Thores Häuschen war klein, aber gemütlich. Eigentlich mehr ein Bungalow, gab es doch keine Treppen oder gar ein oberes Stockwerk, auch bestand der Wohnraum aus einem einzigen großen Zimmer mit einer Kochinsel, die diese Bereiche voneinander trennte, während ein kleiner Flur vermutlich zu einem Bad und dem Schlafzimmer führte.
Auf der Couch lag ein leise schnarchender Anton, die schwarze Jeans über der Lehne des Sofas hängend, das Shirt bis hinauf zur Brust gezogen. Die dunklen Haarsträhnen standen wirr in jede Himmelsrichtung und Felix kam nicht umhin, einfach auf halbem Wege wie angewurzelt stehen bleiben zu müssen, obwohl Thore ihn noch immer stützte.
"Hm?", machte der andere Mann verwundert über sein Innehalten, schien aber zu verstehen, als auch die graugrünen Augen zu dem Schlafenden wanderten, "ihr könnt das klären, wenn du wieder trocken und warm bist. Vielleicht morgen. Heute wirst du aus ihm nicht viel Sinnvolles rauskriegen."
Verwirrt starrte Felix Thore an, der mit einem traurigen Lächeln sanft an seinen klammen Klamotten zog, um ihn zum Weitergehen zu ermutigen. Unliebsam schreckte Felix vor dem anderen Blonden zurück, gefiel es ihm doch nicht, so angefasst zu werden, erst recht nicht, wenn damit eine Aufforderung einherging, die nicht in seinem Sinne war.
"Andi hat seinen Kummer in Jägermeister ertränkt", erklärte der Betriebsinhaber, ließ aber endlich von ihm ab, "Keine Ahnung warum, aber er wollte nur dieses widerwärtige Gesöff in sich reinschütten, bis ich ihn dazu gebracht habe, auf Bier umzusteigen."
Ehrlich besorgt wandte der Jungkünstler seinen Kopf noch einmal zurück, spähte über die Schulter zu der schnarchenden Gestalt seines Partners. Anton hatte sich betrunken ... seinetwegen? Der Bildhauer hatte darauf bestanden, ein Getränk zu trinken, das er unweigerlich mit Felix in Verbindung brachte, darüber gern scherzte, ihn aufzog, weil er genau wusste, ihn damit aus der Reserve locken zu können? Bewusst?
"Na komm, Herzchen", riss Thore ihn aus seinen Gedanken, "geh duschen und dann mummelst du dich fix in die Decken. Ich brüh' dir einen Tee auf in der Zeit."
Schwach nickte der Jungkünstler, griff jedoch flink nach dem Ärmel des Unternehmers, bevor dieser verschwinden konnte. Unsicher schielte er zu Thore, dann auf seine Füße. Hätte gern gefragt, wie sie die Schlafsituation handhaben wollten, lagen ihm die Worte auf der Zunge, brachte sie nicht heraus, versagten ihm die Stimmbänder den Dienst.
"Du kannst mein Bett haben, Herzchen", bot Tore an, der die Nervosität des Jüngeren zu spüren schien, "ich quetsche mich zu Anton. Wäre nicht das erste Mal."
Da war es wieder. Dieses unliebsame, alles zerreißende Brennen in seinen Eingeweiden. Aufstöhnend krümmte sich Felix mit um den schmerzenden Bauch geschlungenen Armen zusammen. Ein Wimmern entschlüpfte ihm gar kläglich, als er in die Knie sank, sich hinab kauerte. Schwarze Punkte begannen vor seinen Augen zu tanzen und Felix war sich gewiss, nun sein letztes Stündlein schlagen zu hören.
Die Hand, die ihn an der Schulter berührte, war nicht so groß, wie sie hätte sein sollen, die Finger nicht so feingliedrig und doch unbeholfen, wie er es gern mochte.
Falsch, falsch, das alles war nicht richtig! Eilig wich er zurück. Was macht er hier?! Was hatte er hier unterbrochen? Warum war Toni betrunken und überhaupt - wieso trug sein Partner verflucht noch eins keine verdammte Hose?!
