Das Heben und Senken im stetigen Rhythmus des Lebens. Ein zartes Schnaufen und Prusten, als habe derjenige, der es ausstieß vor, die Olympischen Spiele gegen Michael Phelps zu gewinnen. Warum hatte Felix die Geräusche am frühen Morgen eigentlich in den letzten Wochen vor ihrem Urlaub als so sagenhaft nervtötend empfunden? Nicht, wie es ebenso Antons Art war. Auf ganz charmant nervraubende Weise. Sondern widerlich strapazierend, bis hin zur Weißglut hatte es den jungen Künstler getrieben, wenn er nach schlaflosen Nächten in ihrem gemeinsamen Bett gelegenen und den Bildhauer von der Seite her aus rotgeäderten Augen angestarrt hatte.
Heute, hier in dem beengten Camper, eingepfercht in einen Alkoven - da empfand Felix das Schnarchen wieder als stimmig. Schon komisch, wie das Leben so spielte. Ganz leicht ließ er seine Finger über Antons Brustkorb gleiten. Bis hinunter auf seinen Bauch. Runzelte dann doch in leichter Sorge die Stirn. Sicherlich war sein Partner weit von seiner früheren gertenschlanken Gestalt entfernt. Aber abgenommen hatte er dann doch. In den Ferien. Eine Kunst, die es durchaus zu beherrschen galt.
"Nich' kitzeln", brummte Anton und griff nach Felix' Handgelenk. Noch ganz verschlafen dirigierte er seinen Partner so an seine Seite, bettete den blonden Haarschopf auf seinen Bauch und dort lag Felix dann. Lauschte dem leisen Rumoren darin. Spürte das Kitzeln an seiner Wange, hervorgerufen durch die feinen Härchen unter Antons Bauchnabel. Nur noch selten war er in der letzten Zeit in den Genuss gekommen hier zu liegen. An seinem geheimen Lieblingsplatz. Immer mehr hatte der Bildhauer sich zurückgezogen, Körperkontakt nur noch durch einen flüchtigen Kuss oder das auf ihre Weise gestaltete Händchenhalten zugelassen. Geschlafen hatten sie nicht mehr miteinander, seit Anton seine Ernährung umgestellt hatte. Nein, durchfuhr es Felix, schon vorab nicht mehr. Nicht mehr so wirklich zumindest. "Wo sind wir jetzt eigentlich?"
Langsam setzte Felix sich auf und stieß sich prompt den Kopf. Er würde sich nie an den Platzmangel in dieser Sardinenbüchse gewöhnen. Noch im Bestreben, das warme Nest zu verlassen und seinen Gedanken bezüglich der fehlenden Intimität in ihrer Beziehung nachhängend, schlüpfte er in seine pflaumenfarbene Jogginghose.
"Auf einem Rastplatz auf der A12", antwortete er Anton. "Noch ungefähr zweieinhalb Stunden, dann sind wir am Ziel. Wir könnten auch einen Stopp in Saló einlegen. Da gibt es das beste Eis, das du dir vorstellen kannst." Ein wenig ulkig sah es aus, wie sein Partner sich aus dem Schlafplatz oberhalb der Fahrerkabine quälte. Dumpf landeten Antons nackte Fußsohlen auf dem falschen Parkettboden. Mit dem Rücken zu Felix blieb der Bildhauer erst stehen und machte sich dann daran, die Verkleidung an der Windschutzscheibe zu lösen. "Also kein Gelato in Saló", murmelte Felix beim Überziehen eines schwarzen Shirts seines Partners. Er mochte es, wie ihm das Aftershave von Anton leicht in die Nase stieg. Zwar hing das Kleidungsstück ihm mehr als nur etwas lose vom Oberkörper, doch das störte den Maler wenig.
"Wir könnten doch einfach mal mit Kaffee anfangen", meinte Anton mit angespannter Stimme. Seufzend rieb Felix sich die Stirn. Würde es so den restlichen Urlaub über laufen? er schlug etwas vor, das auch nur im entferntesten ein wundes Thema anschnitt und sein Partner beherrschte sich, bis er explodierte? Nur, um sich später zu entschuldigen? Damit Felix in seine Arme schmolz und das Ganze ging einige Stunden später von vorne los?
"Kaffee und ein belegtes Brötchen", verlangte Felix tapfer. Diesmal würde Anton ihm nicht so leicht davonkommen. Wie der Blitz wirbelte er zu ihm herum. Funkelnd schossen diese wilden Sturmaugen giftige Pfeile auf ihn ab.
"Mir ist immer noch schlecht." Ausreden. Noch immer brachte Anton diese Ausrede vor, die Felix ihm inzwischen nicht mehr abkaufte. Er konnte die Augen nicht mehr verschließen. Betrübt schüttelte er den Kopf.
