Das Rumpeln aus der Küche machte ihn dann doch etwas stutzig. Vielleicht sollte er nachsehen, ob es Anton auch gut ging, oder ob sein Partner es schlussendlich doch noch fertig gebracht hatte, sich mit einem Küchenmesser den Hals abzusch-
"Höre schon auf mit diesen dummen Gedanken!", rügte Felix sich leise selbst, lauschte aber dennoch weiterhin, ob er verdächtige Geräusche aus der angrenzenden potentiellen Todesfalle vernahm.
"Aha!", erklang es da triumphierend.
Eilig wirbelte der junge Künstler auf der Couch herum und ließ sich mit dem Hintern auf die Polster fallen, als habe er die gesamte Zeit entspannt dort gesessen, den Streaminganbieter nach einem passenden Angebot für ihren Filmabend durchsucht und nicht den leisesten nagenden Zweifel verspürt, was Antons Machenschaften in der Küche anbelangte.
"So, bitte", keuchte Anton doch tatsächlich deutlich aus der Puste, brachte den Maler dazu, sich zu fragen, ob Popcorn zubereiten neuerdings ein Hochleistungssport geworden war.
Überrascht stellte er aber fest, dass sein Partner ihm die verlockend nach zerlaufener Butter duftenden Flocken in einer noch warmen Schale auf den Schoß stellte, während der Bildhauer sich eine Rohkostplatte - nun, er wollte mal nicht so sein - zubereitet hatte. Die verschiedenen Gemüsesorten waren mehr zerhackstückelt, als in Form geschnitten worden, dafür jedoch in einem perfekten Kreis um ein Schüsselchen Dressing zum Dippen drapiert. Mit gehobenen Augenbrauen sah Felix den anderen Mann an.
"Seit wann isst du denn sowas?", fragte er belustigt und kuschelte sich tiefer in die Kissen auf der Sofalandschaft.
"Ich weiß gar nicht, was du meinst", pikierte sich Anton und tunkte ein Stück Sellerie in den Dipp, "ich esse das gern."
Sich eine Hand voll Popcorn in den Mund schiebend, schüttelte der Jungkünstler verständnislos mit dem Kopf. Nach einiger Zeit wurde das laute Kauen ihm dann aber doch zu bunt.
"Okay", schnaubte er verdrießlich, stoppte die Actionkomödie, von der ja doch nur die Hälfte mitbekommen hatte und drehte sich so herum, dass er Anton beim Gemüseknabbern ansehen konnte, "was soll das alles? Normalerweise brauche ich dir mit solchen Platten gar nicht erst kommen. Ich bekomme Ohrenschmerzen bei deiner Verkonsumierung von weiterem Carotin."
Einige Herzschläge vergingen, dann biss der Bildhauer demonstrativ mit einem entnervten Augenrollen in die nächste Karotte. Felix stöhnte.
"Willst du mich testen?", vermutete der Jungkünstler unvermittelt, "ist es das? Sehen, ob ich aus der Haut fahre, wenn du meine Nerven so richtig strapazierst?"
"Nein", kam es leise.
"Was ist es dann, Toni?!"
Seufzend strich sich sein Partner die dunklen Ponyfransen aus der Stirn, sah dann lieber in den großen Plasmabildschirm, als ihm in die Augen.
"Ichversucheeinefachmichgesünderzuernähren", nuschelte Anton schließlich mit rotglühenden Ohren, "weniger Fett, oder Süßkram. Du weißt schon."
Grübelnd studierte Felix den anderen Mann, strich dann mit sanften Fingerspitzen dessen Kinnpartie entlang, um sich anschließend vorzubeugen und dem Bildhauer einen keuschen Kuss auf den leichten Bartschatten zu hauchen.
"Finde ich gut", meinte Felix dann mit kleinem Lächeln, "ich kann auch gern etwas leichter kochen."
Das freudige Strahlen in den nebelgrauen Augen seines Partners ließ ihm das Herz aufgehen.
Glücklich, endlich etwas für Anton tun zu können, das ihn zu seinem Wohlbefinden beitrüge, kuschelte sich der Jungkünstler eng in die Armbeuge seines Liebsten, der ihn fest an sich zog.
"Ähm", begann er nach einer Weile, während im Film aus unbestimmten Gründen die Bösen mit Maschinengewehren non-stop auf die männliche Hauptfigur schossen, aber stets verfehlten, während besagte Hauptrolle mit jedem Schuss aus seinem aus einem Museum entwendeten Colt bei jedem Mal einen Treffer landete, "Toni - du - hmm - weißt aber schon, dass in deinem Dipp so ungefähr alles an Fetten, Zucker und Zusatzstoffen steckt, was nur geht, oder?"
"Ach, verdammt!"
Die kleine Schale wurde mit Nachdruck aus dem neuen gesunden Ernährungsplan verbannt.
"Guten Morgen, Dornröschen."
Etwas kitzelte ihn an der Nasenspitze. Träge versuchte Felix, das fiese kleine Ding mit der Hand beiseite zu schlagen. Das Gesicht tiefer im weichen Kopfkissen vergrabend, gab er unwillige Brummgeräusche von sich.