Nicht das erste Mal ... an diesem Abend vermutlich. Unvorstellbar, was geschehen war, bevor er die traute Zweisamkeit - schlimmer noch, die heiße Ekstase - unterbrochen hatte. Hochgeschobenes Shirt, klar. Diese geröteten Wangen, das verschwitzte Gesicht, die verstrubbelte Frisur. Sexhaare, nannte man das im Volksmund nicht so?
"Er hört nicht auf, Andi, ich weiß nicht, was ich tun soll."
Thore sollte aufhören! Anton war gefälligst doch nicht sein gottverfluchter Andi, wer gab Thore das Recht, einfach daher zu spazieren und ihm seinen Partner auszuspannen? Warum verließen ihn überhaupt immer alle? War er so schreck- halt, stopp, Gedankenfehler, denn natürlich war er das. Schlecht, schlimm, unausstehlich, nicht liebenswert, zu nichts nutze, anstrengend und untragbar. Wie könnte man auch so etwas, wie ihn lieb-
"Jeger, hey, shhh, schon gut", drängte sich endlich - endlich, bitte - diese herrlich warme Stimme, wenn auch vernebelt und lallend in seinen verworrenen Geist, "Hascherl, is' gut, bin da, bin da. Komm' her, hier, hier, atme mit mir. Shh, alles gut, ruhig, ruhig, Hascherl, shh."
Von hinten legten sich kräftige Arme um ihn, zogen ihn unaufhaltsam an eine starke Brust und doch war da nicht nur Härte, automatisch schmiegte sich Felix enger an Antons weiche Haut, neigte den Kopf zurück, sog dessen Duft nach Zedernholz und Sägespänen ein, der sich mit dem konsumierten Alkohol vermischte.
Der Puls des jungen Malers raste, die Atmung ging nur stoßweise, während sein Partner weiterhin beruhigend auf ihn einredete, vorsichtig durch sein Haar fuhr, dann hinab auf seine in seinem Bauch verkrallten Hände, diese Stück um Stück löste, bis er die Fingernägel nicht mehr in seinem eigenen Fleisch versenkte.
Felix wusste nicht, wie lange sie so auf dem Boden saßen, zwischen Hauptwohnraum und Flur zum Bad, doch irgendwann fielen ihm vor Erschöpfung die Augen zu.
Man konnte sich auch verkatert fühlen, ohne am Vorabend einem Rausch verfallen zu sein.
Zumindest, wenn Felix nach seinen hämmernden Kopfschmerzen und protestierenden Gliedern ging, die es ihm erschwerten, die Lider zu öffnen, nur, um festzustellen, dass er sich nicht in seinem eigenen Zuhause und schon gar nicht seinem gemütlichen Bett befand.
Stattdessen lag er auf einer weißen Samtledercouch, gebettet auf einem warmen Körper, der sich leicht unter ihm bewegte. Verwirrt schob der Jungkünstler sich etwas zurecht, um der Person, die er so dreist als Kissenersatz missbrauchte, ins Gesicht sehen zu können.
Die Sturmaugen, die ihn trafen, wirkten so verkatert, wie er sich fühlte, doch viel stärker traf ihn der besorgte Zug um den Mund des sonst so unbeschwerten Mannes unter ihm.
"Thore sagt, du redest nicht mehr", brummte Anton ihm entgegen, "stimmt das, oder strafst du ihn aus irgendwelchen Gründen, die nur du verstehst?"
Unwillkürlich zuckte Felix zusammen, traf es ihn doch tief, diese Anklage zu hören, doch war ihm bewusst, den Bildhauer selbst durch sein stets verschlossenes wie abweisendes dabei aber forderndes Verhalten zu dieser Äußerung angestachelt zu haben. Dennoch war es hart, der Liebe seines Lebens dabei zuzuhören, wie sie einen anderen in Schutz nahm, einen gereizten Ton ihm gegenüber anschlug, statt für ihn in die Bresche zu springen.
