Missmutig betrachtete er seine wundgescheuerten Hände, die sich rigoros über die unliebsame Putzorgie beschwerten, die Anton so rüde unterbrochen hatte. Dabei war er gerade so schön dabei gewesen, seine Gedanken zu ordnen, hatte gespürt, wie die Anspannung, die sich seit des Anblicks des Kusses zwischen dem Bildhauer und diesem - diesem - diesem Thore hatte mitansehen müssen aus ihm herausgeflossen war.
"Thore", murmelte Felix grantig zu sich selbst, "was ist das überhaupt für ein Name?"
Vorsichtig rieb sein Daumen über eine offene Stelle an seinem Handrücken, ließ ihn zischend die Luft einziehen, als das Brennen sich exponentiell zum ausgeübten Druck steigerte.
Der Blick des Malers schwenkte zu Anton, der ruhig unter der Decke lag und leise schnarchte. In einem stetigen Auf und Ab hob und senkte sich dessen Brustkorb mit jedem tiefen Atemzug, zeugte von einem Schlaf, der keinerlei schlechtes Gewissen vermuten ließ. Felix saß im Schneidersitz am Fußende ihres gemeinsamen Bettes, das dreckige T-Shirt noch immer über seinen dünnen Körper gestülpt, die Haare nicht mehr schweißfeucht, dafür juckte nun seine Kopfhaut unangenehm. Vielleicht sollte er duschen gehen, aber dann würde Anton wieder aufwachen und sich sorgen, warum er um halb vier Uhr in der Nacht das Bedürfnis verspürte, sich heiß abzubrausen. Vermutlich würde der Bildhauer auch darauf bestehen, mit ihm unter den Wasserstrahl zu hüpfen, damit er keine Dummheiten beging, wie etwa immer und immer wieder mit einer Schrubberbürste seine Haut zu reinigen. Nicht, dass Felix so etwas Verrücktes schon einmal getan hätte. Schließlich war er keiner dieser armen Neurotiker, die ihr Verhalten nicht im Griff hatten.
Das Bettgestell wackelte, als Anton sich auf den Rücken drehte, das Schnarchen nahm etwas zu - irgendwie empfand Felix das Geräusch heute als nervtötend. Nicht bezaubernd nervtötend, wie es sonst bei seinem unmöglich spontanen wie exzentrischen Partner der Fall war, sondern schlicht ihm den Nerv raubend. Womöglich ein sicheres Zeichen, dass der Maler deutlich verletzter war, als er bereit war zuzugeben.
Seine Augen brannten gar fürchterlich, die Nase verstopfte, die Wangen wurden heiß. Eindeutig eine verspätete Reaktion auf die giftigen Dämpfe der Putzmittel. Eindeutig!
Beschämt, sich doch nach der Nähe Antons zu sehnen, krabbelte Felix auf allen Vieren die Matratze hinauf bis zum Kopfende, schnappte sich das dort befindliche Wasserglas und schluckte die kleine runde Tablette, die dort lag. Das Kissen an seine Brust gepresst, die Knie angezogen, verharrte der Jungkünstler vor sich hin in die Dunkelheit starrend, bis sein Herzschlag nicht mehr länger in seinen Ohren dröhnte, die Schultern herabsackten, er gar zu gähnen begann. Schläfrig schob er sich hinab und unwillkürlich näher zu dem Bildhauer hinüber, der noch immer auf dem Rücken liegend im Land der Träume weilte, vom inneren Chaos seines Partners nichts mitzubekommen schien.
Seufzend bettete Felix seinen schweren Kopf auf den weichen Bauch des anderen, lauschte dem leisen Glucksen darin, bis er schließlich erschöpft einschlief.
"Guten Morgen, Dornröschen", wurde er irgendwann geweckt, kämpfte sich die warme Stimme durch flüssigen Sirup bis in sein noch nicht gänzlich vorhandenes Bewusstsein.
Murrend zog Felix die Decke fester um sich, die Beine an den Körper und rollte sich eng zu einer festen Kugel zusammen. Seine Glieder waren bleischwer, der Kopf schien mit Watte gefüllt. Selbst, wenn er es gewollt hätte, der Jungkünstler hätte seine verklebten Lider vermutlich gar nicht aufstemmen können.
"Komm schon, Jeger", lockte ihn Anton mit verheißungsvollem Ton, "ich habe Kaffee gekocht."
Nun lugte er doch hinter einem Zipfel der Decke hervor, blinzelte gegen das hell hereinfallende Licht an, das sich so dreist seinen Weg ins Schlafzimmer gesucht hatte. Warum war es denn schon hell? Wie lange hatte er geschlafen?
"Wie spät ist es?", presste Felix heraus, räusperte sich dann, um seine Stimmbänder zu aktivieren und wiederholte die Frage.
"Fast zwölf."
