Mit einem Paukenschlag verklang die Musik in seinen Ohren, der Nachhall aber schwang noch unheilvoller in ihm nach, als das düstere Epos, welches ihm die letzten achtzehn Minuten durch Mark und Bein gegangen war, ihn aufgepeitscht, niedergerungen und wieder aufgerichtet hatte. Tief hatten die Saiten der Streicher in sein Fleisch geschnitten, die Bläser mit ihren kraftvollen Crescendo seine Eingeweide erbeben lassen, hatten Trommeln etwas in ihm zum Klingen gebracht, von dem er sich selbst nicht erklären konnte, was es war. Nur eines war gewiss - die aufgestauten Gefühle mussten raus, sich Bahn brechen, bevor er platzte.
So stand Felix im Atelier, eine Woche und drei Tage nach dem ausgesprochenen Urlaub stand er hier und schmetterte seine Wut, seine Angst - ja - seine Verzweiflung einer Leinwand entgegen.
Der Jungkünstler schrie und brüllte, tobte wie ein Derwisch durch den Arbeitsbereich, griff schier wild und blind nach Farbtuben, interessierte sich nicht für Pinsel oder Spachtel, schmierte mit Händen über das raue Material. Der Schweiß rann an seinem Körper hinab, vermischte sich mit der Farbe, doch auch dies fand bei Felix kaum Aufmerksamkeit. Alles, was dieser wahrnahm, war das Brennen in seinem Bauch, dieses unerträgliche und stetig anschwellende Brennen und Reißen, als versuche ihn jemand auszuweiden. Lava schien durch seine Adern zu pumpen, heiße Glut strömte bei jedem Atemzug in seine Lungen. Atmen schien unmöglich, doch schreien half. Also schrie er. So laut er konnte, unverständlich, keine Worte, denn er hatte keine, fand sie nicht, obwohl er so viel zu sagen gehabt hätte.
Müde wischte der Jungkünstler sich über das Gesicht, verschmierte nun vollends Farbe und Schweiß, betrachtete das Inferno auf der Leinwand, die peitschenden Flammen, die tosende Feuersbrunst, die sich unaufhaltsam ihren Weg durch einen nur angedeuteten, durch undurchdringbaren Rauch lediglich schemenhaft zu erkennenden Waldbestand fräste. Auf beinahe erschreckende Weise, hatte sich sein Innerstes auf diese Leinwand gebannt, fraß sich in das Material, wie es seinen Körper verschlang.
Ausgelaugt sammelte Felix mit schwerfälligen Bewegungen seine Utensilien zusammen, verstaute sie feinsäuberlich wieder an den rechten Orten, betrachtete danach still und reglos das geschaffene ... Stück Müll.
Mit einem saftigen Tritt beförderte der junge Mann die Staffelei krachend und splitternd auf den Boden des Ateliers, lauschte den Geräuschen der Zerstörung, als er mit den Schuhen unachtsam über alles hinwegtrampelte, bis hin zum Ausgang, nur, um zu stolpern, da seine Füße mit einem Schlag wie festgewachsen verweilten. Sich herumdrehend, besah sich Felix das angerichtete Chaos, kam nicht umhin, das unerträgliche Brennen in seinem Bauch wahrzunehmen und dem sich aufbauenden Druck schließlich nachgebend, die nächsten Stunden, bis zur hereinbrechenden Dämmerung, damit zuzubringen, noch jeden kleinsten Splitter aufzulesen, feinsäuberlich auf einem der Arbeitstische zu drapieren - natürlich der Größe nach geordnet - um sie später vielleicht doch wieder zusammenfügen zu können.
Vollkommen ausgepowert kramte Felix schließlich doch noch seine Schlüssel aus der Hosentasche und zog die Tür des Ateliers hinter sich zu, drehte diesen im Schloss, um prüfend daran zu rütteln. Ermattet öffnete er erneut, zog die Tür wieder zu, schloss ab ... um die Prozedur ein drittes Mal zu wiederholen und sich entkräftet gegen das Glas sinken zu lassen. Im einsetzenden Nieselregen stehend, fuhr der Blondschopf sich mit gespreizten Fingen durch die widerspenstigen Haare, sammelte sich, bevor er sich mit schlurfenden Schritten zur Straßenbahn aufmachte. Wie von allein wanderte er weiter, einfach weiter, bis die Straßen weniger schmal, die Einsamkeit einem belebteren Treiben wichen.
Das Rumoren in seinem Bauch verstärkte sich, als Felix vor dem Gasthaus ankam, in das Anton ihn damals geschleift hatte, um ihn aufzumuntern, nachdem die Presse ihn in der Luft zerrissen, ihn glatt als Betrüger und Schuft beschimpft hatte.
Traurig stand der junge Maler einfach da, die Hände um seinen Leib geschlungen, unfähig, sich zu bewegen, beobachtete stattdessen mit wachsender Ungläubigkeit, wie gerade der Mann wankend herausstolperte, dem er dieses stetig zunehmende Brennen in seinen Eingeweiden verdankte. Schmerzlich verzog sich sein Gesicht, als dieser Thore seinen Griff um Antons Taille verstärkte, sein Partner dies scheinbar noch zu genießen schien, sich näher an den blonden Mann lehnte und von ihm in ein schnittiges Fahrzeug bugsieren ließ. Wie ein begossener Pudel verfolgte Felix im zunehmenden Regen die Abfahrt, hob unwillkürlich die Hand zum Winken, doch natürlich sah Anton ihn nicht. Wie auch?
