobald eines schönen Morgens im Bad die Kette lag, die man der Liebe seines verdammten Lebens als Zeichen seiner Anerkennung geschenkt, in dessen Anfertigung man sein Herzblut gesteckt hatte, achtlos dahingeworfen auf dem Waschbeckenrand. Eine Kette, die der Partner seit Erhalt niemals abgenommen hatte.
Mit zusammengezogenen Brauen griff Anton nach dem filigranen Silber, um sich die fein gearbeitete Plakette zu besehen, die er Felix vor einigen Monaten geschenkt hatte. Es hatte ihn Wochen gekostet, die Ornamente in Form eines dreist grinsenden Fuchses und eines auf eine umgedrehte Flinte gestützten Jägers in das hochwertige Edelmetall einzuarbeiten.
Mit steifen Fingern drehte der Bildhauer das kostbare Stück in seinen Händen, bevor er trübe gestimmt zurück ins Schlafzimmer tappte, um gerade noch mitverfolgen zu können, wie Felix die letzten Knöpfe seines weinrot-marineblaukarierten Hemdes schloss, den Blick stur auf die scheinbar alle Konzentration bannende Tätigkeit gerichtet und anschließend aus dem Zimmer rauschte, ohne ihn auch nur mit dem Hintern anzuschauen.
Geschlagen schlich Anton hinüber, stahl sich ein schwarzes Langarmshirt aus dem gemeinsamen Kleiderschrank, quälte sich in eine ebenso dunkle Jeans, um anschließend unbeholfen die Kette in eine der Hosentaschen zu stopfen. Gerade, als er hoffnungslos überfordert versuchte, den Gürtel in die dafür vorgesehenen Schlaufen zu pfriemeln, dann feststellte, dass dieses zum Scheitern verurteilte Unterfangen lediglich damit enden musste, ihn zur Verzweiflung zu treiben, da seine Finger die nötige Koordination nicht umsetzen konnten, hörte der frustrierte Mann, wie unten die schwere Haustür krachend ins Schloss fiel. Und ein Schlüssel kratzte, herumgedreht wurde. Ein Rütteln. Von vorn. Ein drittes Mal. Dann Stille.
"I fass' es nicht", knurrte Anton in die drückende Leere des Hauses hinein, "nu' hats nicht mal Pfiati g'sagt!"
Vor sich hin schimpfend zog er den Gürtel mit einem kräftigen, schmerzhaften Ruck, dass seine Fingergelenke lautstark protestierten, aus den Schlaufen. Die Schnalle kam polternd auf dem alten Holzfußboden auf, doch der Mittzwanziger hatte dafür keinen Blick, zischte lediglich, griff weiterhin fluchend nach seinen liebsten Hosenträgen und befestigte diese mit den Klipps an der Jeans.
"Nicht hübsch, aber selten", lautete Antons Urteil und ließ die grauschattierten elastischen Bänder schnalzen.
Da Felix sich so dreist aus dem Staub gemacht hatte, blieb ihm anschließend nichts anderes übrig, stand unbeholfen in der Küche, ein scharfes Messer in den tauben Fingern und versuchte, etwas ähnliches, wie ein Frühstück zu zaubern. Verwöhnt, wie Anton mit der Zeit mit Felix geworden war, sperrte sich alles in ihm, bei dem Gedanken, den Toaster ein verbranntes Stück Kohle zu entnehmen, es mit Marillenkonfitüre zuzukleistern, um es dann mit so viel Kaffee hinunter zu würgen, dass die Geschmacksnerven seiner Zunge kaum die Chance bekamen, ihm den Mittelfinger vor Entrüstung entgegenzustrecken.
Frühstückspalatschinken klang daher mehr als nur verlockend, noch dazu nach etwas, das er eventuell vollbringen könnte, ohne eine mittlere bis vollkommene Katastrophe zu fabrizieren. Der Klumpen Teig warf in der Pfanne allerdings gar kuriose Blasen und roch nicht nach feinen Gewürzen, sondern irgendwie sauer, die Schmandcreme mit Kräutern der Provence sollte vermutlich keine Spuren Erde enthalten, nachdem Anton das Grünzeug aus dem Körbchen auf der Fensterbank gerupft hatte und der Speck hatte gelinde gesagt sehr starke Röstaromen entwickelt.
Kritisch verzog der Bildhauer die Mundwinkel, ließ sich aber nicht unterkriegen, setzte das Messer an, um die Frühlingszwiebeln zu schneiden, nur, damit das unhandliche Werkzeug nach einem gepeinigten Aufschrei seinerseits aus seinen Händen glitt.
Gerade noch rechtzeitig gelang es ihm, zur Seite zu tänzeln, verhinderte so, dass die Messerspitze seinen Fußrücken durchbohrte, geriet dadurch jedoch ins Taumeln und versuchte sich nach hinten abzustützen. Seine Finger machten Anton einen gehörigen Strich durch die Rechnung, denn sie verweigerten ihm den Dienst, ihm haltgebend zugreifend die Griffe der Schränke zu umfassen. Nein, sie belohnten ihn mit unfassbaren Schmerzen und einem anschließenden Abgleiten an eben jenen, was eine Bekanntschaft zwischen seinen Kniescheiben mit den harten Küchenfliesen zur unumstößlichen Folge hatte.
"Verluacht no amol eini!", donnerte Anton durch das Haus, verbiss sich die aufsteigenden Tränen, die ihm in die Augen schossen, nicht sicher, ob sie des Schmerzes herrührten oder der Wut über sich, Felix und die gesamte Situation.