Er war zu müde, um aufzustehen. Die Schlaftabletten machten ihn einfach platt und ließen ihn am nächsten Morgen wie gerädert zurück. Dafür schlief er aber tatsächlich des Nachts, statt ruhelos durch das Haus zu streifen, wie der gruselige Abklatsch eines Poltergeistes.
"Reise, Reise - Aufstehen!"
Grummelnd zog Felix sich die Decke über den Kopf. Das war ja Folter.
"Reise, Reise - Aufstehen!"
Wieso nur war er mit einem so fürchterlich nervtötend gut gelaunten Mann zusammen, der es noch fertig brachte, mit einem Grinsen durch die Weltgeschichte zu laufen, wenn er selbst bereits mit sauertöpfischer Miene der Apokalypse entgegen blickte?
Dieser verflixt nervtötende Mann begann dann auch noch tatsächlich, seine Decke fortzuziehen. Protestierend krallte Felix seine um einiges stärkeren Finger in den Stoff, gab aber auf, als er Anton zischen hörte. Schließlich wollte er diesem keinen Schmerz zufügen, nur seine Ruhe.
"Der Camper steht schon vor der Tür, du Schlofhaum", lachte ihm Anton breit grinsend entgegen.
Wann hatte der Bildhauer denn das Wohnmobil abgeholt? Es war - Felix schielte mit müden Augen zum Wecker auf seinem Nachtschränkchen, um die brennenden Lider dann schockiert aufzureißen - schon fast halb neun Uhr am Morgen?!
Vollkommen durch den Wind sprang der Jungkünstler aus dem Bett, nur, um dabei seinem Partner eine Kopfnuss zu verpassen. Taumelnd und sich den Kopf reibend, wankte er unter die Dusche, während er noch so etwas vor sich hin murmelte, das verdächtig nach 'Beam mich rauf, Scotty' klang.
Endlich wieder etwas klarer im Kopf, stand er exakte achtundzwanzig Minuten später in der Küche ihres Eigenheims und starrte Anton an, als habe er diesen noch nie zuvor gesehen. Denn der Bildhauer saß neben einem zu groß geratenen Kaffeekonsumenten, der in einem kobaltblauen Leinenjackett und karierten Jogginghosen ungefähr ein so absurdes Bild abgab, dass Felix kurzzeitig nicht sicher war, ob seine Medikamente auch zu Halluzinationen führen konnten.
"Was tut er denn hier?", muffelte der Jungkünstler unzufrieden.
Anstatt angemessen beleidigt zu sein, lachte Thore ihm jedoch nur freundlich entgegen. Wie sehr ihm fröhliche Menschen am Morgen doch die letzten Nerven raubten.
Schlurfend schlich Felix zum Heiligen Gral, um erleichtert einen Thermobecher voll aromatischen italienischen Kaffee vorzufinden.
"Soll ich uns schnell Omelett zaubern?", fragte er versöhnlich.
"Nein danke. Thore hat zuhause gegessen und ich habe mir schon was gemacht."
Verwirrt wirbelte der Maler zu seinem Partner herum. Seit wann verschmähte ausgerechnet Anton denn seine Küche? War er doch noch sauer, war dies die Strafe, die er ja doch insgeheim für all seine Launen, anstrengenden Sperenzien und Exzentrizitäten erwartet hatte?
Aber Anton saß lediglich mit einem in einer Trinkflasche gefüllten rosafarbenen dickflüssigen Getränk neben Thore am Küchentisch und blickte ihn stolz an.
"Was ist das?", wollte Felix skeptisch wissen.
"Erdbeersmoothie. Ich habe doch gesagt, ich würde mich gern gesünder ernähren. So gern ich unser Frühstück auch habe, aber die Sauce Bernáise schon am Morgen ist vielleicht etwas schwer für den Magen."
Dann wollte sein Partner von nun an nur noch Smoothies trinken? Unwillig runzelte Felix die Stirn. Da er allerdings versprochen hatte, von nun an nicht länger einfach nur nach seinem - und offenkundig Antons - favorisierten Geschmack zu kochen, sondern auch auf die ausgewogene Ernährung zu achten, würde er sich auch daran halten. Gedanklich setze der Jungkünstler verschiedenste Obstsorten auf seine Einkaufsliste. Dann würde es eben jeden Tag einen andersfarbigen Smoothie geben. Sie würden sich den Regenbogen hoch und runter kosten.
"Das erklärt aber immer noch nicht, was der da jetzt hier macht", erinnerte Felix noch einmal mit einem Wink zu Thore.
"Der da", ergriff der Kleinunternehmer lakonisch grinsend das Wort, "hat netterweise das Wohnmobil vorbeigebracht. Außerdem wäre es ja umständlich, wenn ihr erst zum Verleih fahren würdet, dann eure Sachen einladen könnt, um dann zu mir zu kommen und mich abzuholen."
Unverständig blinzelte Felix. Schwenkte seinen Blick dann zu Anton, der demonstrativ unschuldig an seinen pürierten Erdbeeren saugte.
