Für den nächsten Tag war ich mit Alicia verabredet. Das war auch gut so, denn ich musste unbedingt mit ihr reden. Ich wollte von ihr hören, ob stimmte, was Paula mir geschrieben hatte.
Alicia hatte mir von einem Zusammentreffen mit Paula nichts erzählt. Überhaupt war Paula in den letzten Monaten nie mehr ein Thema zwischen uns gewesen. Es gab ja auch keinen Grund dafür. Zwar musste ich oft an Paula denken. Ich fragte mich dann, wo sie geblieben sein könnte und wie es ihr gehen würde, nachdem ich sie abserviert hatte. Aber ich spürte auch Hemmungen, mich bei ihr zu melden. Vielleicht war ich auch einfach zu feige für ein Gespräch mit dem einst so geliebten Wesen Paula.
Aufgeregt und mit Herzklopfen öffnete ich die Wohnungstür, als Alicia zur vereinbarten Zeit geklingelt hatte. Ich war mir unsicher, wie ich sie empfangen sollte. Zur Begrüßung wollte ich sie erst einmal weder in den Arm nehmen noch küssen. Meine Gefühle zu Paula waren seit ihrem Brief und unserer WhatsApp wieder heftig erwacht und ich war mir unklar, was das jetzt für meine weiter vorhandenen Gefühle zu Alicia bedeuten würde. Ich liebte sie auch, aber anders als Paula. Ich begehrte also beide Mädchen. Aber ginge das überhaupt?
Ich stand zwischen zwei Frauen, zwischen Paula und Alicia, und wollte erst einmal vorsichtig abwarten, wie sich die Beziehungen weiter entwickeln würden. Ich hoffte, alles würde sich irgendwie von selbst auflösen. Aber das schien wir doch ziemlich illusionär. Genauso wahrscheinlich war aber, dass es kein sowohl als auch, sondern nur ein entweder oder geben könnte. Und dann müsste ich mich definitiv entscheiden – oder stünde mit leeren Händen da. Also, so fühlte ich, war äußerste Vorsicht angesagt.
Nach Öffnen der Wohnungstür machte ich keinen Schritt auf Alicia zu, sondern blieb stehen und wartete, was Alicia tun würde. Alicia ihrerseits lächelte, machte zwei Schritte auf mich zu, nahm mich in den Arm und begann mich zu küssen. Ich wehrte mich nicht, weil ich in diesem Moment ihre Nähe und ihre Lippen auf meinen Lippen sehr genoss. Dennoch hatte ich dabei Gewissensbisse: Ich liebte Paula, aber ich liebte auch dieses mir seit langem so vertraute Mädchen Alicia, in deren Armen ich gerade wieder einmal Glücksgefühle verspürte.
Ich ließ Alicia gewähren. Ihre Umarmung und ihr Küssen wurden intensiver. Ich spürte die Reaktion meines Körpers und ließ Alicia auch spüren, wo diese Reaktion am heftigsten ausgeprägt war.
Dann flüsterte Alicia in mein linkes Ohr: „Marcus, ich liebe Dich und ich werde Dich immer lieben. Bleibe immer bei mir, egal was passiert! Ich brauche Dich so sehr!“
Meine Stimme sagte darauf laut vernehmbar. „Ich Dich auch!“ Im gleichen Moment erschrak ich heftig. Was hatte meine Stimme gerade gesagt? Was hatte ich angerichtet? Ich, der Marcus, der Spätstarter bei der Liebe, hatte plötzlich zwei Freundinnen. Zwei, die sagten, dass sie ihn liebten, und die er beide auch zu lieben glaubte.