Francesco kam öfter zu Besuch.
Er konnte in seiner Trauer auch nicht wirklich allein sein, darum suchte er hier die Harmonie, die er stets in diesem Haus erleben durfte, als er noch jünger war und an Maries und auch meiner Seite gewesen war.
Die Trauer verband uns ohne viele Worte.
Wir redeten viel miteinander, nachdem das Eis erstmal wieder gebrochen war. Er freute sich aufrichtig über mein Baby, auch wenn es ihm grausam vor Augen führte, auf was er verzichten musste. Jedenfalls solange er sich nicht an eine andere Partnerin binden wollte. Genau wie bei mir, erschien ihm das das schier unmöglich.
Von Sandros Stimme erzählte ich Niemandem mehr. Sie gehörte mir allein und vermochte es, mich ein wenig zu trösten, selbst wenn ich ihn nicht mehr um mich hatte.
Es war dennoch ein etwas merkwürdiges Gefühl, Francesco regelmäßig wieder zu sehen und ihn in meinem Leben mit dabei zu haben. Normalerweise sah man die Partner für die Lebensalterfestsetzung nicht mehr wieder, weil sie sich meistens an anderen Orten niederließen. Aber was war in dieser Familie noch normal?
Ich konnte jedenfalls Sophia und Gio verstehen, dass sie Francesco nicht so ohne Halt lassen wollten und es sprach von meiner Seite nichts dagegen. So spielten sich die wöchentlichen regelmäßigen Besuche ein und waren irgendwann völlig normal in unserem Alltag.
Die Schwangerschaft bekam mir gut, nachdem die morgendliche Überkeit verschunden war, ging es mir ausgesprochen gut, weil ja das Bäuchlein noch sehr klein war.
Solange wie ich noch so beweglich war, wollte ich un unserem Haus auch alles für ein Kind vorbereiten, auch wenn ich beschlossen hatte, bis zur Entbindung und die ersten Wochen noch bei Gio und Sophia zu bleiben.
Sie hatten auf ihrem Dachboden noch diverse Kindersachen, da sie selbst ja ebenfalls wieder Eltern werden würden, vermutlich in gar nicht so langer Zukunft.
Daher behielten Savantoj solche Dinge so lang wie möglich. Das kam mir sehr zu Gute, so musste ich mir nichts Neues zulegen, nur ein Kinderbett und Wickeltisch für Sandros und mein Haus.
Irgendwann wollte ich wieder zurück in mein Zuhause, auch wenn es mich immer an Sandro erinnern würde.
Francesco erwies sich als prima Helfer, der mir dort zur Hand ging, sodass ich diese Vorbereitungen nicht allein durchführen musste. Die emotionale Anspannung machte mir mehr zu schaffen, als ich zugeben wollte, aber ich gewöhnte mich mit Francescos Hilfe daran.
Sandro hatte mich unterstützt mit diesem Gedanken, er war der Meinung, dass ich mich nicht für immer bei Sophia und Gio verstecken sollte.
Es ist nicht deine Art, dich vor Herausforderungen zu drücken. Du schaffst das, ich weiß es.
Ich hoffte von Herzen, dass er mich damit nicht überschätzte.
Zu Beginn der Schangerschaft horchte ich oft noch ängstlich in mich hinein. Die vorangegangene Fehlgeburt hing mir noch arg nach und ich war erst zufrieden, als ich nach vier Monaten immer noch gute Befunde hatte und sich keine verdächtigen Zeichen eingestellt hatten. Die Gynäkologin war sehr zufrieden mit mir und machte mir Mut.
Mit der Zeit gewöhnte ich mich an alles, las sehr viel über Schwangerschaft und die ersten Wochen mit einem Baby und fühlte mich mehr und mehr sicher. Natürlich war ich traurig, dass Sandro nur stimmmäßig bei mir war, aber er versicherte mir stets, dass er es fühlen konnte - unser kleines Pützchen - und sehr stolz auf uns sei.
An unser tägliches Plauderstündchen am Morgen gewöhnte ich mich leider auch. Es gab mir den nötigen Schwung für den Tag und die traurigen Gedanken schob ich in die hinterste Ecke meines Bewusstseins.
Sophia kümmerte sich wie eine Mutter um mich. Sie und Gio waren heilfroh, dass ich mich gefangen hatte. Sie hatten alle Recht behalten - das Baby nahm mir viele meiner trüben Gedanken. Ich war wahnsinnig gespannt, wie es aussehen würde und unterhielt mich mit ihm wann immer es ging - mit entsprechenden Streicheleinheiten, die das Kleine mit heftigem Strampeln beantwortete.
In den nächsten Monaten wuchs mein Bauch und ich wurde unbeweglicher. Langsam freute ich mich darauf, dass die Geburt näher rückte, selbst Francesco ließ sich davon anstecken. Er hatte sich von Sophia überreden lassen, mich zu den geburtsvorbereitenden Kursen zu begleiten, sodass ich dort nicht ohne Vater auftreten musste. Er besuchte mit Sophia und mir auch die ausgesuchte Klinik, damit ich mich dort nicht zu fremd fühlen würde.
Alle in meinem Umfeld fieberten nun auf den großen Tag hin. Als ich an einem Morgen die erstens Senkwehen verspürte, wusste ich, dass es nun bald losgehen würde. Sandro bestätigte mir das mit einer gleichzeitig traurigen Mitteilung.