"Das ist Bullshit, Toni", wies er leise zurück. "Du bist nicht krank." Die Fäuste geballt stand sein Partner vor ihm. Die Lippen pressten sich so fest zusammen. Aber blass wurden sie nicht vor lauter Zorn. Wie auch, schoss es dem Jungkünstler schlagartig durch den Kopf, immerhin waren sie schon vollkommen weiß gewesen. Rissig und spröde. Seit wann, wie lange schon? Warum war ihm das nicht aufgefallen? Beim Gutenachtkuss oder vor dem Zubettgehen?
"Was weißt du denn schon?", zischte Anton gefährlich lauernd. Oh ja, der Maler wusste, dass Anton auch anders konnte. Doch bisher hatten seine Spitzen ihn nur selten getroffen. Nie ernsthaft. Nie bösartig. "Sprichst von Gesundheit und Krankheit und hast ja doch nie ernsthaft gelitten. Wie auch, du erwartest ja von allen - von mir - immer um dich herumzutanzen. Oh, alle haben Probleme, nur du nicht, richtig? Ändere dich, Toni. Mach es besser, Toni. Schau dich doch an, Toni! Schau du dich doch an, Felix!" Schockiert über diesen Ausbruch stand Felix einfach nur da. Stand auch noch da, als der Motor des gruseligen Monsters unter seinen Füßen zum Leben erwachte. Stolpernd versuchte Felix Halt zu finden, als der Camper schlagartig anfuhr. Zu schnell und zu ruckartig. Die Finger in das Blech der Spüle gekrallt, stand er da und starrte vor sich hin. Ein krächzender Schrei entfuhr dem Maler, als ein riskanter Spurwechsel zu einem spektakulären Hupkonzert führte und ihn ordentlich durchrüttelte. "Kruzifix noch eins, jetzt setz di nieder und schnallst di o!" Der harsche Ausruf riss Felix aus seiner Erstarrung. Eilig taumelte er zur hinteren Sitzbank, zwängte sich zwischen den schmalen Spalt, den Sitz und Tisch hergab, und klackte den Gurt ein.
Dann herrschte Stille im Wohnwagen.
In Felix' Kopf aber, da toste es. Da schrie er. Er tobte und raste. Er weinte und schluchzte. Fest pressten sich seine Hände auf seinen Bauch. Den Bauch, der in Flammen zu stehen schien. Einen flachen Bauch, der Anton so wichtig war. Warum auch immer. Verflucht, warum, warum, warum?! Nicht seine Schuld ... und doch alles sein Fehler. Das hatte sein Partner ihm nur zu deutlich ins Gesicht geschleudert. Nicht ernst nehmen, das wäre es, was Herr Jakobi ihm raten würde. Anton schlug um sich. Wild und ungestüm, aus Angst, wenn Felix zu nah an den Kern kam, roh und wund vor ihm zu stehen. Das war etwas, was Felix verstehen konnte. Auch er war an diesem Punkt gewesen. Geriet noch immer oft genug dorthin. Doch hatte er bereits gelernt, besser mit den Gefühlen der Hilflosigkeit und Überwältigung umzugehen. Sein Partner hatte diese Chance noch nicht bekommen. Warum ausgerechnet in ihrem Urlaub? Das war nicht fair! Nicht gerecht! Es versaute alles!
Das Gesicht in die Hände gestützt, hielt Felix inne. Blickte auf und wischte sich über die feuchten Augen, den Rotz unter der Nase fort. Was dachte er sich denn da? Kleiner, dummer Egoist! Krankheiten klopften selten und kündigten sich an. So etwas geschah eben zu ungünstigen Zeitpunkten. Anton hatte nicht darum gebeten zu leiden. Langsam schnallte er sich ab, hievte sich aus der Bank und schwankte nach vorn. Blieb eine gefühlte Ewigkeit zwischen den vorderen Sitzen stehen und atmete einfach nur. Dann rutschte Felix auf den Beifahrersitz. Erst das Klicken des Anschnallgurtes brachte Anton dazu, kurz zu ihm herüber zu schielen.
"Es tut mir leid, Hascherl", begann er sofort. Das Gesicht zerknirscht in tiefem Bedauern. Die Sturmaugen jetzt wieder hellgrau, nicht mehr von einem dunklen Ton überschattet. Da war sie, die altbewährte Strategie. Aber Felix bezweifelte, dass sein Partner bewusst zu dieser griff. "Ich wollte nicht so auf dich losgehen." Nickend zog Felix die Beine auf den Sitz, klemmte den oberen Teil des Gurtes unter seine Achsel und schlang dann die Arme um die Knie.
"Ist es das, Toni", brachte er leise hervor, "das Ende? Wird es so aussehen?" Scheu spähte der Maler zu seinem Partner herüber. Weit aufgerissen waren sie nun, diese nervtötend schönen Augen, die ihn überwältigt anblickten.
"Was meinst du?", kam es heißer vor unausgesprochenen Emotionen.