"Es gibt für das hier ablaufende Schmierentheater exakt drei Szenarien und ich bete für dich, Toni, dass es die ersten zwei Möglichkeiten sind, die zutreffen", grummelte der Jungkünstler mit vor der schmalen Brust verschränkten Armen, "erstens: Ich bin auf den Kopf gefallen oder habe ihn mir irgendwo ziemlich heftig angeschlagen. Deswegen habe ich nun Wahnvorstellungen, in denen ich mir einbilde, in einer komplizierten Dreiecksbeziehung gelandet zu sein. Wobei ich stets derjenige bin, der übergangen wird. Zweitens: Ich habe mich gerade verhört, eigentlich hat Thore nämlich gemeint, er habe den Camper vorbeigebracht und würde sich geehrt fühlen, unsere nicht vorhandenen Pflanzen zu gießen und mit dem imaginären Hund Gassi zu gehen. Drittens - und Toni, ich zähle diese Möglichkeit nur der Vollständigkeit halber auf, weil du weißt, wie sehr ich Unvollendetes hasse - Thore kommt mit in Urlaub und du hast es mir verschwiegen, weil du genau wusstest, dass mich das in ein so hohes Stresslevel versetzen wird, dass ich kurz vor einer Panikattacke stehe, in der meine Gedanken non-stopp Achterbahn um ein sehr leidliches Thema kreisen werden. Nämlich das Thema Treue und Eifersucht, was sehr schade wäre und wir wollen ja nicht, dass mir das passiert, so kurz vor dem Urlaub, den wir schon so lange planen, nachdem wir endlich darüber hinweg sind, meine Grübeleien auszuhalten, die mir immer wieder vorgaukeln, du brennst früher oder später mit Thore durch und -"
An dieser Stelle ging Felix die Luft endgültig aus, seine Hände krampften sich in seinen schmerzenden Bauch, seine Kehle schnürte sich immer weiter zu. Der Puls raste und das Klopfen seines viel zu schnell schlagenden Herzens pulsierte in seinen Ohren. Das war es - das Ende.
"Atme mit mir, Jeger", kommandierte diese warme, beständige Stimme, die ihn doch jedes Mal wieder erdete.
Die nebelgrauen Augen seines Partners fixierend, versuchte Felix Luft in seine Lungen zu saugen, bekam nicht mehr, als ein klägliches Keuchen zustande. Kurzerhand legten sich kalte Finger um die seinen, dann wanderte die Linke auf seinen Bauch und die Rechte auf den Antons. Felix spürte, wie sich die Bauchdecke des Bildhauers in einem ruhigen Rhythmus hob und senkte. Gab sich die Zeit, um sich dieser Vorgabe anzupassen, bis er erschöpft in die dargebotene Umarmung sank.
"Dann kommt Thore also echt mit?", nuschelte er gegen Antons Hals.
"Nur bis Kitzbühel, Hascherl. Das wird lustig, ich verspreche es dir."
Widerwillig hatte Felix sich aufgerafft und sie hatten zu dritt alles in dem Camper verstaut.
Skeptisch ging der Jungkünstler zum dritten Mal durchs Haus, um alles zu kontrollieren. Das Gas war abgestellt, alle Stecker aus den Steckdosen herausgezogen, die Herdplatten hatte er eigens überprüft und auch das Licht mehrfach an und wieder abgeschaltet. Dann fiel die Haustür ins Schloss. Bange sah Felix Anton über die Schulter, wie dieser den Schlüssel herumdrehte. Dann an der Tür rüttelte. Seinem Partner zuliebe noch einmal und ein drittes Mal rüttelte. Dann seufzte der Maler erleichtert und drückte Anton einen Kuss auf die Wange.
Die Kontrolle ging im Camper weiter. Alle Schränke wurden auf Sicherheit überprüft, gerüttelt, geschabt und gedreht, bis der junge Blonde sicher war, dass nichts verrutschen, herausfallen oder sich lösen konnte.
Anton rutschte in die Sitzecke, lümmelte sich gemütlich die Beine auf der langen Bank ausgestreckt in eine halb liegende Position, den Laptop vor sich auf dem Tisch aufgebaut.
"Was wird das?", hakte Felix nach.
"Ich erstelle nur noch einige Posts und beantworte die ein oder andere Mail", murmelte Anton abwesend.
"So viel zu Urlaub", grummelte der Jungkünstler beleidigt, schließlich blieb es nun an ihm, Thore zu bespaßen, der die erste Etappe übernehmen würde.
Seufzend ließ Felix sich neben dem großen blonden Mann in der Fahrerkabine auf dem Beifahrersitz nieder. Thore hatte bereits alles fertig eingestellt und grinste nun über beide Backen.
"Dann wollen wir mal, was?", strahlte er ihn an, "keine Sorge, ich erkläre dir während der Fahrt schon einmal, wie du die Schönheit hier bedienst und richtig fährst. Schließlich wirst du ja dann fahren, richtig? Anton hat ja mit seiner Fahrsperre die bestmögliche Ausrede, der Obizahra!"
"Ach, beiß mich!", kam es amüsiert von hinten.
Dann ging es los. Richtung Salzburg. Zu dritt. Na super!