Die Weihnachtstage verbrachte Paula bei ihren Eltern in Meßkirch. Ich feierte Heiligabend mit meiner Mutter. Am 1. Weihnachtsfeiertag trafen wir uns wie jedes Jahr mit Tom, Alicia und ihren Eltern, dieses Jahr bei uns zuhause.
Nach der opulenten Weihnachtsgans zogen sich Alicia, Tom und ich in mein Zimmer zurück, während die ältere Generation zu einem Verdauungsspaziergang in die nahen Wälder aufbrach.
„Schön, dass wir mal wieder in aller Ruhe miteinander reden können“, sagte Alicia und schaute kurz von ihrem IPad und dem laufenden Spiel hoch. „Das fehlt mir in letzter Zeit schon sehr, dass wir uns nicht mehr so oft sehen und etwas miteinander abhängen können.“
„Ja“, ergänzte Tom, „das Studium frisst mehr Zeit als ich gedacht hätte. Und die Partyszene an den Wochenenden ist in Tübingen und Reutlingen auch nicht übel. Trotzdem: Wir sind nun mal enge Freunde, enger geht es kaum. Und da ist nicht wichtig, wie oft man sich sieht, sondern dass man sich aufeinander verlassen kann.“
„Da hast Du völlig Recht, Tom. Wahre Freundschaft endet nie. Dennoch“, sagte Alicia und wandte sich zu mir, „fehlen mir die Wochenenden mit Dir, lieber Marcus. Freitagabend bist Du ja manchmal noch zu haben, weil Deine Paula da offenbar irgendwo jobbt. Aber ich vermisse unsere vertrauten Fernseh-, Film- und Spielabende schon sehr. Seitdem Du Paula datest, spiele ich nur noch zweite Geige.“
Tom wandte sich zu mir: „Merkst Du was? Unsere Alicia ist auf Paula eifersüchtig. Wie süß ist das denn!“ Alicia protestierte: „Blödsinn! Ich bin nicht eifersüchtig auf Paula. Warum auch! Ich stelle nur fest, dass Marcus jetzt jemand hat, der ihm wichtiger ist als seine beste Freundin.“
„Alicia, Du bist mir total wichtig“, bemühte ich mich um Klarstellung. „Du bist meine Kumpelschwester und meine beste Freundin, so wie Tom mein bester Freund ist. Und das wirst Du auch immer bleiben, Paula hin oder Paula her. Aber Paula hat mein Herz erobert. Ich finde sie anziehend und ich habe sie lieb. Aber das hat mit unserer Freundschaft, Alicia, doch nichts zu tun.“
„Marcus, jetzt mal allen Ernstes: Was findest Du an Paula anziehend?“, fragte mich Tom eindringlich. „Paula ist ein zuckerkranker, schwerhöriger Rotfuchs mit schiefen Zähnen, Sprachfehler und Riesentitten. Nichts an ihr ist doch irgendwie attraktiv.“
„Und bald ist sie wahrscheinlich auch noch ein Vierauge“, erwiderte ich trotzig. „Ich finde Paula süß und attraktiv, genau so wie sie ist, mit all ihren kleinen Besonderheiten. Ja, sie ist besonders, keine Frage. Für mich ist Paula aber besonders sexy!“
„Da lachen ja die Hühner“, stellte Tom fest. „Sexy sieht anders aus. Mit Deiner Geschmacksverirrung gehörst Du zum Arzt. Aber jetzt sag uns mal, hast Du Paula schon gefickt? Wie ist sie im Bett?“
„Tom, jetzt mach mal halblang“, versuchte Alicia zu schlichten. „Jedem das Seine. Und Schönheit liegt nun mal im Auge des Betrachters. Wenn Marcus Paula attraktiv findet, dann ist das seine Sicht der Dinge. Und es verlangt ja keiner von Dir, dass Du Paula datest. Da hätte Marcus, glaube ich, ohnehin etwas dagegen. Oder, Marcus?“
Ich war Alicia dankbar, dass sie mich gegen Tom unterstützte. Seine Schönheitsideale waren seit jeher nicht meine. „Ja, ich hätte etwas dagegen“, antwortete ich Alicia. „Aber von Tom geht ja offenbar keine Gefahr aus.“ Tom nickte heftig. Ich fuhr fort: „Mit Paula geschlafen habe ich noch nicht. Sie braucht noch Zeit. Außer Küssen und Händchenhalten ist bisher noch nichts zwischen uns gelaufen.“
Ich machte eine kurze Pause. „Wie sieht es denn mit Deinem Liebesleben aus, liebe Alicia. Was gibt es denn da Neues?“, versuchte ich das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. Alicia schüttelte den Kopf: „Im Westen nichts Neues! Ich warte immer noch auf Mistress oder Mister Right!“
Tom lachte spöttisch: „Du wirst sehen, das blinde Huhn findet irgendwann auch noch ein Korn. Nun zu Dir zurück, Tom: Jetzt lass es endlich mal krachen! Leg sie flach und streife Dir endlich Deine Unschuld ab!“
Alicia legte Tom die Hand auf den Arm und sagte: „Jetzt hör bitte auf, Marcus zu ärgern. Er geht seinen eigenen Weg, so wie Du Deinen gehst.“
Ich schaute erleichtert. Alicia war ein Goldschatz. Doch dann sprach sie mich an: „Marcus, aber ganz ehrlich: Ich habe bei Paula und Dir kein gutes Gefühl. Ich weiß nicht, woher genau dieses Gefühl kommt. Wahrscheinlich ist es weibliche Intuition. Aber bei Paula stimmt etwas nicht. Ich glaube, sie verheimlicht etwas vor Dir. Also sieh Dich vor! Und wenn Du Hilfe brauchst, dann bin ich, Deine beste Freundin, immer für Dich da. Und für Tom gilt bestimmt das gleiche.“ Tom nickte wieder heftig.