Wie es ihn ärgerte, ja geradezu ... fuchste! Und wie es ihm auf den Wecker fiel, dass diese Umschreibung so gut, so unglaublich zu diesem sagenhaft nervtötenden Mann dort passte, der mit sturmgrauen Augen am Spiegelschrank in ihrem Badezimmer stand und eine Packung in der Hand hielt, von der Felix gehofft hatte, dass Anton sie niemals zu Gesicht bekäme. Was ging es diesen frechen Halunken denn überhaupt an, was er da so in seinem Arzneischränkchen aufbewahrte? Er ging schließlich auch nicht einfach so an dessen Sachen, nein, auf diese Idee käme der Jungkünstler gar nicht, war er doch davon überzeugt, dass eine Beziehung auf Vertrauen fußen sollte. Vollständigem und absolutem Vertrauen.
Schön ja, schön, er gab es zu, manchmal rief er Anton an, um zu hören, ob es ihm auch gut ging und er sicher auf dem Heimweg war. Ja, verflucht, ja, hin und wieder ortete er das Handy seines Partners, schaute, ob dieser auch den Weg gewählt hatte, den sie im Vorhinein vereinbart hatten. Verflixt, Felix räumte sogar ein, Mails und Termine zu kontrollieren, die Anton auf seinem Laptop speicherte.
Aber das tat der Blondschopf doch nicht, weil er dem Bildhauer misstraute, das durfte dieser bitte nicht denken - erfahren sowieso nicht. So ein Unsinn, oh Gott bewahre, er tat es aus reiner Sorge und Angst, Anton könne etwas zustoßen, geschehen, es sich vielleicht anders überlegen, am Ende eine bessere Partie gefunden haben.
Warum auch nicht? Der brünette Mann war mit Mitte zwanzig bereits ungewöhnlich erfolgreich, kam aus bestem Hause und hatte ein beachtliches Vermögen vorzuweisen. Soweit Felix inzwischen wusste, stammte Anton von irgendeinem Adelsgeschlecht ab, das in Wien super bekannt sein sollte und war auch noch unverschämt attraktiv ... und charmant obendrein. Mit seiner Lausbubenart konnte er noch jeden um den Finger wickeln. Was hatte Felix da schon zu bieten? Gut, er war nicht unansehnlich. Vermutlich etwas zu dünn geraten, zumindest aber nicht klein und auch nicht bucklig. Seine blonden Haare waren schon immer als ein Plus in der Szene gesehen worden, doch in Verbindung mit seinen dunklen Augen, erschien seine Haut da geradezu kränklich blass. Auch seine zum Teil venezianischen Wurzeln konnten da keine Abhilfe schaffen, hatte er doch lediglich noch die Fürsorglichkeit von dieser Seite der Familie geerbt. Apropos Familie, musste man hier gleich mehrere fette Minuspunkte anführen, hatte er bei der Verteilung der Peinlichkeiten doch laut 'hier' geschrien, als es dazu gekommen war, dass sein Vater ihn über den Tisch gezogen hatte, seine Mutter ihn verleumdete und stattdessen seine Adoptivschwestern hoffierte, während seine Tante ihn auf ewig verflucht hatte. Es würde den jungen Maler wenig wundern, wenn diese irre Schreckschraube irgendwo eine Voodoopuppe mit seinem Namen mit Nadeln durchbohrte.
Ergo: Er war nicht gerade der Jackpot.
"Willst du gar nichts hierzu sagen?"
Die gesprochenen Worte rissen ihn aus seinen Grübeleien, brachten Felix dazu, den Blick erneut auf diese faszinierenden Augen zu richten, die je nach Gemütslage die Schattierung zu ändern schienen. Mit anklagend ihm entgegen gestreckten Blistern in den Händen stand Anton vor ihm, das Rückgrat durchgedrückt, die Miene undurchsichtig. Felix glaubte kaum, dass das kommende Gespräch mit einer zärtlichen Umarmung enden würde, eher rechnete er mit lautem Türenschlagen auf beiden Seiten, gekrönt von einem astreinen Abgang seitens seines Partners und eines trotzigen Tobsuchtsanfalls, dessen Ausdruck sich in der Kunst bahnbräche hinsichtlich seines eigenen Gemüts.
"Ich wüsste nicht, was ich sagen sollte", gab er daher die Antwort, die Anton sicherlich nicht von ihm hatte hören wollen.
Ganz seiner Vermutungen zur Folge, schüttelte sein Partner den Kopf, nur, um dann die Medikamente in das Waschbecken zu pfeffern.
"Warum weiß ich nichts hiervon? Verdammt, Jeger, warum zum Geier muss man dir immer alles aus der Nase ziehen? Warum kannst du mir nicht einfach sagen, wenn es dir beschissen geht und verlangst von mir, dass ich es quasi riechen muss! Das ist schlicht nicht fair, okay? Und dann scheinst du diesen Scheiß nicht mal zu schlucken!"
Getroffen zuckte Felix zusammen, sprach Anton doch genau die Punkte an, die sie hart herausgearbeitet hatten. Wusste der Jungkünstler doch nur zu genau, dass er dazu neigte, seine Bedürfnisse nicht offen auszusprechen, aber schlicht zu verlangen, dass alle um ihn herum wussten was er wollte, brauchte und ersehnte, um es auf der Stelle und zur gänzlichen Perfektion zu erfüllen.
Oh ja, es war Felix bewusst, hatte daran gearbeitet, war besser im Beschreiben dessen geworden, was er jetzt und hier brauchte ... und hatte es nun doch wieder nicht hinbekommen. Versemmelt, versiebt, vergeigt. Er war ein Versager, wie er im Buche stand.