"Du hast mich Felix genannt", erklärte der Blondschopf bedeutungsschwer. "Das hast du noch nie getan. Hör zu ... wenn - das - a-also ... wenn ich dir nicht mal sagen kann, dass ich mir Sorgen mache ... u-und dir helfen m-öchte ..." Stockend hielt Felix inne, schluckte schwer und hielt die aufsteigenden Tränen zurück. Es ging hier nicht um ihn. Ausnahmsweise ging es verflucht noch einmal nicht um ihn. Er sah, wie es in Anton arbeitete. Seine Hände versuchten sich fest um das Lenkrad zu krampfen und schafften es doch nicht, sich zu passablen Fäusten zu schließen. Ein scharfes Zischen entkam dem Bildhauer. Schnelle Blicke wechselten sich ab. Straße, Felix, Straße, Felix, immer im Wechsel, zuckten die hellen Augen hin und her, um ja oft genug auf die von einem Tränenschleier getrübten dunklen braunen zu treffen.
"Du hast recht." Geflüstert nur. Das Eingeständnis kam lediglich hauchzart über bebende Lippen. Zitternd beugte Felix sich näher. Wusste nicht, ob er Anton berühren konnte - oder durfte - in diesem Moment der Wahrheit. Er entschied sich für ein aufmunternd zaghaftes Lächeln. "Als du gesagt hast, ich sei nicht krank ... da hattest du recht." Kälte durchlief den Maler wie flüssiges Eis. Erfüllte seinen Körper.
"So war das nicht gemeint, Toni", sagte Felix betrübt. Es war unglücklich formuliert gewesen. "Ich hatte mich auf deine -"
"Ich weiß, wie es gemeint war", unterbrach ihn sein Partner noch immer in gesenkter Tonlage, als habe er einfach nicht mehr die Kraft, um seinen gewohnten Tatendrang aufrecht zu erhalten. "Es war eine Farce. Eine dumme Lüge. Für dich, für mich - ich - weiß nicht." Immer wieder überrollten Felix kleine eisige Schauer. Da steckte so viel Angst in ihm, so viel Sorge, gepaart mit Erleichterung. Anton gab es zu. Ein kleiner Schritt auf einem langen Weg. Wie wild pumpte Felix' Herz in seiner Brust, seins Atmung ging schnell vor Angst, aber auch vor Stolz auf seinen Partner, endlich den Mut gefunden zu haben, es auszusprechen.
"Was kann ich tun?", fragte Felix vorsichtig. Schulterzuckend ließ Anton den Blick auf der Straße ruhen.
"Ich ... weiß es nicht", antwortete er dann nach einer Weile. Nun, nicht unbedingt die Antwort, die der Jungkünstler sich erhofft hatte. Aber vielleicht wäre das auch zu viel erwartet gewesen.
"Willst du mit Dr. Leuter darüber reden?", schlug Felix vor. Ein kurzer Blick traf ihn. Viel Skepsis lag in den wunderschönen Augen. Zweifel, fast Panik. So viel Leid. Es zerriss ihm beinahe das Herz, seinen starken Toni so ungewohnt hilflos zu sehen.
"Nein", entschied Anton dann und Felix wollte schon protestieren. "Nach dem Urlaub ... oder wenn es schlimmer wird. Wir haben Ferien, versuchen wir, sie zu genießen. Ich gebe mir mehr Mühe, um das wieder in den Griff zu kriegen. Wäre nicht mein erstes Mal." Überrascht zog Felix die Augenbrauen in die Höhe. Der Bildhauer hatte schon einmal mit so einem Problem zu kämpfen gehabt?
Nicht gänzlich glücklich über die Entscheidung seines Partners, aber froh, einen großen Schritt geschafft zu haben, langte Felix nun doch hinüber und ergriff kurz Antons' Handgelenk. Zuversichtlich lächelte er ihn an. Nun war es an ihm, der starke Part in der Beziehung zu sein.
"Okay", bestätigte er seine Gedanken und gleichzeitig Anton noch einmal. "Dann fangen wir gleich an. Jetzt endlich Frühstück, nachdem du so plötzlich abgezischt bist? Kaffee und ein belegtes Brötchen?" Gespannt sah er den Bildhauer an. Kurz lachte der Mann am Steuer auf und schüttelte dann traurig den Kopf. Seufzte und linste zu ihm herüber.
"Kaffee und einen Joghurt?", feilschte Anton. Na gut, Babyschritte, schätzte Felix für sich ein.
"Deal", meinte der Maler milde und deutete auf ein Schild mit einer Aufschrift.
"Was steht da?", fragte Anton neugierig. Der Jungkünstler grinste. Da fuhr sein verrückter Held einfach nach Italien ein, bezahlte Maut und bekam das alles gebacken, ohne das Navi oder eine Übersetzungsapp einzuschalten, aber wenn es darum ging, eine Raststätte zu finden, dann war er aufgeschmissen.
"Sosta", sagte Felix lapidar. Endlich war er in der Heimat seiner Nonna angekommen.