Beschämt wandte Felix den Kopf zur Seite, fuhr fahrig mit den Händen Antons Oberkörper entlang. Hinunter, im Halbkreis, hinauf, drei Mal leicht klopfen und zurück. Trotz seiner Verstimmung, ließ der Mann unter ihm dies ohne erkennbare Antipathie geschehen.
"Bitte sag' irgendwas, Jeger", flehte Anton leise, doch mit Nachdruck einige Minuten später, als ihm das rhythmische Streicheln und Trommeln auf seinem Bauch zu viel zu werden schien.
"Es gibt nichts, was du mir nicht sagen könntest."
Und wie gern hätte Felix diesem wunderbaren Mann geglaubt, der immer so verständnisvoll reagierte. Doch Tatsache war, dem Bildhauer war der Kragen schlussendlich doch geplatzt, es war ihm nicht möglich gewesen, es weiterhin mit dem jungen Maler auszuhalten und so ... hatte er das Schlimmste getan, das er hatte tun können. Er hatte Felix alleingelassen, war gegangen, hatte ihn verlassen. Den Seitensprung mit Thore könnte der Jungkünstler ihm noch verzeihen, darüber in seiner Verzweiflung hinwegsehen, wenn Anton ihm nur bestätigte, weiterhin zu ihm zu halten, sich nicht endgültig für eine Zukunft mit Thore zu entscheiden, sondern ein Leben, mit ihm - Felix.
All dies Ungesagte versuchte er in einen langen Blick in die von einem schweren Kopf verhangenen Sturmaugen zu legen, da auch jetzt sein Sprachzentrum zu versagen schien. Verweilend lagen sie beide dort auf der Couch der dritten Partei, die als großer rosa Elefant zwischen ihnen stand.
"Du bist a Depp, Hasherl", rügte ihn Anton sanft, doch mit gefurchter Stirn und herabgezogenen Mundwinkeln, "was hast du denn gedacht, was hier passiert ist ... generell, seit meinem Abgang, hm? Ich habe mich zulaufen lassen und betrunken bei Thore ausgeweint, weil ich nicht mehr an dich rankomme. Als ich kaum noch gerade sitzen konnte, hat er mich hergebracht und ich bin hier auf dem Sofa eingepennt. Allein. Natürlich, allein."
Wie gern Felix sich beruhigen lassen würde, wie sehr er sich danach verzehrte, sich einfach an Anton zu schmiegen, daran glaubend, alles könnte wieder gut werden. Traurig blickte der Jungkünstler der Älteren an.
"K-k-k-kuss", brachte Felix rau über spröde Lippen, kratzte dieses eine alles entscheidende Wort unangenehm in seiner Kehle, quetschte es heraus, weil er es wissen musste.
"Ich soll dich küssen? Nichts leichter, als das", schmunzelte Anton belustigt, richtete sich leicht auf, doch Felix wich ein wenig zurück, schüttelte wild den Kopf.
"Hab' den - den K-kuss gesehen. Von Dir und ihm ... Zweimal."
"Oh, Jeger", stieß Anton aus, nur, um daraufhin, von dem Jungkünstler vollkommen unerwartet wie unverständlich, in ein brummelndes Glucksen auszubrechen, "so ist Thore halt. Er küsst gern. Wir kennen uns schon ewig und sind eng befreundet, aber zwischen uns besteht nichts außer dieser tiefen Freundschaft."
Aha, so so, Thore küsste gern, dieser blonde Kerl küsste gern seine alten Freunde auf die Lippen und schlief mit ihnen auf der Couch. Na sowas, na verdammt noch einmal sowas.
"Dein Fr-eund ist schräg", krächzte Felix holprig.
Nun lachte Anton so sehr, dass alles an ihm zu wackeln begann, auch der Jungkünstler wurde unsanft durchgeschüttelt. Eng legten sich die Arme des Bildhauers um Felix, zogen ihn zurück an dessen Brust, ein Schauer jagte über den Körper des Malers, als ein Kuss seine Stirn traf. Eine Geste, die sein Partner nur ausführte, um intime Nähe zu erzeugen. Besänftigt schloss Felix die Augen. Vielleicht würde doch alles gut werden.