Heim, er sollte heimgehen. Doch Felix' Füße trugen ihn nicht an einen Ort, von dem er nicht mehr sicher war, ob er an ihm willkommen war, fühlte er sich seit Antons Fortgang doch wie ein ungewollter Parasit, ein Störenfried, der nichts brachte, als Kummer und Unmut, einem Menschen entgegen, dem eine Frohnatur innewohnte, die so selbstverständlich war, dass Felix selbst sie als zu natürlich empfunden hatte.
Hart schluckte der Jungkünstler, zog sein Smartphone hervor, nur, um mal zu sehen, wohin es seinen Partner verschlug, schnaufte halb erleichtert, darüber, den blinkenden Punkt nicht in der Nähe eines Hotels vorzufinden, halb ängstlich, die Andresse wiederzuerkennen, an der er sich vor einigen Tagen mit Anton befunden hatte, um dieses elendige Wohnmobil zu mieten. Also doch!
Betrübt schlurfte Felix weiter, immer einen Fuß vor den anderen setzend, den Kopf mutlos hängend, die Schultern gekrümmt, schlich er einfach davon, hoffte darauf, früher oder später einen Unterschlupf zu finden, der sich wie ein Wunder vor ihm auftuen mochte.
Ob es Stunden gewesen waren? Vermutlich. Und doch - und doch - kam es Felix gar viel länger vor, als seine Beine schließlich ihren Dienst versagten, er zitternd, durchgefroren und pitschnass auf den Randstein sank, das Gesicht in den Händen vergrub, nicht in der Lage, einen weiteren Schritt zu tun. Harte, an ihm zerrende Schluchzer entrangen sich seiner Kehle, zerrissen seine Brust. Krampfend zog sich sein schmerzender Bauch zusammen, sodass er verzweifelt eine Hand in sein verdrecktes T-Shirt krallte, die andere zu seinem Hals wanderte, die Kette nicht fand, die dort ihren angestammten Platz hatte.
"Felix?", erklang eine erstaunte Stimme hinter ihm.
Eine Stimme, die der Jungkünstler beim besten Willen nicht zuordnen konnte. Mit einem Mal verebbte der stetig auf ihn herniederprasselnde Regen, was Felix dazu brachte, hinauf zu blinzeln, einen aufgespannten grellbunten Regenschirm über sich zu erkennen. Doch nicht nur diesen, auch ein besorgtes Gesicht schwebte dort.
"Was machst du denn hier?", wurde er gefragt.
Sich über das Gesicht reibend, starrte Felix Thore an, brauchte einige Augenblicke, um zu begreifen, dass sein Unbewusstsein ihn zu Anton geführt hatte, verfluchte sich und seine Gefühle, sein Sehnen. Alles in ihm schrie nach Anton und doch tat es weh, alles tat ihm weh!
Der ältere Blonde ging vor ihm in die Hocke, stets darauf bedacht, den Regenschirm über sie beide zu halten, ein leichtes Lächeln zupfte an seinen Mundwinkeln.
"Wolltest du zu Andi?"
Wer war denn nun dieser Andi? Meinte er damit etwa Anton? Warum hatte Thore einen Spitznamen für seinen Partner? Er hatte keinen Kosenamen für Anton zu haben, verflucht!
"Willst du einfach nur nicht mit mir reden, oder kannst du nicht?"
Es war diese Frage, die Felix aus dem Konzept brachte. Die dazu führte, seine Gedanken fort zu tragen von seinen kreisenden Grübeleien um eine mögliche Affäre zwischen Anton und diesem Mann hier vor ihm, hin zu den letzten zwei Tagen. Wann hatte er zuletzt ein Wort über seine Lippen bringen können? Wann war er im Stande gewesen, seine Belange auch nur ansatzweise zu Bennen, nicht durch Gesten oder Blicke, nein, sie auszusprechen, auch nur so etwas, wie um ein Glas Wasser zu bitten? War es nicht eher immer weniger geworden, aus vollständigen Sätzen, karge einzelne Wörter, bis er irgendwie ... verstummt war?
Erschrocken starrte er in die graugrünen Augen Thores, die Lippen leicht geteilt, versuchte Felix, sich zu äußern, doch es gelang ihm nicht, die Sätze, die sich in seinem Kopf formten, zu verbalisieren.
Verzweifelt wurde er hektisch, versuchte sich auf die Füße zu kämpfen, rutschte auf dem glitschigen Boden aus, fand endlich Halt, als sich seine Finger in einen Stoff krallten. Stabilisierend zog Thore ihn an sich, strich über seinen Hinterkopf.
"Shh", machte Thore beruhigend, dirigierte Felix mit Bedacht Richtung Hauptgebäude auf dem Gelände, "ist ja gut, Schätzchen. Du kommst erst einmal rein, ich mache dir einen Tee und wir suchen dir was Trockenes zum Anziehen. Anton wird sich freuen, dich zu sehen. Keine Angst, wir bekommen das schon wieder hin."
Beunruhigt und doch gleichzeitig so unglaublich erschöpft, ließ sich Felix schwer gegen den Wärme spendenden Körper fallen. Er wollte nur eines ... zu Anton, ihm irgendwie sagen, wie leid es ihm tat, wie sehr er ihn liebte. Doch er hatte Angst ... davor, dass ihm dies nicht möglich sein würde. Warum nur fand er seine Sprache nicht?