Engelchen, es ist nun so weit. Da unser Baby bald auf die Welt kommt, muss ich mich von dir vorläufig verabschieden. Ich werde mich nicht mehr mit dir unterhalten können. Einige Jahre musst du nun ohne meine Stimme auskommen, aber unser Band existiert weiter und ich höre dich trotzdem. Sei tapfer und vergiss nicht, dass ich immer bei euch bin - vertrau mir, wie du es immer getan hast tief in deinem Herzen. Ich liebe euch.
Ich war wie erstarrt. Immer wieder hatte ich das nicht wahrhaben wollen. Erst wollte ich es nicht glauben, dass es möglich war und dann wollte ich es nicht mehr missen. Die Tränen kamen ungefragt und ich wollte ihn unbedingt zurückholen, aber er blieb stumm.
Tatsächlich ging es bereits in der nächsten Nacht los mit regelmäßigen Wehen und ich konnte nicht mehr über Sandro nachdenken, denn nun bestimmte das Baby, womit ich mich beschäftigen musste. Meine Tasche für die Klinik stand schon seit Wochen griffbereit an der Tür, zwischen den Wehen quälte ich mich zum Schlafzimmer von Sophia und Gio und weckte sie. Nun ging alles sehr schnell, auch wenn die Beiden ziemlich verschlafen aussahen, so hatten sie doch alles im Griff und verfrachteten mich schnellstmöglich ins Auto, um in die Klinik zu fahren.
Obwohl sich in der Klinik alle um Gelassenheit bemühten, so ließ es sich nicht vermeiden, dass es für mich ziemlich hektisch zuging. Es zog sich vor allem noch unendlich lange hin, ehe ich irgendwann endlich in den Kreißsaal kam und auch dort hielten die Wehen mich in immer kürzer werdenden Abständen in Atem.
Sophia blieb bei mir und hielt meine Hand, die ich ihr ziemlich zwerquetscht haben musste, aber das nahm ich alles nicht wirklich wahr. Ich verlor jegliches Zeitgefühl und klammerte mich nur noch an die Anweisungen der Hebamme, die mich durch die Geburt begleitete und denen des Arztes, der zum krönenden Abschluss das Kind auf dem Weg auf die Welt begleitete.
Dann war er endlich da - und ich war sowas von erledigt, aber überglücklich, als ich das Krähen des Kleinen vernahm.
»Herzlichen Glückwunsch - Sie haben Ihrem kleinen Sohn erfolgreich auf die Welt verholfen. Er sieht sehr gut aus! Wir untersuchen ihn gleich und dann dürfen Sie sich endlich richtig kennenlernen.«
Der Arzt hielt das kleine Menschlein hoch und übergab es dann an die Hebamme, die ihn an die Kinderschwester weiterreichte, die ihn mit vorgewärmten Tüchern entgegennahm und zu einem Behandlungstisch trug.
Sophia fiel mir um den Hals. Alle weiteren Aktionen des Arztes an mir interessierten mich nicht mehr, ich wollte nur endlich mein Kind im Arm halten und dann war es soweit.
»Gesund und munter«, meinte die Schwester schmunzelnd, als sie mir das kleine Bündel in den Arm legte. »Herzlichen Glückwunsch!«
Ich nahm ihn in den Arm und war sofort schockverliebt. Alle Anstrengungen der letzten Stunden rückten in den Hintergrund und ich betrachtete nur ungläubig das kleine gähnende Geschöpf in meinem Arm, strich vorsichtig mit einem Finger über die winzige Wange und staunte über den blonden Flaum auf dem Köpfchen.
»Hallo Willkommen, kleiner Schatz. Ich bin deine Mama«, flüsterte ich ihm zu und musste lächeln, als er blinzelte.
Er war endlich da.
Die erste große Besucherrunde nahm der Kleine mit stoischer Ruhe hin. Nach unserem ersten Stillabenteuer verschlief er die ganzen staunenden Gesichter, was sicherlich das Beste war, was er tun konnte.
Ich war zunächst noch allein in dem Doppelzimmer und so störten meine Besucher nicht.
Gio und Francesco waren so stolz, als wäre jeder von ihnen der leibliche Vater des Kleinen. Nur mir ging ein Stich durch die Brust, weil ich so gern Sandro hier gehabt hätte - gerade jetzt.
Sophia ahnte meine Gedanken und drückte verstohlen meine Hand.
»Irgendwo schaut er zu und freut sich mit«, raunte sie mir zu und ich lächelte über ihren Versuch, mich zu trösten.
»Wie soll er denn heißen?«, fragte Francesco aufgeregt und besah sich das Baby zum wiederholten Male von allen Seiten.
»Giacomo! Er heißt Giacomo.«
Sie kamen nicht mehr dazu, ihre Meinung über den Namen kundzutun, denn die Tür ging auf und ein weiteres Bett wurde hineingeschoben. Eine zierliche dunkelhaarige Frau lag darin, die sehr erschöpft aussah, aber diesen glücklichen Ausdruck im Gesicht hatte, den Mütter oft auf ihrem Gesicht trugen nach einer Entbindung.
»Hallo, ich bin Adelia. Gleich kommt noch mein Sohn Alessio ...«
Schon schloss sie erschöpft die Augen und schlief offensichtlich ein.
»Ich glaube, es ist besser, wenn ihr jetzt vorläufig verschwindet. Hier braucht jemand offensichtlich Ruhe ... Mögt ihr vielleicht am Nachmittag nochmal vorbeischauen?«
Während die Schwester das Nachbarbett anschloss und in Stellung brachte, verabschiedete sich unser Besuch rasch und verschwand aus dem Raum.
»Ich glaube, wir schlafen auch noch mal eine Runde - kann nicht schaden, oder Giacomino?«
Ich erwartete keine Antwort, sondern schloss einfach die Augen.