Schockiert fuhr Felix auf, kippte dann aber wenig elegant zur Seite. Wild fuchtelte er bestürzt mit einem Arm, während sich alles um ihn für einen Wimpernschlag lang drehte. Es dauerte nicht lang, da stand sein Partner an seiner Seite, stützte ihn fürsorglich, bis sich seine Atmung wieder normalisiert hatte.
"Scheiße", entfuhr es Anton, "alles okay?"
Nickend machte sich der Blondschopf los, um sich wacklig aus dem Bett zu schwingen, in frische Klamotten zu schlüpfen und ins Bad zu wanken. Ein Folgen Antons verhinderte er gekonnt, indem er die Tür hinter sich ins Schloss fallen ließ. Botschaft deutlich.
Exakt sechsunddreißig Minuten später stand er in der Küche, werkelte an zwei Tellern, die genau proportioniert, ein Gesamtkunstwerk der Frühstücksgeschmacksexplosion ergeben sollten. Nichts Besonderes, was den Aufwand betraf, aber eben ein liebgewonnenes Ritual, das sich mit der Zeit bei ihnen eingebürgert hatte. Auf eine unbegreifliche Weise, gaben Felix diese festen Abläufe am Morgen Sicherheit, auch heute war es diese Beständigkeit, die verhinderte, dass er dem Bedürfnis nachgab, seine Sachen zu packen und den nächsten Zug gen 'Tschüss und Bye bye' zu besteigen. Warum auch nicht, war es doch nicht, als wäre Anton überrascht, wenn er eines Tages einfach verschwunden sein würde. Schließlich hatte er den besten Lehrer. Johann Jeger konnte sich nicht lumpen lassen, verstand er es doch prächtig, sich rar zu machen, ohne eine geringste Spur, die Liebsten zurückgelassen in Verwirrung und Verzweiflung oder auch einfach nur Resignation. Zumindest, was Felix betraf, denn wie es um seine Mutter und Schwestern stand, wusste er einfach nicht, hatte er doch keinen Kontakt zu ihnen.
Andächtig verteilte der Jungkünstler die Egg Benedict auf den Tellern, garnierte alles mit dem feinen Endiviensalat, füllte das Obstdurcheinander in kleine Schälchen, um alles gekonnt hinüber zum Sofa und dem dazugehörigen fein geschnitzten Kirschholztischchen zu bugsieren.
"Sieht wie immer köstlich aus, Jeger", meinte Anton an den Speisen schnuppernd, entlockte Felix ein beinahe unsicheres Lächeln, bevor dieser sich ebenfalls auf die Couch sinken ließ. Zaghaft nippte er am Kaffee und schloss summend die Augen. Die Röstung kitzelte seine Geschmacksknospen ganz wunderbar, war stark und aromatisch. Nirgends sonst trank der Maler schwarzen Kaffee, beorderte stets einen Chai Latte, da niemand es schaffte, seine Wünsche umzusetzen.
Niemand, außer Anton. Wehmütig blickte Felix hinunter in das koffeinhaltige Getränk. Was würde geschehen, wenn der Bildhauer doch noch erkannte, was für einen Fehlgriff er mit ihm getätigt hatte? Fiele ihm wieder ein, wie leicht es mit Thore gewesen war, wie kompliziert und anstrengend im Gegenzug dazu mit ihm?
Mit einem unguten Gefühl im Magen schielte Felix hinüber zu seinem Sitznachbarn, der wie jeden Morgen entspannt in der Tagesaktuellen blätterte, entspannt den Milchschaum von seinem Kaffee schlürfte und ab und an eine Gabel in die sämige Sauce Bernáise fahren ließ.
"Bist du glücklich?", entkam es aus Felix' Mund, ohne, dass er es hätte aufhalten können.
Sichtlich überrascht knickte Anton die Zeitung um, lugte über die Blätter hinweg ihm entgegen, die nebelgrauen Augen verdutzt und besorgt zugleich.
"Wie meinst du?"
"So, wie ich es sage", beharrte Felix drängend, "bist du glücklich, Toni?"
"Natürlich", schnaubte sein Partner unverblümt, "was fragst du nur für absurde Dinge."
Einen Moment war es still zwischen ihnen, nur das Ticken der Uhr an der Wand zum Aufgang ins obere Stockwerk zeigte an, wie viel Zeit verrann.
"Bist du es denn?"
Unruhig sortierte Felix den Salat auf seinem Teller neu, strich dann die Seite seines Buchs glatt, das er momentan zu lesen begonnen hatte und auf seinem Schoß deponierte, wenn sie frühstückten. Noch vor zwei Tagen hätte er diese Gegenfrage mit einem deutlichen 'Ja' beantwortet. Zwar nicht stressfrei, oder mit sich und der Welt im Reinen ... aber glücklich. Dank Anton. Dank der Liebe zu diesem absurd fröhlichen Menschen, der es immer wieder schaffte, ihn auf nervtötend schöne Weise zu überraschen.
"Wie könnte ich nicht?", meinte Felix, Antons fixierenden Sturmaugen ausweichend.