Bedrückt ließ der blonde Mann den Kopf sinken, als ihm mal wieder vor Augen geführt wurde, was für ein erbärmlicher Mensch er war. Wie er es an die Spitze geschafft hatte, war ihm ein einziges Rätsel. Ohne Promotion hätte er es vermutlich nie geschafft. Sein Vater hatte am Ende wohl doch recht, sich sein ganzes Geld zu schnappen und sich damit ins Ausland abzusetzen. Kurz schoss es Felix in den Sinn, Anton diesen Rat besser auch zu erteilen, bevor er mit ihm unterging. Denn die nächste Pleite stünde sicherlich bevor, wenn er bei ihm bleiben sollte.
"Sag doch bitte was, Jeger."
Plötzlich war Antons Klangfarbe ganz samten. So viel milder, als es noch vor einigen Minuten der Fall gewesen war. Ob es daran lag, dass Felix schwieg und stattdessen begonnen hatte, hektisch das Licht im Bad an und aus zu knipsen? Wahrscheinlich schon. Oder aber es lag an seinem fiebrigen Blick, der auf der Suche nach der kleinsten Unstimmigkeit in seinem hier vorherrschenden Ordnungssystem durch den Raum streifte. Es könnte auch der unruhig vor und zurück wiegende Oberkörper sein, den der junge Maler mit einem seiner Arme umschlungen hielt.
Plötzlich fand sich Felix in einer innigen Umarmung wieder. Starke Arme pressten ihn an eine haltgebende Brust, schmiegten ihn an einen Mann, der trotz seiner aufbrausenden Art, die ihn regelmäßig zum Verzweifeln brachte, so sehr liebte, dass er nicht selten meinte, das Herz müsse ihm überfließen. Seine Gedanken kamen zur Ruhe, die Anspannung wich nach und nach aus seinem Körper. Er hatte gar nicht gemerkt, wie fest sich seine Muskeln verspannt hatten, spürte erst jetzt bewusst den Schmerz in seinem Nacken und den Schultern, bemerkte das einsetzende Dröhnen in seinem Kopf. Leicht öffnete Felix die Lippen, begann krampfhaft zu keuchen, nicht sicher, ob er lediglich nach Atem rang oder bereits zu schluchzen begonnen hatte.
"Warum hast du diese Antidepressiva nicht genommen?", murmelte Anton leise, strich dabei leicht immer wieder über Felix' Rücken, "wenn es dir sogar noch schlechter geht, als du es mir zeigst?"
Noch näher. Er presste sich noch näher an Anton, drängte sich an den weichen Körper seines Partners, flüchtete sich in seine Umarmung, hüllte sich in dessen Duft und schloss die Augen. Weil es alles irgendwie etwas leichter machte, erträglicher.
"Ich habe Angst, "gab Felix beschämt zu, "ich habe richtig Schiss vor der Wirkung dieser Tabletten. Wegen der Nebenwirkungen. Weißt du, was die alles auslösen können? Von leichtem Schwindel bis hin zu Herzinfarkt! Schlaganfälle und was weiß ich nicht, was noch. Und dann ist nicht mal sicher, ob die überhaupt bei meinen Spleens helfen. Am Ende handle ich mir damit auch noch eine Depression ein. Denn natürlich ist das auch eine absurde Nebenwirkung von diesen Ding -"
Als Anton ihn fest auf die Lippen küsste, verstummte der Jungkünstler überrumpelt. Wohlig seufzte er in den Kuss hinein, zerfloss in den Armen, die noch immer um seinen Oberkörper lagen. Gierig schnappte er erneut nach diesem herrlichen Mund, als der Bildhauer sich löste und ihn von oben herab aus nun hell strahlenden Irden anblinzelte. Verklärt blickte Felix zurück in Antons Augen, ein schiefes Lächeln hatte sich in dessen Gesicht gestohlen.
"Ach, Hascherl", seufzte der dunkelhaarige Mann Felix' Kosenamen und brachte diesen dazu, rot anzulaufen, "ich weiß, wie schwer es dir fällt, aber so wird das nichts. Ich schlage vor, du besprichst das nochmal mit Herrn Jakobi und dann suchen wir uns endlich ein Wohnmobil und planen die Rute. Gut?"
Erleichtert, dass Anton ihn nicht zur Einnahme der Medikamente drängte, nickte Felix, schmiegte sich wieder enger in die Umarmung, bettete seinen Kopf an die Halsbeuge seines Partners. Eine Hand wanderte hinauf zu seinem Schlüsselbein, umfasste den dort an einer Silberkette befindlichen Anhänger, den Anton ihm angefertigt hatte, als sie ihre Beziehung offiziell gemacht hatten.
"Aber diese Teile zum Schlafen und so, die helfen?", erkundigte sich eben jener leise.
"Mhm", brummelte Felix, "schon irgendwie. Ich bin nur am nächsten Morgen dann ziemlich platt. Deswegen nehme ich sie nicht mehr."
"Aber sie lassen dich endlich mal schlafen?"
"Schon."
Eine Hand Antons wanderte von seinem Rücken hinauf in sein Genick, verweilte dort, bis Finger sanft seinen Nacken kraulten. Genießerisch schloss Felix seine Augen.
"Dann solltest du sie weiter nehmen. Ich kann es nicht ertragen, wenn du Nacht für Nacht durchs Haus tigerst, wie ein ruheloser Geist oder ich weiß, dass du wach neben mir liegst und dich mit Gedanken quälend an die Decke starrst. Versuchst du es wenigstens?"
Sachte nickte Felix.