Schwerfällig kämpfte sich der Bildhauer herum, plumpste unsanft auf sein Hinterteil, um dann seinen Kopf gegen den Geschirrspüler zu lehnen. Unruhig hin und her rutschend, griff er schließlich in seine Hosentasche, um den kleinen Gegenstand herauszufingern, der dort verhinderte, dass er bequem in seinem Selbstmitleid zerfließen konnte.
Zitternd schwang die Kette vor seinem Gesicht von links nach rechts, schien ihn zu verhöhnen. Wann genau hatte Felix' und seine Beziehung diese drastische Wendung genommen? Wann zum Geier noch eins hatten sie aufgehört zu reden, so endgültig und vollständig jeglichen Kontakt zueinander verloren? Warum nur hatte Anton überhaupt zugelassen, Felix gar gestattet, sich wieder weiter und immer weiter in sich zurückzuziehen, nicht beharrt, mit der Sprache herauszurücken?
Zögerlich, mit knackenden Knien hievte Anton sich in den Stand, beugte sich schwer gestützt auf den Küchentresen. All der Tatendrang, die Sicherheit, jedes Problem lösen zu können, verschwand hinter der Verunsicherung hinsichtlich des zunehmend abweisenden Verhaltens seines Partners.
"Ich kann nun einmal keine Gedanken lesen", murrte er aus dem Fenster stierend.
"Ich weiß."
Erschrocken zuckte Anton zusammen, fuhr ihm regelrecht der Schock in die Glieder, Felix' Stimme so unvermittelt hinter sich zu vernehmen. Darüber entglitt ihm die Kette, fiel in das Spülbecken und verschwand unter hektischem Greifen mit steifen und tauben Gliedern des Bildhauers im Abfluss.
"Oh", machte dieser.
Doch war es so schlimm? Hing nicht Anton weitaus mehr an diesem symbolischen Beweis einer Liebe, die in ihren letzten Zügen lag, als der Besitzer?
"Verflucht, Toni!", keifte Felix schrill, doch nicht anklagend, vielmehr verzweifelt, "nein ... nein, nein, nein! Warum lag sie denn hier, großer Gott?"
Verwirrt sah der Bildhauer den jüngeren Mann von der Seite an, wie er mit panisch verzogenem Gesicht versuchte, mit spitzen Fingern, in den Ausguss zu greifen.
"Warum hattest du sie denn nicht um?", bohrte Anton stattdessen nach.
"Weil der Verschluss heute Morgen beim Duschen aufgegangen ist. Der kleine Haken ist kaputt."
"Oh", wiederholte der junge Dunkelhaarige zerknirscht.
Wie peinlich ihm nun seine Überinterpretation der zurückgelassenen Kette war. Wie schäbig er sich vorkam, gedacht zu haben, Felix habe ihre Beziehung bereits in den Wind geschossen, beschlossen zu gehen und sich aus dem Staub zu machen, sobald sich ihm eine geeignete Gelegenheit böte. Und doch ... kam es dem Bildhauer so vor, als weiche der Jungkünstler auch nun seinen Blicken aus, eierten sie auch jetzt umeinander herum.
"Ich rufe jemanden, der die Kette aus dem Auffangsieb fischt", beruhigte Anton seinen aufgebracht und verschreckt wirkenden Partner, der ihn endlich mit weit aufgerissenen braunen Augen ansah. Einem tiefen Kaffeebohnenbraun, das ihn früher mit so viel Wärme bedacht hatte, nun aber einfach nur Distanz vermittelte.
"O-okay ... danke."
Anton nickte lediglich, besann sich anschließend und griff beherzt nach Felix' erschreckend kalten Fingern. Wärmend umschloss er sie mit den seinen, die vermutlich nur wenig auswirken konnten. Doch es durchzuckte Anton bereits freudig, als sein Partner nicht zurückwich, nur skeptisch zu ihm hoch schielte.
"Wir müssen reden, Hascherl", traute Anton sich endlich auszusprechen, worum sie sich die letzten Tage ständig drehten, die Stimme bewegt, musste er doch tatsächlich mehrmals schlucken, "warum bist so abweisend? Wir leb' no noch an'nan vorbei. Kruzifix noamal eini, wia ischn des passiert, hm?"
Schweigen folgte. Wieder einmal brachte Felix es nicht über sich, seine Zunge zu lösen. Doch diesmal schaffte Anton es nicht, eine verständnisvolle Miene aufzusetzen, seine Gefühle zu verbergen, zu verschließen und derjenige zu sein, der zurücksteckte. Felix' Finger entglitten den seinen, als Anton zwei Schritte zurücktrat.
"Okay", rang der Bildhauer die Worte heraus, "wenn bereit bist zu red'n, dann ruf mi o. I penn beim Thore."
Nicht sicher, was schmerzhafter war, all seine Mühen, mit Felix eine funktionierende Beziehung aufzubauen, um dann vor einem gewaltigen Scherbenhaufen zu enden, oder das Geräusch zu vernehmen, als die Haustür leise hinter ihm zufiel, er um die Ecke bog, auf dem Weg zur Straßenbahn und kein Ruf seines Spitznamens die Luft zerriss, um in aufzuhalten, verließ Anton eine halbe Stunde später mit einer gepackten Sporttasche das kleine alte Häuschen, in dem er dachte, eine Zukunft mit einem Mann gefunden zu haben, den er für den Rest seines Lebens würde halten können. Wie sehr man sich doch täuschen konnte.